Filmclub Bali
   
 

SCHLITZBOLD

Der Slasher-Film vor 1978

„Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“
– Diese Frage ist nicht nur Hauptbestandteil eines beliebten Haschmich-Spiels für Kinder, sondern gewissermaßen auch der tiefenpsychologische Unterbau eines jeden Slasher-Films. Spricht man über maskierte Messermeuchler, so denkt man sofort an John Carpenters wegbereitenden HALLOWEEN aus dem Jahre 1978. Der Film über den stummen Psychopathen Michael Myers mit der fahlen Gesichtsmaske, der Scream-Queen Jamie Lee Curtis eine Nacht des Grauens bescherte, gilt gemeinhin als der Vater des Slasher-Kinos.
Tatsächlich ist das (Sub-)Genre jedoch weit älter. Verfolgt man die blutigen Fußspuren des Schwarzen Mannes zurück, so dringt man zwangsläufig tief in die Vergangenheit ein und lässt das Jahr `78 weit hinter sich zurück.
Bereits das Produktionsjahr des vorliegenden* Films FRIGHT („Die Fratze“, 1971) lässt aufhorchen. Satte sieben Jahre vor HALLOWEEN schuf der Brite Pete Collinson hiermit eine Art Matrize für das Metier des ‚Killer-jagt-Babysitter‘-Sujets. Die Spur der blitzenden Messer führt jedoch weiter zurück – viel weiter…
thirteen women
Als tatsächlicher Vorvater des Slashers kann der 1932 gedrehte THIRTEEN WOMEN gelten, der unter der Regie von Hollywoods B-Film Urgestein George Archainbaud entstand. Der Film fällt in die Kategorie der typischen ‚Body Count-Mysteries‘ der 30er und 40er Jahre (die allesamt lose auf Agathe Christies ‚And then there were none‘-Prinzip beruhen), weist jedoch verblüffende Parallelen zum Schlitzer-Kintopp der 70er und 80er auf. In der fast verschollenen RKO-Produktion geht es um eine Reihe rätselhafter Todesfälle unter Schulabgängerinnen, die sich schlussendlich als geschickt getarnte Mordserie erweist – der Rachefeldzug einer ehemaligen Mitschülerin, der man übel mitgespielt hat. Die mysteriöse Killerin (der Hypnose mächtig!) wird von der grandiosen Myrna Loy verkörpert, die nach jedem Mord die Portraitfotos ihrer Opfer schwarz auskreuzt – genau so, wie es knappe 50 Jahre später der mordende Maskenmann aus PROM NIGHT (1980) ebenfalls machte. Der Film erlebte katastrophalen Schiffbruch an den Kinokassen, wurde daraufhin vom Studio zurückgezogen und von sowieso schlanken 73 Minuten auf ausgemergelte 59 Minuten gekürzt. Dennoch blieb ihm der kommerzielle Erfolg verwehrt – von filmhistorischem Wert für die Slasher-Forschung ist er jedoch auch deshalb, weil das häufig verwendete Motiv des ‚Final Girl‘ (die letzte Überlebende gegen den Killer) hier erstmals zum Einsatz gelangt.
Nach diesem mäßig triumphalen Auftakt herrschte zunächst einmal ein fast 30 Jahre währendes Diminuendo im Orchester der Messermetzler und Beilberserker, um dann im Jahr 1960 mit einem fulminanten Paukenschlag ein Crescendo einzuläuten, dessen Nachhall für den Slasher-Film bis in die heutigen Tage zu spüren ist. Alfred Hitchcocks bahnbrechendes Meisterwerk PSYCHO (ein Film, über den man an dieser Stelle nicht viele Worte verlieren muss) prägte wie kein zweites Lichtspiel das Genre – nicht nur wegen der legendären Duschmord-Szene, die von zahlreichen Regisseuren zitiert wurde. Zum ersten Mal wurde hier auch das Motiv der Verkleidung und der verdeckten Identität aufgegriffen und als Bestandteil in der Persönlichkeit des Mörders etabliert.
peeping tom
Im selben Jahr – sogar drei Monate vor PSYCHO! – schickten die Briten ihren PEEPING TOM („Augen der Angst“, 1960) in die Arena der frühkindlich traumatisierten Soziopathen, in dem Karlheinz Böhm eine unvergessliche Darbietung als Fotograf hinlegte, der als Bub unter den psychologischen Angstexperimenten seines Vaters zu leiden hat und dadurch zum Mörder wird. Besonders originell an diesem Früh-Slasher ist die Tatwaffe: Die flexible Klinge verbirgt sich in einem Fuß des Kamerastativs. Regisseur Michael Powell zwingt dem Zuschauer dabei unbarmherzig die Perspektive dieser Kamera auf, die auch die Perspektive des Killers ist – ein Blickdialog durch die Augen der Angst. Betrachter, Regisseur, Protagonist und Kamera verschmelzen zu einer Einheit, mit demselben schrecklichen Ziel: zu töten. Der Kinozuschauer wird zum perfekten Komplizen. Achtzehn Jahre vor HALLOWEEN provoziert PEEPING TOM sein Publikum mit einer aus einem langen Take bestehenden, subjektiven Kamerafahrt, die einen Frauenmord abbildet … aus der Sicht des Täters. Aber nicht nur der Vorgang des Mordens, auch das spätere Betrachten der Filme löst bei Böhms Filmfigur sexuelle Lustgefühle aus: ein Vorreiter der ‚Snuff‘-Thematik.
Der prüden britischen Filmzensur kam das alles zu dicke. Michael Powells Meisterwerk wurde massiv gekürzt, die unzensierte Originalfassung gilt als verschollen. Nicht nur die Karriere des Regisseurs zerbrach an diesem Skandal, auch Karheinz Böhm hatte jahrelang an seinem Image zu knacken – mit blumig-naiven SISSI-Filmen war nun Sabbat. (Böhm erzählt in der Dokumentation A VERY BRITISH PSYCHO: "Nach dem Film herrschte absolute Stille im Saal. Niemand klatschte, niemand sagte etwas. Schließlich standen die Leute auf und beachteten uns nicht weiter. Niemand kam zu uns und sprach mit uns.") Powell versuchte noch einen reuigen Rückzieher, indem er seinen Film nicht etwa als Horrorfilm verstanden wissen wollte, sondern als psychologischen Kommentar auf die ausbeuterische Beziehung zwischen voyeuristischem Subjekt und Objekt – aber da hatte das Schicksal bereits in den Ventilator gekackt, und die Konsequenzen waren nicht mehr aufzuhalten. Ein radikal verstörendes Prachtstück, das seiner Zeit weit voraus war und bis heute nichts von seiner Schlagkraft eingebüßt hat. Viel Freude mit Freud!
dementia 13
Drei Jahre später, 1963, bekam ein damals unbekannter junger Filmemacher namens Francis Ford Coppola schlappe 30.000 Dollar aus der Tasche von Produzentengenie Roger Corman spendiert und die Chance geboten, seinen ersten, eigenen abendfüllenden Spielfilm in Irland zu drehen. Das Ergebnis, das der damals 24jährige Coppola für Cormans B-Filmschmiede AIP ablieferte, hieß DEMENTIA 13. Für die vorliegende Untersuchung ist diese äußerst gelungene Mixtur aus Psychothriller, Murder-Mystery und Schauerkino vor allem wegen seiner (für die damaligen Verhältnisse recht ruppigen) Axt-Morde von Interesse, die den Film in die Nachbarschaft der Früh-Slasher bugsieren. Auch zu PSYCHO existieren deutliche Parallelen: Ähnlich wie in Hitchcocks Glanzstück wird die scheinbare Hauptfigur der Geschichte nach einer knappen halben Stunde Laufzeit abserviert und teilt somit das Schicksal von Janet Leigh. An das Slasher-Kino erinnert auch der Kniff des Films, seine Spannung nicht aus der Whodunit-Komponente zu beziehen, sondern aus der unheimlichen Atmosphäre, die mitunter an einschlägige Haunted House-Motive gemahnt. Düstere Gemäuer, wehende Vorhänge, gespenstische Erscheinungen und gruselige Puppen in Mädchenkleidern nehmen bisweilen gar etliche Elemente des italienischen Giallo vorweg.
reaziona a catena
Womit wir elegant die Kurve zum Apennin genommen hätten. À propos, Bella Italia: Lange – genauer gesagt, neun Jahre – bevor Sean S. Cunningham seinen FRIDAY THE 13th („Freitag der 13.“, 1980), einen der populärsten Slasherfilme aller Zeiten, auf das Kinopublikum losließ, schuf der große Mario Bava bereits mit REAZIONE A CATENA („Im Blutrausch des Satans“, 1971) quasi die Blaupause dazu. Tatsächlich kann man REAZIONE in weiten Teilen als Vorlage zu FRIDAY betrachten; zumindest ähneln sich die dargestellten, mitunter sehr pittoresken Mordsequenzen bis aufs Haar. Was jedoch Bava, ein italienischer Meisterregisseur, der mit Filmen wie LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO (1963) und SEI DONNE PER L‘ ASSASSINO (1964) das Giallo-Genre bergründete, seinem amerikanischen Nachfolger voraus hat, ist die ironische Brechung der Thematik – bis hin zu einer herrlich zynischen Schlusspointe. Am Ende überrascht das streckenweise äußerst blutige Whodunit-Puzzle mit einer Auflösung, die keinen maskierten Butzenmann als Schuldigen ausweist, sondern den Mensch als des Menschen Wolf enttarnt: Neid und Habgier sind die Triebfedern des Mordens. In dieser Story ist jeder, einschließlich der Kinder, bis ins Mark moralisch verkommen, und das pessimistische Gesellschaftsbild, das der Film zeichnet, steht im krassen Kontrast zum idyllischen Schauplatz der Handlung. An diesem See möchte man ebenso wenig sein Zelt aufschlagen, wie am Crystal Lake…
torso
Ein klassischer Giallo, der jedoch etliche Züge des Slasher-Films trägt, ist Sergio Martinos I CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE („Torso – die Säge des Teufels“, 1973). Speziell eine äußerst unheimliche und spannungsgeladene (von Kamera-As Giancarlo Ferrando vorzüglich fotografierte) Szene, die eine Verfolgungsjagd im Moor zum Inhalt hat, dürfte dem Film seinen Ruf als Slasher-Prototyp eingebracht haben: Ein Mörder mit fieser Ski-Maske, der sein weibliches, leicht bekleidetes Opfer durchs neblige Sumpfgestrüpp hetzt – stilprägender geht es kaum noch. In den USA wurde TORSO, dessen Drehbuch aus der Feder des verdienstvollen Ernesto Gastaldi geflossen ist, dann auch als reinrassiger Slasher vermarktet. Zumal das Finale sich als hochspannendes ‚Killer-in-the-House‘-Kammerspiel entpuppt, das sowohl Ingredienzien von HALLOWEEN vorwegnimmt, als auch das Motiv des ‚Final Girl‘ aufgreift.
Blutbad des Schreckens
Im selben Jahr entstand in den Vereinigten Staaten der Low Budget-Shocker SCREAM BLOODY MURDER („Blutbad des Schreckens“, 1973), ein herzerfrischend stümperhafter Vorläufer des Genres, der mit zahlreichen Versatzstücken aus späteren Hack & Schlitz-Epen hantiert. Außerdem zählt der Streifen zur Unterabteilung des Bauerntölpel- und Landeier-Horrors, denn sein Protagonist ist ein Dorfdepp, der als Kind seinen Vater mit der Planierraupe plattgefahren hat (wozu man eine solche bei der Feldarbeit braucht, weiß nur der sudetendeutsche Bauernverbund) und sich hernach als Dreingabe die eigene Hand zermalmt (!). Fürderhin trägt er eine praktische Hakenprothese und hat gehörig einen an der Murmel. Aber wie die ungeschriebenen Gesetze des Genres es wollen, entkommt er Jahre später aus der Klapsmühle und kehrt zurück auf die väterliche Farm, wo seine geliebte Frau Mama einen neuen Stecher geehelicht hat. „Du kannst ihn Daddy nennen!“ , meint sie – was nicht viel zur Verbesserung von Sohnemanns Laune beiträgt. Es dauert nicht lange, da muss der Haken hacken… Auch wenn der Film nicht sonderlich gelungen ist, so enthält er doch einige prototypische Elemente, die unmittelbar aus den späteren Vorzeigefilmen des Genres entnommen sein könnten. Wenn zum Beispiel die Kamera den durchs Heu schlurfenden Füßen des Latzhosen-Mörders folgt, während die Axt nebenher schwingt, dann ist das 80er Slasher-Kino in Reinkultur. Von den damaligen Filmplakaten kreischte es sensationsheischend: “The first motion picture to be called Gore-nography!” – aber das ist selbstverständlich blanker Mumpitz, denn die bluttriefenden Schauwerte späterer Elaborate wird man hier vergeblich suchen. Dennoch weiß der dreckige kleine Film aufgrund seiner schieren Obskurität zu unterhalten. Zeitweise gelingt es Regisseur Mark B. Ray sogar, dem ödipal fixierten Täter eine gewisse psychologische Tiefe zu verleihen und das abgründige Innenleben einer vermurksten kindlichen Seele darzustellen.
In Deutschland erschien der Film u.a. beim legendären Label Greenwood unter dem irrwitzigen Titel DAS HÖLLENMASSAKER – DER WAHNSINN MACHT IHN ZUR BESTIE. Die Moral von der Geschicht: Kinder, spielt nicht mit landwirtschaftlichen Nutzgeräten!
black christmas
Ein lupenreiner Schlitzbold mit sämtlichen Merkmalen des Genres ist der 1974 in Kanada preisgünstig heruntergekurbelte BLACK CHRISTMAS („Jessy – die Treppe in den Tod“), für den Bob Clark auf dem Regiestuhl Platz nahm. Ebenfalls Anno `74 drehte Clark den meisterlichen Horrorfilm DEAD OF NIGHT (auch bekannt als DEATHDREAM), sowie das verstörende Serienkiller-Portrait DERANGED („Besessen“), das die Untaten des nekrophilen Kannibalen Ed Gein thematisiert. Es muss ein gutes Jahr gewesen sein. BLACK CHRISTMAS wirkt im Nachhinein wie ein Pionier des Genres, mit dem gravierenden Unterschied, dass er vieles geschickter und eleganter macht als beispielsweise etliche der Machwerke, die im Fahrwasser von FREITAG DER 13te dahindümpelten. Die Zutaten scheinen altbewährt, wären sie hier nicht erstmals in dieser puristischen Darreichungsform zusammengerührt worden: ein Studentenwohnheim voller weiblicher attraktiver Opfer, ein erbarmungsloser Killer, wechselnde Tatwaffen, das unausweichliche ‚Final Girl‘ am Schluss. Die böse finale Pointe gefiel wohl auch Fred Walton recht gut, der sich diese dreist für seinen 1979 entstandenen WHEN A STRANGER CALLS („Das Grauen kommt um 10“) entlieh. Was dem Film an grafischer Gewalt mangelt, macht er durch einen sorgfältigen Spannungsaufbau und ein gut konstruiertes Skript wieder wett – Freunde exzessiven Blutvergießens werden freilich nicht auf ihre Kosten kommen. Zudem ist er hervorragend fotografiert, verzückt mit einem Nackenhaar-sträubenden Score, und das Drehbuch vermeidet viele der später leider gängigen Ungereimtheiten, die zum Stolperstein vieler 80er Slasher gerieten. Der perfekte Schlitzer-Vorreiter für Festtagsmuffel.
silent night bloody night
Wie der Titel es bereits dezent andeutet, versteht sich der im selben Jahr produzierte SILENT NIGHT, BLOODY NIGHT („Blutnacht – das Haus des Todes“, 1974) ebenfalls als besinnlicher Vorweihnachts-Slasher. Regisseur Theodore Gershuny schuf einen recht unkonventionellen Vertreter seiner Gattung, der leider vor allem an der Hürde seines verschachtelten und umständlich erzählten Drehbuchs scheitert. Das lose auf der Edgar Allan Poe-Story "The System of Doctor Tarr and Professor Fether" basierende Skript wurde weiterhin durch eine experimentelle Inszenierung kompliziert, bei der man sich fragen muss, ob das wirklich alles so beabsichtigt war. Nichtsdestotrotz serviert man dem Zuschauer im „Haus des Todes“ einige höchst bemerkenswerte (Genre-) Schmankerl, die einer genussvollen Verköstigung durchaus angemessen sind. Der Höhepunkt des Films ist eine Rückblende-Sequenz in die 30er Jahre, die mit wunderbar gefilmten Bildern auftrumpft und an die Ästhetik des Stummfilms erinnert. Slasher-Elemente gibt es jedenfalls sattsam: Der gesichtslose Hackebeil-Häcksler personifiziert die Sünden der Vergangenheit und würzt sie mit Versatzstücken des Grand Guignol. Als Knusperguss auf dem Festtagsbraten absolviert das altvertraute Horror-Knautschgesicht John Carradine einen ansehnlichen Kurzauftritt. Rohe Weihnachten!
Alice sweet Alice
Feierlich geht es auch bei dem 1976 von Alfred Sole inszenierten ALICE SWEET ALICE („Communion – Messe des Grauens“) zu, zumindest im Prolog des Films: Während einer kirchlichen Kommunionszeremonie wird eines der weißgekleideten Mädchen – gespielt von einer noch sehr jungen Brooke Shields – von anonymer Täterhand stranguliert und in einer alten Holztruhe verbrannt (!). Nach diesem markerschütternden Einstand entwickelt der Film sich schnurstracks zu einem der gelungensten Gialli, die NICHT aus Italien stammen, sondern aus den US of A. Denn obwohl der Film auch mit traditionellen Slasher-Elementen nicht geizt, sucht man die handelsüblichen Zutaten (tumbe Killer, grenzdebile Teenager, mehr oder weniger kreative Tötungsmethoden) an dieser Stelle vergeblich. Stattdessen glänzt Soles Debütwerk mit filmischen Spezereien, wie man sie vielmehr aus dem sonnigen Land der Pasta & Pizza zu schätzen weiß: Die 12jährige Alice hat ein Faible für garstige Masken und unheimliche Puppen, der zwergenhafte Mörder trägt – ganz im Stil des formidablen WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN – einen gelben Regenmantel, die sorgsam eingestreuten Mordszenen sind als stilvoll inszenierte Set-Pieces arrangiert. Die Tötungen drängen sich bei alledem jedoch nicht in den Vordergrund – im Zentrum der mit reichlich Nihilismus gewürzten Erzählung steht eher der Tauchgang in menschliche Abgründe, eine genüsslich-grausame Demontage familiärer Werte und eine harsch vorgetragene Kritik am Katholizismus. Eher eine brillant durchkomponierte Murder-Mystery, als ein herkömmlicher Schlitzerfilm, aber sehr schmackhaft – wenn auch nicht leicht bekömmlich…
Es ist wohl langsam an der Zeit, die Errungenschaften der Zivilisation hinter sich zu lassen, die Jagdflinten und Wolfseisen in die Rucksäcke zu packen und das Sub-Genre des Hinterwäldler-Horrors zu durchstreifen. Im Wald, da sind die Räuber. Und nicht nur die: Auch mordlustige, degenerierte Irre mit Spaltäxten kegeln mit amputierten Köppen durchs Unterholz. Das gilt nicht nur für Texas, Wisconsin, Bayern und das Sauerland, sondern überall auf der Welt, wo die ungezähmte Natur den Menschen in seine Schranken weist. Blutgierige Waldschrate mit niedriger Toleranzschwelle sind ein stets beliebtes Motiv des Terrorfilms.
Rituals
Neben dem bahnbrechenden TEXAS CHAINSAW MASSACRE („Blutgericht in Texas“, 1974) von Tobe Hooper, der ja immerhin im Hinterland des amerikanischen Südens angesiedelt ist und den Slasher-Film in mehr als nur einer Hinsicht berührt, muss man an dieser Stelle natürlich John Boormans exquisiten Backwood-Terrorfilm DELIVERANCE („Beim Sterben ist jeder der erste“, 1972) erwähnen, der Pionierarbeit für diese Filmgattung leistete. Weitere klassische Vertreter des Backwood-Kinos sind THE HILLS HAVE EYES ("Hügel der blutigen Augen",1977) von Wes Craven – und der leider nahezu in Vergessenheit geratene RITUALS (ebenfalls 1977) des Kanadiers Peter Carter.
Die Handlung von RITUALS führt fünf befreundete Ärzte in den besten Mannesjahren auf einen Wander- und Campingausflug in die unwegsamen kanadischen Wälder, wo sie sich beweisen wollen, dass sie noch ganze Kerle sind. Zurück zur Natur ist das Motto! – Dumm nur, dass die Natur die verweichlichten Städter gar nicht will… Ein unsichtbarer Schnetzler schleicht durchs Unterholz und dünnt die Reihen der Trecking-Freunde empfindlich aus. Wer ist er? Ein amoklaufender Indianer? Die fleischgewordene Wildnis? Der Unhold stellt jedoch nur die äußere Hülle der unmittelbaren Bedrohung dar. Die wahren Feinde, die sich wie die Häute einer verfaulten Zwiebel nach und nach entblättern, sind die inneren Dämonen der Protagonisten selbst: ihre Ängste, Zwänge, Süchte, Minderwertigkeitskomplexe. Am Ende wird der Film zu einer gnadenlosen Selbstfindungserfahrung, für die sie alles opfern müssen – selbst ihre Freundschaft. Neben dem wirklich erstklassigen Drehbuch, sind die darstellerischen Leistungen (u.a. Hal Holbrook und Lawrence Dane) herausragend. Und während die zivilisierten Masken fallen, verändert sich auch die Umgebung: der Wald weicht einer schroffen Berglandschaft, die das innere Ödland der Figuren widerspiegelt.
Einer der besten Prä-78er Slasher vor einer angsteinflößenden Naturkulisse mit toller Kameraarbeit und ungeheuer bedrohlicher Grundstimmung.
savage weekend
Wesentlich konventioneller geht es da in SAVAGE WEEKEND („Killer hinter der Maske“) zu, der von David Paulsen im Jahr 1976 inszeniert wurde, aber erst 1979 zur Aufführung kam. Der kostengünstig zusammengeschusterte Streifen ist ein waschechter Slasher, der nahezu alle Regeln des Genres vorwegnimmt. Auch hier begeben sich ein paar blasse Betonnasen in die unwirtliche Pampas um am Hausboot zu schrauben und ausgiebig zu fummeln. Die ungehemmte Fleischeslust findet jedoch ein jähes Ende, als – Überraschung! – ein Dullek mit Faschingsmaske auftaucht und zu meucheln beginnt… Ein ungemein schmieriges und billiges Exponat seiner Zunft, das außer einigen ostentativ vor die Kameralinse gepressten Milchtüten und einer über jedes Niveau erhabenen deutschen Synchro nicht viele Attraktionen zu bieten hat. Immerhin: Eine Kettensäge kommt zum Einsatz. Erwähnung findet der Film in dieser kleinen Abhandlung lediglich, weil er einer der letzten Messermörder-Filme war, bevor Samhain, das Fest der Toten, in den USA fröhliche Urständ feierte.
Kurz anschneiden (ähem!) sollte man zum Schluss noch den Vater aller Werkzeugkasten-Horrorfilme: Dennis Donnellys THE TOOLBOX MURDERS („Der Bohrmaschinen-Killer“) kam zwar auch erst 1978 in die Lichtspielhäuser, aber immerhin einige Monate vor HALLOWEEN. Der niedrig budgetierte Exploitation-Streifen ist gewiss kein Meisterwerk, punktet aber mit einer unerreicht fiesen Atmosphäre, die Blut, Schweiß und Sperma förmlich ausdünstet. Obendrein kredenzt er dem geneigten Betrachter eine Badewannen-Szene mit der attraktiven Marianne Walter, die später unter dem Alias Kelly Nichols zum Porno-Starlet aufstieg. Cameron Mitchell ist auch mit an Bord, rollt geisteskrank mit den Augen und sondert bizarre Monologe ab. TOOLBOX MURDERS ist alles andere als ein handelsüblicher Slasher, da er sich beherzt zwischen alle Stühle setzt und sich weigert, die Klischees des Genres zu bedienen. Regisseur Donnelly drehte danach fast ausschließlich fürs Fernsehen und trägt die Schuld an etlichen Folgen von DALLAS oder AIRWOLF. Bei seiner Black & Decker-Sause aber ließ er die Wildsau so richtig aus dem Stall. Ein Film, in dem viel genagelt wird – meistens ganz ohne Sex.
toolbox murders
Freilich könnte man an dieser Stelle noch zahlreiche weitere Grenzgänger und Querschläger des Genres aufzählen, wie etwa die hervorragenden Psychothriller von Brian de Palma (z.B. SISTERS von 1973), die häufig auf hochintelligente Weise mit dem Schlitzerfilm-Metier kokettieren. Oder Dario Argentos Über-Giallo PROFONDO ROSSO (1975), der ebenso viele Slasher-Anteile in sich birgt. Oder, am anderen Ende der Messlatte, den lähmend langweiligen DRIVE-IN MASSACRE („Drive-In Killer“, 1976), der unverständlicherweise bundesweit beschlagnahmt wurde. Oder den unfassbar miserablen Hardcore-Slasher-Porno WET WILDERNESS (1975), bei dem wirklich jeder Schlüpfer trocken bleibt. Aber, Hand aufs Herz: Quillt euch das Mettgut nicht langsam zu den Ohren raus?
Ich für meinen Teil werde jetzt meine Eichhörnchen-Maske überstülpen, mich in einen Baum hocken und Passanten mit Nüssen bewerfen. Wer heutzutage Unhold sein will, muss Stil haben.


Pelle Felsch



*Dieser Aufsatz erschien erstmals als Booklet zur Veröffentlichung der DVD „Die Fratze“ von Media Target. © 2012 Media Target.
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