Paul Naschy-Nacht
am Freitag, den 06.09. um 23 Uhr im Kino Babylon
Viva
Señor Lobo! – Am 6. September 2013 wäre der unvergessliche Paul
Naschy 79 Jahre alt geworden. Der Filmclub Bali feiert seinen
Geburtstag und kredenzt ihm zu Ehren einen ganz besonders
wohlschmeckenden spanischen Leichenschmaus, bestehend aus zwei
Gängen:
Leichenschmaus
zum Geburtstagsfest? Ist das nicht ein wenig makaber?? Nicht, wenn es
nach unser aller Lieblingswerwolf Paul Naschy ginge, der 1934 unter
dem bürgerlichen Namen Jacinto Molina Alvarez in Madrid das Licht
der iberischen Sonne erblickte – und glücklicherweise nicht
umgehend zu Staub zerfiel. Er wuchs in den dunklen Jahren des
spanischen Bürgerkriegs und der folgenden faschistischen Diktatur
unter General Franco auf, dessen strenge Zensurmaßnahmen es dem
kinobegeisterten jungen Jacinto erschwerten, seine bereits als Kind
heißgeliebten Horrorfilme zu sehen. Stattdessen schaute er mit
Begeisterung amerikanische „Serials“ (in denen Helden wie Zorro
oder Robin Hood allwöchentliche Abenteuer bestanden) und vertiefte
sich in die Schauerromane von Bram Stoker oder E.A. Poe. Im Madrider
El Cine Rex schlich er sich heimlich in eine Vorstellung von FRANKENSTEIN MEETS
THE WOLFMAN (1943) von Roy William Neill, der einen nachhaltigen
Eindruck auf den Buben machte.
Jacintos
Eltern hielten jedoch wenig von der realitätsfremden
Filmbesessenheit ihres Sprösslings und nötigten ich nach Abschluss
der Schule zunächst zum Studium der Agrikultur und Architektur.
Während des Studiums machte er aufgrund seines Zeichentalents auf
sich aufmerksam und verdingte sich zeitweise als Cover-Artist.
Außerdem widmete er sich ausgiebig dem Sport – speziell dem
Gewichtheben – was ihm schließlich eine kleine Rolle in dem
Historienschinken KING OF KINGS (1961) einbrachte. Dem folgten
mehrere Jobs bei eher unbedeutenden spanischen Filmproduktionen, u.a.
als Regieassistent, wo er schließlich den Helden seiner Kindertage,
Boris Karloff, bei den Dreharbeiten zur amerikanischen Fernsehserie I
SPY (1965-68) traf, die in Spanien produziert wurde.
Zu
Beginn der 60er Jahre konzentrierte Jacinto sich ganz auf die
Schreiberei und verfasste das Drehbuch zu einem Werwolf-Film, an dem
jedoch kein spanischer Produzent Interesse zeigte. Abgesehen von Jess
Francos DR. ORLOFF-Filmen galten Horrorstreifen nicht unbedingt als
spanischer Exportschlager. Aber Jacintos Hartnäckigkeit zahlte sich
aus, und schließlich fand sich die deutsche Produktionsgesellschaft
HIFI Stereo 70 Kg (u.a. auch verantwortlich für
HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT,
um LA MARCA DES HOMBRE-LOBO („Die Vampire des Dr. Dracula“,1968)
zu verwirklichen. Zu behaupten, die Dreharbeiten wären problematisch
gewesen, käme einer bodenlosen Untertreibung gleich. Zensurmaßnahmen
seitens der spanischen Behörden waren nur der Anfang. Der geplante,
damals 61jährige Hauptdarsteller Lon Chaney lehnte die Rolle ab, und
verzweifelt wurde ein passender Schauspieler für die Rolle des
Werwolfs Waldemar Daninsky gesucht, bis schließlich Jacinto selber
ausprobiert wurde – mit überzeugendem Erfolg. Allerdings
bevorzugten die Investoren einen angelsächsisch klingenden Namen,
und so verquirlte Jacinto den Vornamen des damaligen Papstes mit dem
Nachnamen eines ungarischen Bodybuilding-Kollegen: Paul Naschy war
geboren.
Überraschenderweise
wurde der Film ein internationaler Erfolg, gemessen ans einem Sujet
und Budget. Kurze Zeit später folgte mit LOS MONSTRUOS DEL TERROR
(„Dracula jagt Frankenstein“, 1970) einer der wildesten und
trashigsten „All-Monster-Mashes“ der Filmgeschichte, wo sich Graf
Dracula, die Mumie, Frankenstein und der Werwolf ein deliriöses
Stelldichein gaben. Das Drehbuch stammt wieder aus Naschys Feder (von
dessen wahnwitzigen Qualitäten sich der Zuschauer während unserer
September-Filmnacht zu Genüge überzeugen kann), wieder wurde mit
deutschen Finanzmitteln koproduziert. Die Regieführung teilten sich
Hugo Fregonese, Eberhard Meichsner und Tulio Demicheli, in den
Hauptrollen sehen wir Michael Rennie (aus THE DAY THE EARTH STOOD
STILL) und Karin Dor (u.a. DER SCHATZ IM SILBERSEE). Naschy selbst
bekleidete nur eine kleine Rolle (natürlich als Werwolf), was dem
enormen Unterhaltungswert des Endprodukts aber keinerlei Abbruch tut.
Frank Trebbin, Autor von „Die Angst sitzt neben dir“, schrieb damals zu
DRACULA JAGT FRANKENSTEIN:
„Handwerklich
ist diese zwar ernstgemeinte, doch wohl völlig danebengegangene
Parodie eher lächerlich und stümperhaft. Die internationalen
Darsteller, welche allesamt höchstens zweite Wahl in ihren Ländern
sein können, runden diesen frühen Trash-Film eher zum Schlechten
ab. Neben einigen inhaltlichen Ungereimtheiten werden dem Zuschauer
vor allem Folterungen an hübschen Mädchen und Gerangel zwischen den
bekannten Filmmonstern gezeigt. Das Drehbuch –von Paul Naschy (=
Molina) wie so oft in einer Nacht geschrieben– ist eine Schande für
jene Berufssparte. Und trotzdem besitzt DRACULA JAGT FRANKENSTEIN
dank seiner unglaublich schlechten Tricks einen naiven Charme, der
ihn wiederum für Fans des Genres unterhaltsam macht.“
Wir
möchten behaupten: Das klingt nach einem BALI-Film, wie ihn der
Satan schuf!
Die
große Wende kam für Naschy mit LA NOCHE DE WALPURGIS („Die Nacht
der Vampire“, 1971), bei dem er zum ersten Mal mit León Klimovsky
zusammenarbeitete, einem argentinischen Regisseur, der gern
Kunstfilme gedreht hätte, aber im Brackwasser von Spaghetti-Western
und Makkaroni-Kriegsfilmen strandete. Der Film entwickelte sich zu
einem überragenden weltweiten Erfolg und gilt bis heute als einer
der besten Filme des Gespanns Naschy/Klimovsky – dem etliche
weitere Arbeiten folgten, wie etwa DR. JEKYLL Y EL HOMBRE-LOBO („Die
Nacht der blutigen Wölfe“, 1972) , LA REBELIÓN DE LAS MUERTAS
(„Blutrausch der Zombies“, 1972), UNA LIBÉLUA PARA CADA MUERTO
(„Todeskreis Libelle“, 1974), EL MARISCAL DEL INFIERNO („The
Devil’s Possessed“, 1974) und ULTIMO DESEO („The people who own
the dark“, 1976).
Mit
einem anderen Regie-Aushängeschild des iberischen Horrorfilms,
Carlos Aured, drehte er EL RETORNO DE WALPURGIS („Die Todeskralle
des grausamen Wolfes“, 1973) EL ESPANTO SURGE DE LA TUMBA
(„Blutmesse für den Teufel“,
1973), LOS OJOS AZULES DE LA MUNECA ROTA („Blue eyes of the broken
doll“, 1973) und LA VENGANZA DE LA MOMIA („The Mummy’s
Revenge“, 1973).
Anno
1973 schrieb Naschy das Drehbuch für EL JOROBADO DE LA MORGUE, der
von seinem Freund Javier Aguirre inszeniert wurde, für den er
bereits den legendären Oberfürsten der Vampire in EL GRAN AMORE DEL
CONDE DRACULA (1972, Drehbuch ebenfalls von Naschy) gespielt hatte.
Für die Rolle des buckligen Gotho erhielt er gar den Méliès-Award.
In Deutschland lief dieser Klassiker des Exploitation-Kinos unter dem
herrlichen Titel DIE STUNDE DER GRAUSAMEN LEICHEN, und er stellt auch
den zweiten Beitrag unserer Paul Naschy-Filmnacht dar – ein
Machwerk, bei dem man vor Freude nur kreischen und taumeln kann.
Auch hierzu gab Frank Trebbin seinen Senf ab:
„Bemüht
sich einmal der Betrachter und kratzt an der exploitationhaften
Oberfläche von „Die Stunde der grausamen Leichen“ so kommt ein
Horrorfilm zum Vorschein, der die poetischen Momente von DER GLÖCKNER
VON NOTRE DAME mit den Body-in-Pieces-Fantasien der letzten
FRANKENSTEIN-Filme der britischen Hammer Films verbindet. Aus der
Sicht des Erfüllungsgehilfen eines typischen Mad Scientists wird
eine Geschichte erzählt, die natürlich kaum einiger kruder Details
bzw. sadistischer Einfälle entbehrt.“
Schließlich
war es soweit, dass Naschy selber auf dem Regiestuhl Platz nahm und
seine eigenen Skripte verfilmte.
Hierzu
zählten der Hexenfilm INQUISICIÓN (1976), der Sex-Thriller EL
HUERTO DEL FRANCES (1977), die Erotik-Schmonzette MADRID AL DESNUDO
(1978), der Inquisitions-Horrorthriller EL CAMINANTE (1979), der
Söldner vs. Mutanten-Trasher EL CARNAVAL DE LAS BESTIAS (“Human
Beasts”, 1980), das Waldemar Daninsky-Vehikel EL RETORNO DEL
HOMBRE-LOBO (“Return of the Wolfman”, 1981), der gelungene
Gothic-Grusler LATIDOS DE PÁNICO (“Heart Beat”, 1982), die
Fantasy-Samurai-Werwolf-Mischung LA BESTIA Y LA ESPADA MÁGICA (“The
Werewolf and the Magic Sword”, 1983), EL AULLIDO DEL DIABOLO (“Howl
of the Devil”, 1987) und das Selbstjustiz-Drama LA NOCHE DEL
EJECUTOR (“Night of the Executioner”, 1992). Sein Schwanengesang
war der äußerst billig auf Videomaterial gedrehte EMPUSA (2010),
der – man muss es leider sagen – kein sonderlich glorioser
Abschied wurde.
Im
Jahr 2009 spielte Naschy die Hauptrolle in dem zweiteiligen, von H.P.
Lovecraft inspirierten Horrorfilm LA HERENCIA VALDEMAR, was sein
letzter Leinwandauftritt werden sollte. Am 30. November 2009 verstarb
Jacinto Molina Alvarez in seinem Haus in Madrid an den Folgen einer
Krebserkrankung. Sein filmisches Erbe wird uns für immer erhalten
und unvergessen bleiben. Gemeinsam mit Boris Karloff, Christopher Lee
und Peter Cushing ist Paul Naschy eine der großen Ikonen des
europäischen Horror-Kinos.
Descanse en paz, Señor Lobo.
Besonders
hinweisen möchten wir auf das exzellente
Buch „Muchas Gracias, Señor Lobo“
von Thorsten Benzel.
Im
Übrigen haben auch zwei Drittel unseres Clubvorstandes im September
Geburtstag und werden zu diesem Anlass ein zünftiges Fass aufmachen!
(Unser
hauseigener Hobbychirurg und Koch Dr. Säge will eventuell auch etwas
kochen, ob er diese Drohung wahrmacht, steht jedoch noch nicht fest.
„Irgendwas, das nach Fisch stinkt, wie alles aus Spanien“,
knurrte er auf Anfrage…)
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.