Filmclub Bali
   
 

SCHÖN, NACKT UND LIEBESTOLL

("Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile", Italien 1972) R: Roberto Bianchi Montero

In den Kreisen der Oberen Zehntausend geht ein Killer um. Sein Modus Operandi: schöne und vor allem untreue Ehegattinnen werden bespitzelt und ihre libidösen Fehltritte fotografiert, um sie hernach mit dem Messer zu meucheln. Die in flagranti erstellten Schnappschüsse findet man fein drapiert neben den Leichen. Unter den Frauen der gehobenen Gesellschaft geht die Angst um – keine ist unschuldig, jede kann es treffen. Denn alle sind sie schön, nackt und liebestoll! Kommissar Capuana (Farley Granger) ist zunächst ratlos, vermutet den mysteriösen Täter jedoch im Umfeld der Opfer. Kann er weitere Morde verhindern? Ist seine eigene Frau ihm treu? Ein Wettlauf gegen die Zeit und den Tod beginnt...
Schön, nackt und liebestoll
"Bekenntnisse eines Triebtäters an den Leiter der mobilen Einsatztruppe", wie der sperrige O-Titel in der deutschen Übersetzung heißt, wurde unter der knackigeren Franchise SCHÖN, NACKT UND LIEBESTOLL in die damaligen Bahnhofskinos geschwemmt – wohl mit der Absicht, dem Zuschauer einen Sexfilm unterzujubeln. Stattdessen handelt es sich bei Roberto Bianchi Monteros Film um einen waschechten Giallo, der alle handelsüblichen Zutaten des Genres zu einem durchaus schmackhaften Eintopf verquirlt. Dank der löblichen "Italian Genre Cinema-Collection" aus dem Hause Camera Obscura kann der Connaisseur sich diese seltene Perle nun erstmals in ungeschnittener und restaurierter Form ins heimische Wohnzimmer holen.
Bereits der kreative Vorspann umschmeichelt die entzündeten Augen mit bunten Pop-Art-Farbspielen, das wunderbare Titelstück von Giorgio Gaslini besorgt den dazu passenden Hörschmaus.
Dann geht es direktemang ins Eingemachte: Die Kamera verweilt auf nacktem Frauenfleisch, kaltblütig zerschnetzelt von unbekannter Killerhand. Der erste Auftritt des Hitchcock-erprobten Farley Granger mit einigen namenlosen Leichenbeschauer liefert gleich Anlass für den ersten schmierigen Dialog des Films: "Habt ihr sonst noch was gefunden?" "Jo, ´ne Kollektion Puderdosen." "Na, gepudert hat sie ja wohl ganz schön, haha!"
Oha. Solcherlei denkwürdige Dialoge werden im weiteren Verlauf noch zahlreiche folgen (zumindest in der deutschsprachigen Fassung), zartbesaitete Gemüter seien vorgewarnt.
In technischer Hinsicht bietet der Film eher solide Durchschnittsware – die Raffinesse eines Bava oder Argento sollte man nicht erwarten. Zumindest Marcus Stiglegger weist aber im Audiokommentar auf die zuweilen gelungene Ausleuchtung, dezente Farbspielereien (Betonung von Primärfarben) und den geschickten Einsatz von Zeitlupe hin. Wirklich bemerkenswert ist z.B. die erste Mordszene am Strand, als der Täter sein Opfer jagt und die komplette Szene in Zeitlupe aufgelöst wurde. Stiglegger referiert im Audiokommentar über den "Eternal Instant" von Zeitlupenaufnahmen, das Peckinpahsche "Fixieren des Augenblicks in der Ewigkeit" und die Darstellung der "Überempfindlichkeit der Sinne im Moment der Krise." Äußerst gelungen ist auch eine spätere Sequenz, als das Opfer den Mörder in einem Badezimmerspiegel hinter sich entdeckt, der zuvor von Wasserdampfkondensat verhüllt war und daraufhin eine Wendeltreppe hinaufgejagt wird, an deren Ende sie ihr Dasein aushaucht.
Unbedingt lobenswert ist auch der stimmungsvolle Score vom Jazz-Komponisten Giorgio Gaslini, der auch zusammen mit der Gruppe GOBLIN die Musik zu PROFONDO ROSSO zauberte.
Das recht durchwachsene Drehbuch gewinnt sicherlich keine goldenen Hackebeile für besondere Innovation, zumindest wird aber auch keine Langeweile verbreitet. Bluttat folgt im Sauseschritt auf Bluttat, und da die Geschehnisse größtenteils recht ansprechend inszeniert sind und viel nackte Haut die Leinwand ausfüllt, wird der Zuschauer angenehm bei der Stange gehalten (hüstel!). Einige "Streckszenen" muss man zwar ertragen, hier und da tritt die Narration etwas unbeholfen auf der Stelle und das Auslegen geschickter falscher Fährten gehört auch nicht unbedingt zur Stärke des Skripts – aber unter solchen Missständen leiden etliche Gialli.
Beim optischen Erscheinungsbild des Messermörders bedient sich der Film recht offensichtlich beim ikonischen Vorbild des Killers aus Bavas BLUTIGER SEIDE – schwarze Lederhandschuhe, Hut, Trenchcoat und Strumpfmaske. Nur ist die Maske hier ebenfalls schwarz, statt weiß. Die blutigen Morde sind recht pittoresk und werden stilsicher mit dem Klappmesser ausgeführt.
Wie in zahlreichen anderen Gialli steht auch in SCHÖN, NACKT UND LIEBESTOLL die dekadente Upper-Class im Fokus der Ereignisse. Die Damen der Bourgeoisie werden als hedonistische, unterleibszentrierte Schlampen gezeichnet, die ihren reichen Männern auf der Tasche liegen und sich in Beauty-Parlors und Friseursalons vergnügen
Gegen Ende gelingt es der etwas unbeholfenen Geschichte dann wirklich, eine manierliche Spannung zu erzeugen – und zwar mit dem berüchtigten Telefonat, das dem Film seinen (Original-)Titel verleiht. Die detektivische Glanzleistung, aus der Kommissar mittels dieses Gesprächs dann die Identität des Killers kombiniert, wirkt aber doch etwas arg konstruiert und holprig.
Diskussionswürdig wären eventuell die etwas mittelalterlich anmutenden Moralvorstellungen der Geschichte, wie sie im konservativen Italien der damaligen Ära aber nicht weiter verwundern. Das Brechen des kirchlichen Gebots der ehelichen Treue durch die promiskuitiven Ehefrauen, so könnte man argumentieren, verleiht dem Killer eine Legitimation für seine Taten – ein Postulat, dessen sich ja auch die amerikanischen Verwandten des Slasher-Films bedienen: Wer fickt, wird zerhackt. In fast biblischer Geißelungsmanier wird das Weib als Ursprung aller Sünde und Befleckerin der heiligen Institution Ehe entlarvt. Dieser "Ethik" folgt der Film konsequenterweise bis zum bitteren Ende, das eine echte Dampframme ist. Hier geht es nicht mehr um die Tugenden von "gut und böse, richtig und falsch" – hier wird dem Betrachter eine doch etwas fragwürdige und alttestamentarische Kirchenmoral untergeschoben.
Es ist aber dem Spaß zuträglicher, den Film aus dem historischen und soziologischen Kontext zu lösen und ihn mit unideologischen Augen zu sehen – dann ist er nämlich eine mitunter herrlich schmuddelige "Guilty Pleasure"-Erfahrung.
Die deutsche Synchronisation ist stellenweise ein Gnadenhammer, der seinesgleichen sucht. Hierfür gibt es zahllose Beispiele, mein persönlicher Favorit ist aber die Szene auf der Polizeiwache, bei der "warme Brüder" und "Nutten" sich einen Schlagabtausch liefern, der derart unfassbar ist, daß ich zurückspulen musste, da ich glaubte, nicht recht gehört zu haben:
Tunte: "Ich steh einfach nicht auf Weiber und hab seit meiner Entwöhnung nie wieder ´ne Titte angepackt!"
Bulle: "Sei doch ehrlich! Du hasst alle Frauen! Es ist doch so, Cleopatra, oder?"
Tunte: "Aaach was, ich bin der Meinung alle Menschen sollten Brüder werden, und zwar warme! Und wieso quatscht ihr immer von ´nem Mörder, es kann doch auch ´ne Schickse gewesen sein!"
Bulle: "Natürlich. Oder ein Arschficker wie du."
Tunte: "Apropos, wenn du kein Bulle wärst, könnt ich direkt schwach werden!"
(Auftritt Farley Granger)
Tunte: "Hee, Kommissar, können wir Ihren Gesellen hier nicht umschwulen?"
Nutte: "Den sollte man auch umficken!"
Un-fass-bar!!
Ich frage mich immer wieder, was in den Hirnskästen der damaligen Synchronautoren wohl vor sich ging oder aus welchen verkommenen Bahnhofspinten und Bierschwemmen diese Schreiberlinge rekrutiert wurden. Augenscheinlich ist jedenfalls, daß die Genrefilme der Epoche nicht sonderlich ernst genommen und generell als Abfallprodukt behandelt wurden. Den Trash-Gourmet erfüllt dies natürlich mit Wohlgefallen, wenn auch eher unbeabsichtigt. Das italienische Original verströmt jedenfalls eine gänzlich andere Atmosphäre, die Grundstimmung des Films ist bierernst, teilweise sogar niedergeschlagen. Mitunter gibt das Skript sich regelrecht wortkarg, während die deutsche Fassung fröhlich drauflos plappert.
Den Kommissar Capuana gibt uns der legendäre Hollywoodstar Farley Granger, der anno dunnemals mit Altmeister Hitchcock bei COCKTAIL FÜR EINE LEICHE und DER FREMDE IM ZUG zusammenarbeitete – in gesetzten Jahren zog es ihn dann nach Italien, wo der in Filmen wie ALLA RICERCA DEL PIACERE (aka HOT BED OF SEX aka LEATHER AND WHIPS) oder Dallamanos DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER mitspielte.
Granger macht seine Sache durchaus ordentlich – mitunter haftet seiner Rolle etwas subtil Tragisches an, das er hervorragend transportiert. Wie er wohl auf den offen homophoben Humor des Streifens reagiert haben mag, bleibt Spekulation; schließlich ist Granger selber schwul und lebt seit 50 Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung.
Neben Granger ist vor allem die durchweg ansehnliche Damenriege bemerkenswert, denn hier gibt es zahlreiche Augenweiden für die Skopophilen unter uns zu belechzen. Das erste Opfer des Mörders wird von der liebreizenden Femi Benussi gegeben – dieser Mord ist auch in filmischer Hinsicht herausragend, denn es handelt sich um die bereits erwähnte Zeitlupen-Massakrierung am Strand. Außerdem gibt es noch Annabella Incontrera und die stets gern gesehene Susan Scott alias Nieves Navarro zu bewundern. Mein persönlicher Liebling unter den Schönen, Nackten und Liebestollen ist die rassig-rothaarige Österreicherin Krista Nell, die leider drei Jahre später an Leukämie starb. Die Ehegattin von Capuana wird von der aparten Sylva Koscina gespielt, die ursprünglich aus Kroatien stammt.
Der gestandene Silvano Tranquilli hat nicht nur die Rolle eines Anwalts übernommen, er darf sich auch mit Nieves zwischen den Laken wälzen. Besonders erwähnenswert ist natürlich der einzigartig morbide Luciano Rossi (u.a. bekannt aus den Luciano Ercoli-Giallo, als "Quasimodo" in CAMORRA – EIN BULLE RÄUMT AUF und zahllosen anderen) in der Rolle des nekrophilen Leichenbestatters, der im Film bereits recht früh als Tatverdächtiger eingeführt wird – ein "Roter Hering", denn man schnell als solchen durchschaut. Mir ist er besonders durch seine manische Darbietung in DJANGO UND DIE BANDE DER BLUTHUNDE in Erinnerung geblieben. Laut Kessler ließ er sich in Edoardo Mulargias FOLTERCAMP DER LIEBESHEXEN ohne Double fellationieren, was ihn zumindest zu einem Schauspieler macht, der seinen Beruf mit Leidenschaft ausübte.
Ein Wort noch zu den "Hardcore-Szenen", die in der US-Fassung des Films mit dem zweideutigen Titel PENETRATION, zu bestaunen sind: Ein gewiefter amerikanischer Produzent ließ einige Rödeleien mit drittklassigen Sexakteuren ablichten, schnitt sie in Monteros Film und bewarb das Ergebnis als "Porno mit Farley Granger". Der betagte Schauspieler war davon weniger amüsiert und verklagte den Produzenten, wonach die Ferkelfassung vom US-Markt verschwinden musste. Aus lizenzrechtlichen Gründen veröffentlichte Camera Obscura nun die "geschnittene" Version ohne Porno-Inserts – was ja auch die ursprünglich von Montero beabsichtigte Schnittfassung ist.
Der Schelm Kessler kommentiert dies im Audiokommentar wie folgt: "Ich hätte es sehr lustig gefunden, wenn die Firma vom über 80 Jahre alten Farley Granger verklagt worden wäre und die gesamte DVD-Edition dann eingestampft hätte werden müssen. Das wird nun leider nicht geschehen."
Grins. Seien wir froh darüber!
Apropos: Eine besondere Huldigung verdient der sehr informative und vergnügliche Audiokommentar der beiden Filmgelehrten Marcus Stiglegger und Christian Kessler. Auffallend daran ist, dass Stiglegger eher mit fachmännischer Ernsthaftigkeit zuwerke geht und gerne doziert, während Kessler die Angelegenheit mit seinem speziellen Humor ("Titten!") erfolgreich vor allzu ausufernder Trockenheit bewahrt. An einer Stelle schnäuzt er sich sogar enthemmt die Nase (voll ins Mikro!) und gibt öfters einige seiner prallen Anekdoten zum Besten, die ja stets für Stimmung sorgen. In jedem Fall sind diese Audiokommentare eine lehrreiche und amüsante Dreingabe, die man auch bei zukünftigen Veröffentlichungen nicht missen möchte!
Fazit: SCHÖN, NACKT UND LIBESTOLL gehört gewiss nicht zu den Glanzlichtern des Genres, dafür ist die Macht der Konkurrenz einfach zu groß. Er bewegt sich vielmehr im gehobenen Mittelfeld – um zu den Giallo-Größen zu zählen, mangelt es ihm an Spannung, originellen Einfällen und einem überzeugenden Drehbuch. Trotzdem wird hier recht solide Kost serviert, die lediglich etwas an Würze vermissen lässt.
Aber ganz egal wie gut oder schlecht der Film ist – was letztendlich dem subjektiven Geschmack unterliegt – so muss man doch dem wunderbaren Label Camera Obscura tiefen Dank zollen für die Veröffentlichung dieses vergessenen Kleinods. Die Aufmachung der DVD ist prächtig und stilvoll, der Film wird in brillanter Qualität dargereicht. Das Sahnehäubchen sind die üppigen Extras und der bereits großzügig mit Lorbeer gekrönte Audiokommentar.
Lieblingszitat des Films:
"Das erste Mal gestorben und gleich tot! Hähä."
Lieblingszitat des Audiokommentars:
"Später drehte er [Roberto Bianchi Monteros Sohn Mario Bianchi] dann Filme wie DER GEILE TAXI-FICKER und... naja... (Pause)... da weiß man gar nicht, was man sagen soll."
- Pelle -





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