Filmclub Bali
   
 

REQUIEM FOR A VAMPIRE

(„Vierges et vampires“, Frankreich 1971) R: Jean Rollin

Der letzte Vampir, angewidert von der Bestie Mensch

Ein junger Mann und zwei junge Frauen rasen mit dem Auto durch die Landschaft. Sie werden von einem anderen Fahrzeug verfolgt, Schüsse fallen, der junge Bursche wird getroffen. Marie (Marie-Pierre Castel) und Michelle (Mireille Dargent) biegen in einen Feldweg ein, die Verfolger sind sie damit los. Ihr Begleiter stirbt an der Schussverletzung, die Mädchen setzen das Auto und den Toten in Brand. Die Flucht geht per Motorrad weiter, doch bald macht die Kiste schlapp. Zu Fuß geht es durch Felder und Wälder, auf einem kleinen Friedhof kommt es zu einem Zwischenfall, der glücklicherweise glimpflich verläuft. Schließlich erreichen Marie und Michelle ein altes Kastell, wo sie zu ihrer Überraschung ein sehr einladendes Nachtlager vorfinden. Doch die Ruhe währt nicht lange. Aufgescheucht durch merkwürdige Geräusche, gerät das Duo in einen grotesken Albtraum. In dem alten Gemäuer residiert ein Vampir, umgegeben und umsorgt von seinen Schergen. Bizarre Rituale spielen sich ab, die verstörten Mädchen sollen der Gefolgschaft des Blutsaugers zugeführt werden...
Requiem Vampire
Die kurze Inhaltsangabe zu "Requiem pour un Vampire", lässt ohne Zweifel Rückschlüsse auf einen Gothic Horror Beitrag zu. Aber Jean Rollin wäre nicht Jean Rollin, wenn er Hammer und Amicus, Mario Bava oder Paul Naschy kopieren würde. So unterschiedlich bereits die Werke der aufgezählten Firmen und Regisseure sind -man vergleiche Bava mit Naschy- Jean Rollin hat eine ganz eigene, andere Sicht auf die Dinge. Ab und an lockt uns Rollin auf eine falsche Fährte. Zum Beispiel im Moment, in dem der Vampir zum ersten Mal auftaucht, wähnt man sich tatsächlich für Sekunden in einem typischen Gothic Horror Streifen. Umgehend wischt Rollin dieses aufkommende Gefühl zur Seite, inszeniert wieder auf seine eigenartige, einzigartige Weise. Das faszinierende an diesem Film ist die unglaublich intensive, nahezu surreale Atmosphäre, die Rollin aus vordergründig unspektakulären Motiven zaubert. Wenn sich die Handlung nach einiger Zeit in das alte Gemäuer verlagert, ist die Erzeugung solcher Stimmungen nicht überraschend. Rollin gelingt dies aber bereits zuvor, allein durch sein Gespür für Motive und die richtige Position der Kamera. Da werden selbst vermeintlich banale Momente, in denen die jungen Frauen durch ein Feld laufen, zur gefilmten Poesie von unfassbarer Anmut. Ganz ohne Effekte oder Spektakel (abgesehen vom lauten Auftakt), ja zunächst gar ohne Dialoge. Lediglich der sehr stimmungsvolle Score wirkt zusätzlich verstärkend, ansonsten dominiert die Schönheit der Schlichtheit, die Schlichtheit der Schönheit...?¿ (Die zu keiner Sekunde schlicht wirkt. Es mag abgedroschen klingen, aber mit Worten lässt sich dieses Filmerlebnis nicht beschreiben, packen oder angemessen erfassen!)
Überhaupt ist der Film eine prall gefüllte Wundertüte, deren Inhalt lustvoll über den erwartungsvollen Zuschauer prasselt. Rollin steigt mit einer recht wilden Autoverfolgsjagd samt Ballerei ein. Dann dürfen wir die Mädchen bei ihrer weiteren Flucht genießen. Eine kleine Verführungseinlage hier, ein Sturz ins Grab dort, bis sich die jungen Körper schließlich über die uralten Gemäuer ergießen, die Aufmerksamkeit des Bösen erregen. Doch wer ist wirklich "böse", wer ist tatsächlich "erregt"? Kennt man den Vampir sonst als Konzentrat aus Lust, Verführung und Verdorbenheit, fällt diese Rolle hier von ihm ab. Seine Schergen sind zügellos, gierig und bösartig, der Vampir selbst eine zurückhaltende, ja fast zerbrechlich wirkende Person. Bei genauer Betrachtung eine tragische Figur, gefangen in Melancholie und angeekelt von den Umtrieben seiner Geschöpfe. Diese unvollkommenen Geschöpfe, die längst nicht die ursprüngliche Kraft, den Charakter ihres Schöpfers, Mentors und Meisters geerbt haben. Er sei zu alt und zu schwach, so sinniert der einstige Fürst der Nacht, er könne seine Kraft nicht mehr auf seine Zöglinge übertragen. Sie werden nie wie er werden, sie bleiben Menschen, Menschen die lediglich in ihrer Ruchlosigkeit und Perversion gewachsen sind. Der letzte Vampir, ein melancholisches Wesen, erfüllt von der Sehnsucht nach ewiger Ruhe, Frieden, Stille. Die letzten Szenen -ich sehe in diesen Zeilen nicht die Gefahr von Spoilern- sind Melancholie pur, drücken aber nicht plump auf die Tränendrüse.
Jean Rollin sagt selbst, "Requiem pour un Vampire" sei auch von alten Comics beeinflusst, die er schon als Kind liebte. Ebenso offensichtlich sind Einflüsse aus der Ära des Stummfilms. Dieser Eindruck entsteht weniger durch die geringe Anzahl von Dialogen. Es sind vielmehr die herrlich schrillen Kostüme, das skurrile Makeup samt überlangen Fangzähnen, sowie das liebenswerte Overacting, die den Zuschauer an die Zeit vor dem Tonfilm erinnern. Freilich stehen die zahlreichen Nackt- und Erotikszenen im Kontrast zu diesen Eindrücken, doch erstaunlicherweise fügen sich diese Gegensätze(?) auf wundersame Weise stimmig zusammen. Erneut muss ich auf den wundervollen Soundtrack hinweisen. Der Komponist namens Pierre Raph trifft immer den richtigen Ton. Egal ob sein Score eher psychedelisch flirrt oder klassisch angehaucht jubiliert, stets werden die jeweiligen Szenen perfekt untermalt. Wobei mir "untermalt" nicht als passendes Wort erscheint. Die Musik verschmilzt mit den Bildern zu einer wunderschönen Gesamtkomposition, Bilder und Töne gehen eine fruchtbare Symbiose ein.
Stundenlang könnte ich mich in Schwärmerein über diesen Film ergehen. "Requiem pour un Vampire" erobert mein Herz auch deshalb im Sturm, weil Rollin sich weit, weit vom Mainstream abhebt, sich aber nie zu verquaster, pseudointellektueller Sülzerei hinreißen lässt, mit deren Hilfe man den Dampfhammer-Schreiberlingen des "Fülletong" in den Arsch kriecht. "Requiem pour un Vampire" ist ein ganz wundervolles und liebenswertes Filmerlebnis der besonderen Sorte. Ein echtes Kleinod, voller Momente die sich tief im Herzen und der Seele verankern. Wen es kalt lässt, wenn Louise Dhour in der Nacht auf dem Friedhof auf dem Flügel spielt... dem ist vermutlich nicht mehr zu helfen. Dann wäre da noch Marie-Pierre Castel, die blonde Versuchung mit diesen unglaublichen Augen, dem sinnlichen Mund. Zart wie ein sanfter Windhauch, der an den ersten Tagen des Frühlings über meine Wangen streicht... (Hrrrmmmrrm! Heute eine Überdosis eingeworfen?) Ihre Begleiterin Mireille Dargent, nicht annährend so schön wie Marie-Pierre, doch auf eigenwillige Weise kaum minder anmutig und sinnlich... (Jaja, nun soll es genug sein!)
Um ein wenig Boden unter den Füßen zu gewinnen, möchte ich flugs zu den nüchternen Fakten kommen. Zu "Requiem pour un Vampire" existieren weltweit diverse DVD-Veröffentlichungen. Der deutsche Markt erweist sich leider als unbespielt, im englischsprachigen Raum trägen die Auswertungen den Titel "Requiem for a Vampire". Die wohl schönste Veröffentlichung stammt aus den Niederlanden. "Requiem pour un Vampire" kommt von Encore als "3-Disc Collector's Edition" ins Haus, die DVDs stecken in einem schicken, aufklappbaren Digipak. Das Digi ist in einem nicht minder hübschen Schuber verstaut, dem Set liegt ein üppiges Booklet (64 Seiten) bei. Der Bonusbereich bietet interessante Interviews, alternative Szenen, Trailer und weiteren Stoff. Der Ton liegt im französischen Original vor, ergänzt durch die englische Synchronisation. Untertitel sind in zahlreichen Sprachen an Bord, auch deutsche Zeilen lassen sich auf Wunsch zuschalten. Ok, man hätte die Boni auch komplett auf der zweiten DVD unterbringen können. Anstatt einer dritten DVD, wäre z.B. der Soundtrack auf CD eine vortreffliche Beigabe gewesen. Trotzdem gilt: Wer ein wenig tiefer ein die Tasche greifen möchte, tätigt mit dem prachtvoll gestalteten Set von Encore den bestmöglichen Kauf!
Für aufgeschlossene, entdeckungsfreudige Filmfreude -aber nur für diese Gattung- lohnt sich die Entdeckung von "Requiem pour un Vampire". Ein wundervolles Filmerlebnis! Die Bewertung per Zahlenraster bereitet mir erneut große Qual. Aber bitte: 8,5/10 (sehr gut bis überragend, mit Spielraum nach oben!)
Lieblingszitat:
"Lass uns in die Gruft gehen."
- Blap -





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