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ONIBABA – DIE TÖTERINNEN

("Onibaba", Japan 1964) R: Kaneto Shindô

Japan während der von Bürgerkriegen zerrütteten Sengoku-Ära (1477-1573): Zwei Frauen (eine Mutter, deren Sohn im Krieg kämpft und ihre junge Schwiegertochter) führen in einem riesigen Grasfeld an einem Fluss das Dasein von Bestien. Um zu überleben töten sie Samurais, die sich in die Graseinöde verirrt haben mit Speeren, werfen die entkleideten Leichen in ein bodenloses Erdloch und verhökern die Rüstungen und Waffen an einen Hehler.
Da kehrt Hachi, der Freund des Sohnes bzw. Ehemannes aus dem Krieg zurück und berichtet vom Tod des Kameraden. Sie seien in einen Hinterhalt des Feindes geraten, nur Hachi sei mit dem Leben davongekommen und geflohen. Die Mutter nennt ihn einen Feigling und Verräter und gibt ihm die Hauptschuld am Tod des Sohnes, die junge Ehefrau nimmt die Nachricht eher apathisch hin. Es dauert nicht lange, da meldet sich Hachis fleischliche Begierde zu Wort und er demonstriert offenes Interesse an der jungen Frau, die nach anfänglichem Zögern seiner Werbung nachgibt. Jede Nacht schleicht sie sich vom Schlaflager und verbringt mit Hashi leidenschaftliche Stunden in seiner Hütte. Als die Mutter ihr auf die Schliche kommt, fürchtet sie, daß die Schwiegertochter sie allein lassen und zu ihrem Geliebten ziehen wird. Sie ersinnt einen Plan, wie sie die allnächtlichen Schäferstündchen verhindern kann. Ihr Plan nimmt Gestalt an, als ein mysteriöser Samurai mit einer Dämonenmaske auftaucht...
Onibaba - Die Töterinnen
Niemand, der ONIBABA gesehen hat, wird jemals die Intensität der ersten zehn Minuten dieses meisterlichen Films vergessen können. Ohne daß ein einziges Wort gesprochen wird, werden wir Zeuge der völligen Entmenschung von Mutter und Schwiegertochter. Im ständig wogenden Meer des hohen Susuki-Grases erstechen sie zwei Samurai, fallen über sie her und reißen ihnen die Rüstungen vom Leib und werfen die toten Körper danach in das gähnende Loch im Boden. Danach taumeln sie in die karge, enge Hütte, schlürfen gierig Wasser und stopfen Hände voller Reis in sich hinein, um schließlich wie tot aufs Schlaflager zu fallen. Vom Soundtrack ertönen dazu donnernde Taikô-Trommeln und krächzende Schreie.
ONIBABA ist ein Film der Gegensätze: Extreme Close-Ups wechseln sich mit weiten Panoramabilder ab, schwer lastende Stille mit lärmender Musik, streng präzise Bildkompositionen mit hektischer Handkamera, poetische Schönheit mit explosiver Gewalt. Mutter und Schwiegertochter führen in der isolierten Welt des Grasmeeres das Leben von Menschen, die der Wille zum Überleben auf die Ebene des Tieres gezwungen hat. Es gilt nichts weiter, als das Gesetz des Tötens oder Getötet werden. Letztendlich transportiert Shindô die Geschichte aber auf eine höhere Ebene, indem er das grundmenschliche Bedürfnis des Überlebens durch Fortpflanzung (durch Liebe?) dem selbstzerstörerischen Kreislauf des Tötens voranstellt.
Die brillanten Bilder, virtuos fotografiert in krassen Schwarzweiß-Kontrasten, sind wie Gemälde – jede Kameraeinstellung ein Meisterstück.
Das Drehbuch spielt zwar im Mittelalter, wirkt aber in seiner minimalistischen Eleganz absolut zeitlos und könnte eben so gut in einer postapokalyptischen Dystopie angesiedelt sein.
Die Handlung kreist stets dicht um die drei Protagonisten und dringt tief in deren Psyche ein, beleuchtet die Schattenzonen ihrer Ängste, Begierden und zerbrechlichen Hoffnungen. Damit funktioniert ONIBABA als Parabel auf das menschliche Dasein schlechthin. Die Metaphorik des Grasmeers, der entwurzelten Menschen, die ihrer Humanität immer mehr abhanden kommen und des schwarzen Lochs ist simpel, aber höchst effektiv. Der Symbolik des Susuki-Grases kommt dabei eine besondere Stellung zu: mal wirkt das wogende Grün einlullend und schmeichelnd, ein anderes Mal fungieren die Gräser als Peitschen, die das sündige Fleisch zu geißeln scheinen.
ONIBABA ist kein schöner Film. Er ist düster, deprimierend und geradezu schmerzhaft existentialistisch. Man riecht förmlich das Blut, den Schweiß, das Aas, die Scheiße. Dabei moralisiert Shindô zu keiner Sekunde des Films; er zeigt lediglich Ursachen und Wirkungen. Die Sexszenen sind für die damalige Zeit ungewöhnlich explizit und wären im westlichen Kino des Jahres 1964 völlig undenkbar gewesen.
Die Frauen werden von Nobuko Otowa (die Mutter) und der damals gerade 19jährigen Jitsuko Yoshimura (die Schwiegertochter) gespielt, der fahnenflüchtige Hachi wird von Kei Satô gegeben. Alle drei liefern hier Glanzleistungen von besonderem Format ab, speziell die dämonische Otowa weiß zu beeindrucken. Regisseur Kaneto Shindô hat in seiner Karriere über 40 Filme gedreht, leider kenne ich außer ONIBABA aber nur den hervorragenden Horrorfilm KURONEKO, in dem es ebenfalls um teuflische Weiber geht.
Der Film lief meines Wissens bereits mehrfach im TV, eine deutsche DVD liegt leider nicht vor. Die derzeit beste DVD-Veröffentlichung stammt aus dem britischen Hause Eureka und bietet ein perfektes Bild, leider aber einen etwas kratzige Tonspur (OF mit optionalen engl. UT). Dazu gibt es ein sehr lesenswertes und schön gestaltetes 24-seitiges Booklet, das Bonusmaterial beinhaltet den Originaltrailer, eine Bildergalerie und einen hochinteressanten Audiokommentar, der von Shindô, Yoshimura und Satô eingesprochen wurde.
- Pelle -





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