Filmclub Bali
   
 

METROPOLIS 2000

("I Nuovi Barbari", Italien 1982) R: Enzo G.Castellari

Die Welt im Jahre 2019, nach dem nuklearen Holocaust: Die ganze Erde ist ein Schotterplatz. Der wird beherrscht von den garstigen "Templars", einer Art Endzeit-Sekte, deren Ziel es ist, den kläglichen Rest der Menschheit vom Antlitz des Erdenrunds zu tilgen. Angeführt werden sie von dem grimmigen "One" (George Eastman), der einer Gruppe von "Siedlern" das Dasein zur Hölle macht. Dies ruft den Outlaw "Scorpion" (Giancarlo Prete) auf den Plan, der noch das ein oder andere Hähnchen mit den Templars zu rupfen hat. Unterstützung erfährt er bei dieser Mission durch ein blondes Jüngelchen mit Fletsche und einem streitlustigen Afroamerikaner mit Pfeil & Bogen namens "Nadir" (Fred Williamson). Nachdem Scorpion die Reihen der Templars empfindlich ausgedünnt hat, wendet sich das Blatt: Er wird gefangen genommen und einer peinlichen Bestrafung ausgesetzt. Wird es seinen Freunden gelingen, unseren Helden zu befreien und den Bösewichten ordentlich einzuheizen?
Metropolis 2000
Es wurde ja bereits in etlichen anderen Rezensionen ausführlich erwähnt: 90% des Films wurden in einer Kiesgrube und einem Steinbruch gedreht. Das Tolle daran ist aber: Es schadet dem Resultat nicht im Geringsten! (Die übrigen 10% wurden offenbar auf der Landebahn eines Sportflugplatzes heruntergekurbelt – einfach herrlich!)
Die kurzweilige Sause wurde von Castellari – wie gewohnt – recht solide und mit Sinn für stimmige Action inszeniert. Die zahlreichen Ballereien und Sprengstoff-Gefechte sind kunstvoll in Peckinpahsche Zeitlupenbilder aufgelöst, die Autoverfolgungsjagden kommen sehr schnittig und temporeich daher. Überhaupt rummst und kracht es an allen Ecken und Enden: an Explosionen wurde nicht gegeizt, und Körper fliegen im Dauertakt durch die Gegend. Auch jede Menge appe Köpfe segeln durch die Luft, die aber meistens noch in weißen Mopedhelmen stecken. Nadir trägt einen hübschen vergoldeten Armreif mit einer breit gefächerten und kunterbunten Kollektion von Sprengköpfen für seine Pfeile – irgendwie haben sie aber allesamt dieselbe Wirkung: sie lassen Körper auf effektive Weise auseinander platzen.
Die Struktur des Drehbuchs ähnelt dem typischen Italowestern: Fremder reitet in Stadt und verbündet sich mit armen Underdogs gegen brutale Unterdrücker, gerät in Gefangenschaft und wird durch Foltermühle gedreht, wird von Helferlein befreit und putzt im Endkampf (mit Unterstützung der Underdogs und des Helfers) die Unterdrücker weg. Statt Pferden gibt´s hier halt dulle Karren, und statt Colts Zwillen und Flitzebogen. Die Western-typische Martereinlage des Helden hat hier auch ihre Entsprechung gefunden, wenn auch in recht ungewöhnliche und drastischer Ausprägung: Der gefesselte Scorpion wird von One vor versammelter Mannschaft rektal rangenommen! Dafür rächt er sich aber beim finalen Endkampf auf angemessene Weise...
Im Finale trägt Scorpion sogar eine Art Poncho, worunter er aber einen rattenscharfen Körperpanzer aus transparentem Hartplastik verbirgt, der bestimmt der Hit auf jeder Gay-Party wäre.
Apropos: Der ungekrönte Höhepunkt des Films sind die Kostüme und Kulissen – die sind eine einzige Wolke! Die Templars tragen vorwiegend weiß mit dick aufgeplusterten Schulterpolstern und S&M-Geschirren. Scorpion kommt eher bodenständig rüber, mit Lederbuchse und Hippie-Fellweste. Die Ausstatter haben an Plastikfolie und PVC nicht gespart. Teilweise wurden auch bereits vorhandene Industrieanlagen sinnvoll in den Kontext mit eingearbeitet, ohne weiter aufzufallen. Aber das Allerdollste sind die herrlich beknackten Karren, die selbst den Fahrzeugpark aus MAD MAX 1 & 2 alt aussehen lassen. Da hat man viel Liebe zum Detail reingebuttert – und wahrscheinlich den Großteil des gewiss nicht riesigen Budgets. Die tollkühnen Kisten verfügen über ein prächtiges Arsenal von James Bond-artigen Waffen wie überdimensionale Bohrer, Kreissägen und Raketenwerfer. Das großartigste Gefährt besitzt natürlich Scorpion: Auf dem Dach trägt es eine Halbkugel aus Plexiglas, die nachts grün leuchtet, damit man ihn auf 10 Kilometer Entfernung anbrummen sehen kann. In einer meiner Lieblingsszenen wirft ihm ein Templerscherge eine Haftbombe an die Autotür – er betätigt einen der unzähligen, bunt blinkenden Knöpfe am Armaturenbrett, wodurch die gesamte Tür vom Wagen abgesprengt wird und zum Bombenwerfer zurückfliegt. Kawumms!
Die Schauspielergarde leistet, dem Sujet angemessen, natürlich keine Glanzleistungen, weiß aber trotzdem zu begeistern. Vor allem George Eastman alias Luigi Montefiori gibt mal wieder Knallgas. Auch Fred Williamson hatte an seiner Rolle offensichtlich großen Spaß. Giancarlo Prete verwendete zwar das Pseudonym Timothy Brent, aber das muss ja nicht gleich bedeuten, daß er sich des Filmes schämte. Dazu hat er nämlich gar keinen Grund – Mel Gibson war in seiner Paraderolle nicht weniger hölzern. Als Ones rechte Hand "Shadow" firmiert Enzos Bruder Ennio Girolami, der eine etwas gemäßigtere Figur spielt und eine fürchterliche Frisur zur Schau trägt. Das Kfz-kundige Balg mit Zwille wird von Giovanni Frezza gegeben, dem blonden Kind aus DAS HAUS AN DER FRIEDHOFSMAUER, der so aussieht wie eine Puppe, die meine Schwester früher mal besaß. Wenn man der den Arm nach hinten drehte, quäkte sie "Mama!" und pinkelte sich in die Hose. (Kunststück! So reagiere ich auch, wenn man mir den Arm nach hinten dreht!)
Überhaupt gibt es in dem Film zahlreiche Doppelgänger: Der "Priester" der armen Siedler wird von Venantino Venantini (was für ein Name!) gespielt, der ein wenig wie Luigi Pistilli aussieht, und Nadir bekommt ein Betthäschen zugewiesen, die ein Ornella Muti-Lookalike ist. Giancarlo Prete selber ähnelt dem Hauptdarsteller aus der 70er-Jahre Krimiserie PETROCELLI.
Zu erwähnen wären auch noch die genial-billigen Soundeffekte und der blubbernde, fiepende Synthie-Score von Claudio Simonetti.
Ein wunderbarer Schrott, und die weltbeste Medizin gegen schlechte Laune!
- Pelle -





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