Filmclub Bali
   
 

ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN

(Deutschland 1973) R: Jürgen Roland

Die Queen Elizabeth läuft in den Hamburger Hafen ein, an Bord hochexplosive Fracht: Henry Silva alias Luca Messina, ein italoamerikanischer Mafioso mit Expansionsdrang, reckt sein stählernes Kinn über die Reling, im Handgepäck seine resolute Frau Mama (Ermelinda De Felice), seine Tochter Sylvia (Patrizia Gori) und die Gespielin Kate (Veronique Vendell). „Welch schöne Stadt", spricht er salbungsvoll. "Anders als bei uns, ganz anders. So friedlich, so gepflegt, so ruhig. Das wird meine Stadt – das schwöre ich." Mit Ruhe und Frieden ist es aber bald Sabbat, denn Messinas Konkurrent auf dem Weg nach oben ist der altgediente Hamburger Gangsterboss Otto Westermann (Herbert Fleischmann), der nicht so ohne weiteres gewillt ist, seinen Thron den „Makkaronis" zu überlassen. Messina stellt aber rasch klar, daß ihm jedes Mittel Recht ist, um Westermann ins Getreide zu fahren – auf handfeste Drohungen folgen Ohrlaschen, einem Gorilla wird der Hals angeritzt und Schutzgeldzahlungen werden gefordert. In Westermanns Kegelclub, dem „Schwarzen Pudel", wird bei Wurst und Schnaps Krisenstab abgehalten, als Messinas Horde hereinplatzt und Klarschiff macht. 40% der Einnahmen aus Prostitution und Glücksspiel werden verlangt, und: „Wem das nicht gefällt, der kann sich ´n Sarg bestellen – aber aus Zink, der genügt für euch Ratten!"
Die brenzlige Lage verschärft sich, als bei einem Boxkampf zwischen Westermanns jüngerem Sohn Karl (Wolfgang Kuhlmann) und dem importierten Preiskämpfer „Tiger", zarte Bande zwischen Erik (Horst Janson), dem älteren Filius, und Messinas Tochter geknüpft werden – sehr zum Missfallen der beiden Väter. Als Karl von den Mafiosi totgeschlagen wird, kommt es zum Äußersten. Ein handfester Bandenkrieg entbrennt in Hamburgs Unterwelt…
Zinksärge für die Goldjungen
Mitten in die Glanzzeit des deutschen „Autorenfilms", als Typen wie Achternbusch oder Kluge das Publikum mit ihren snobistischen Pseudokunst-Wichsereien malträtierten, platzt Jürgen Rolands wunderbarer ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN wie eine Splitterbombe. Einem Gutteil mitzuverdanken ist dies sicherlich dem verdienstvollen Produzenten Wolf C. Hartwig und seiner Firma Rapid-Film, auf dessen Konto so unverzichtbare Perlen wie EIN TOTER HING IM NETZ, WEISSE FRACHT FÜR HONG KONG und KARATE, KÜSSE, BLONDE KATZEN gehen. Später holte er sogar Sam Peckinpah nach Europa, um mit ihm die STEINER – DAS EISERNE KREUZ-Filme zu drehen.
Mit ZINKSÄRGE wählte er das Genre des Gangsterfilms und platzierte die Story in Hamburg – statt jedoch die typischen St. Pauli-Klischees aufzuwärmen, entschied er sich als Handlungsort für das vornehme Blankenese. Hartwig und Roland ist ein ungemein temporeicher Genre-Reißer gelungen, der blendend unterhält und keine Millisekunde seiner knapp 87 Minuten Länge langweilt. Die frappierende Ähnlichkeit zum Poliziottescho ergibt sich nicht nur durch die Anwesenheit von Henry Silva, auch die gesamte, sehr flott geratene Inszenierung gemahnt an die italienischen Vorbilder wie Umberto Lenzi oder Enzo G. Castellari. Gekrönt wird das Ganze durch ein krachendes Finale mit extrem rasant gefilmten und geschnittenen Action-Sequenzen, mörderischen Autoverfolgungsjagden durch Hamburgs Straßen und das Speicherhausviertel, einer Hatz mit Motorbooten durch den Hafen und wilden, teils recht blutigen Schießereien.
Dabei ist die parallel verlaufende Romanze zwischen Erik und Sylvia eher belangloses Geplänkel am Rande – Roland, respektive Hartwig, wollten wohl etwas Shakespeare-Flair in ihre Geschichte einwehen lassen. Im Zentrum steht die Fehde zwischen Westermann und Messina, zwei Eisenfressern der alten Schule, die sich mal mit distinguiert-bösartiger Höflichkeit begegnen, beim nächsten Mal die Fäuste und Kanonen sprechen lassen. Es geht allerhand zu Bruch, und etliche Finstermänner wandern im Verlauf der Handlung zu den Fischen. Eine meiner diesbezüglichen Lieblingsszenen findet in einer üblen Kaschemme statt, als einer der Italoamerikaner am Tresen zusammengeschossen wird, und die übrigen Gäste währenddessen einfach teilnahmslos dabeistehen und stumpf in ihr Bier starren. So was gehörte im Hamburg der 70er Jahre scheinbar zur Tagesordnung!
Die Dialoge sind natürlich ein permanenter Reichsparteitag; wenn ich wollte, käme ich aus dem Zitieren nicht mehr raus. Jeder Spruch ein Schenkelklopfer! Überhaupt serviert uns das Drehbuch einige Häppchen, die man erst mal verdauen muss. „Sie zahlen?", kreischt Westermann aufgebracht, als er erfährt, daß einige seiner Untergebenen sich Messinas Schutzgeldforderungen unterworfen haben. „Ja, sind denn die noch zu retten? Machen sich die Jungs in die Hose, weil ihnen ein paar hergelaufene Kanaker den Ballermann unter die Nase halten?"
Oder mein Favorit: „Ich bin mehr für die altdeutsche Methode: Zwanzig Mann innen Kleinbus, raus zu Luca – und Kahlschlag!" Westermann ist da anderer Meinung: „Einer nach dem anderen, sagte die Dame zum Matrosen."
Zu den Schauspielern gibt es nicht viel zu sagen, alle legen solide Leistungen hin. Herausragend ist natürlich Herbert Fleischmann, den ich anfangs für eine gelinde Fehlbesetzung hielt, nimmt man ihm den Unterweltkönig doch nicht so ganz ab. Hat man sich aber erst mal an diese (scheinbare) Diskrepanz gewöhnt und wird warm mit seinem Charakter, überzeugt er auf ganzer Linie. Im Gegenteil verkörpert er hier sogar eine wunderbar differenzierte und vielschichtige Figur.
Henry Silva ist brillant wie eh und je, zu dem Mann muss man kein Wort mehr verlieren. Horst Janson ging mir ein wenig auf den Wecker, stellt er doch einen typischen Vertreter der schluffigen 68er-Bagage ab, der sich auf dem besten Weg in die spießbürgerliche Nichtigkeit befindet. Die schauspielerischen Fähigkeiten des italienischen Filmsternchens Patrizia Gori, die uns die Sylvia Messina gibt, bewegt sich gegen Null, was aber nicht weiter tragisch ist. Umso überzeugender ist der wüste Haufen von Hackfressen, aus denen sich Lucas und Ottos Leibwächter und Spießgesellen rekrutieren, darunter Raf Baldassarre (als Lucas rechte Hand Sergio), den man aus etliche Italostreifen kennt, sowie der stets gern gesehene Dan van Husen.
In einer Nebenrolle als Ärztin taucht übrigens Johanna König kurz auf, die die älteren Semester vielleicht noch als Frau Clementine aus der Waschmittelwerbung kennen werden!
Ein ganz toller Film. Ich wünschte, es gäbe noch mehr solcher prächtigen Exemplare aus deutschen Landen, ich bin süchtig nach dem Stoff!
„Wer schneller schießt hat mehr vom Leben!"
- Die Philosophie des Otto Westermann

***
Den Film gibt es leider nur als VHS-Tapes von Sunset und VPS, die beide, wie auch schon die Kinofassung, um einige Actionszenen erleichtert wurden. Das Video der italienischen Firma CVR wurde wiederum an Handlung gekürzt.
Dieses unterschlagene Juwel deutschen Kulturguts schreit also geradezu nach einer ordnungsgemäßen Neu-Veröffentlichung!
- Pelle -





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