Filmclub Bali
   
 

YOUR VICE IS A LOCKED ROOM AND ONLY I HAVE THE KEY

("Il tuo vizio è una stanza chiusa e s olo io ne ho la chiave", Italien 1972) R: Sergio Martino

Irene (Anita Strindberg) lebt mit dem exzentrischen Schriftsteller Oliviero (Luigi Pistilli) in einer hochherrschaftlichen Villa in der Nähe des malerischen Ortes Padova. Bereits in der Expositionsszene merkt man, daß die besten Tage ihrer Ehe lang vorüber sind: Oliviero veranstaltet allnächtliche Partys für dekadente Möchtegern-Hippies und demütigt seine Ehefrau vor der versammelten Bagage aufs Gemeinste. Er säuft wie ein Loch, ist Drogen nicht abgeneigt und begattet alles, was nicht bei „drei" das Grundstück verlassen hat – gern auch vor den Augen seiner Gattin, nur um sie weiteren Erniedrigungen auszusetzen. Trost findet die gebeutelte Irene nur bei ihren geliebten Tauben, während Olivieros ganze Zuneigung seinem schwarzen Kater „Satan" gehört. Als eine junge Bibliothekarin, mit der Oliviero ein Verhältnis hat, von einem mysteriösen Sichelmörder getötet wird, fällt der Verdacht zunächst auf ihn. Wenig später wird das schwarze Dienstmärchen des Ehepaares auf die gleiche Weise ermordet in der Villa aufgefunden. Oliviero beteuert seine Unschuld, zwingt Irene aber dennoch ihm zu helfen, die Leiche im Keller einzumauern, um den Mordverdacht von sich abzuwenden. Der Psychokrieg zwischen den beiden spitzt sich unaufhörlich zu – da erscheint plötzlich unerwarteter Besuch in der aufreizenden Gestalt von Olivieros junger und promiskuitiver Cousine Floriana (Edwige Fenech). Eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung bahnt sich an…
Your Vice
Dies ist der einzige der fünf famosen Gialli von Sergio Martino, den ich bislang noch nicht kannte. Und nach dem Sichten kann ich nur bestätigen, daß es sich um einen seiner besten handelt.
Da wäre zunächst einmal das barocke Setting der (teilweise heruntergekommenen) riesigen Villa, die beinahe schon einem gotischen Palast gleicht. Der Film spielt in der malerischen Emilia Romagna, einer Gegend Italiens, die mir selber sehr ans Herz gewachsen ist und wo u.a. auch Pupi Avatis LA CASA DALLE FINESTRE CHE RIDONO gedreht wurde. Der Schauplatz unterstreicht ein gewisses Gothic-Grusel-Flair, das den gesamten Film durchweht und ihn zeitweise in den Dunstkreis des Horrorfilms befördert. Das außerordentlich dichte Drehbuch von Giallo-Experte Ernesto Gastaldi basiert überdies lose auf der Erzählung „The Black Cat" von E.A.Poe, was ebenfalls sein Scherflein zur gelungenen Atmosphäre beiträgt. (Lucio Fulci und Dario Argento nahmen sich des Stoffes ja auch schon an, mehr schlecht als recht.)
Gastaldis Buch hebt sich in vielerlei Hinsicht und auf bekömmliche Weise von der üblichen Giallo-Standardware ab. Die Geschichte präsentiert sich vor allem als Psychodrama und Geschlechterkampf; eindringlich stellt sie dar, was geschieht, wenn zwei Menschen, die sich einstmals liebten, sich mittlerweile aber nur noch verabscheuen, dennoch zusammenbleiben. Oliviero denkt sich immer neue und abartigere Methoden aus, um Irene zu verletzen – und schreckt letztlich sogar vor körperlicher Gewalt nicht zurück. Irene erträgt dies alles, weil sie nicht anders kann – Tabletten helfen ihr, in ihrer Hölle zu überleben. Oliviero flüchtet vor seiner schriftstellerischen Schaffenskrise in Sex- und Alkoholexzesse. (Ich habe nie einen Giallo gesehen, wo derart viele J&B-Pullen herumstehen!) Die Figuren sind Getriebene und Gefangene ihrer Umstände, aus denen sie nicht auszubrechen vermögen.
Somit gestaltet sich IL TUO VIZIO zu gleichen Teilen als Thriller, als nervenzerrendes Beziehungsdrama und als Gruselschocker, besonders gegen Ende – aber das soll an dieser Stelle verschwiegen werden…
Die erotische Komponente wird vor allem durch das Auftauchen von Floriana ins Spiel gebracht. Oliviero quillt die Geilheit aus allen Knopflöchern, seine Cousine zeigt ihm jedoch zunächst die kalte Schulter und stürzt sich stattdessen in eine lesbische Liaison mit Irene, die bei ihr die Zuneigung findet, die ihr Mann ihr verwehrt. Gleichzeitig bändelt die frivole Floriana mit einem Motorcrossfahrer aus der Nachbarschaft an – tatsächlich verfolgt sie gänzlich materielle Ziele, die ich hier aber auch verschweigen möchte.
Wie schon mehrfach betont, vor Gastaldis Script kann man nur den Hut ziehen, denn es ist außergewöhnlicher und komplexer, als bei den meisten anderen Gialli der Fall. Der Film enthält etliche Szenen, die man so schnell nicht wieder vergessen wird, was jedoch auch der stilsicheren Inszenierung zugute zu halten ist.
Die Schauspieler sind durch die Bank brillant. Luigi Pistilli gibt den ekelhaften Oliviero derart überzeugend, daß man es mit der Angst bekommen könnte. Der Mann war einer der talentiertesten Darsteller seiner Zeit und es ist schade, daß ihm die fetten Lorbeeren, die er verdient hätte, versagt blieben.
Ein Hochgenuss ist die wundervolle Anita Strindberg in ihrer (soweit ich weiß) einzigen wirklichen Hauptrolle. Erst vor kurzem habe ich ja über sie gelästert aufgrund ihrer Brustimplantate – ich nehme alles zurück angesichts ihrer Spitzenleistung in diesem Film. Hier trägt sie eine rote Lockenmähne und spielt die nervolabile Irene absolut erstklassig. Zwei Gründe, um ihr fürderhin zu Füßen zu liegen.
Edwige Fenech spielt hier zum ersten (und einzigen?) Mal in ihrer Karriere ein „Bad Girl", fernab der üblichen Opferklischees. Ansonsten ist sie darstellerisch gewohnt gut und schaut auch sehr anziehend aus, alles wie gehabt.
Auch technisch gibt es nichts zu bemängeln, Kamera, Ausleuchtung und Schnitt präsentieren sich in Bestform. (Die Sexszenen zwischen Fenech und Strindberg sind beispielsweise sehr ästhetisch gefilmt und vermeiden jeglichen sleazigen Charakter.) Der Score von Bruno Nicolai ist – wie fast alle seine Arbeiten – phantastisch, wird aber sparsam eingesetzt, was die fesselnde Stimmung unterstützt. Hier passt einfach alles. Molto bene, Signore Martino!
Die DVD von NO SHAME ist perfekt. Bild und Ton sind eine Augen- und Ohrenweide.
Als Bonusmaterial gibt es ein 25minütiges Interview mit einem gestresst wirkenden Regisseur Martino, einem sehr entspannten Drehbuchautoren Gastaldi in Plauderlaune und einer absolut sympathischen Edwige Fenech. Bedenkt man, daß die Dokumentation von 2005 ist, muss man Signora Fenech attestieren, daß sie für ihr Alter umwerfend gut aussieht!
Kleine Anekdote für Insider: Der ungewöhnliche Titel des Films stammt übrigens aus einem Brief, den Edwige Fenech in Martinos KILLER VON WIEN von Ivan Rassimov erhält.
- Pelle -



Was Das Blap dazu sagt:

Der Schriftsteller Oliviero (Luigi Pistilli) wird seit Jahren von einer Schreibblockade gepeinigt. Seine Ehe mit Irina (Anita Strindberg) ist längst gescheitert, der Frust des Gatten entlädt sich in Erniedrigungen und Gewaltausbrüchen. Als eine junge Dame brutal ermordet wird, führt die Spur zu Oliviero, doch erstaunlicherweise verschafft ihm Irina ein (falsches) Alibi. Es kommt jedoch noch dicker, denn wenig später wird das schwarze Dienstmädchen im Haus des Ehepaares abgemurkst. Um Probleme mit den Gesetzeshütern zu vermeiden, lässt man die Leiche im Keller des großzügigen Anwesens verschwinden. Als Olivieros Nichte Floriana (Edwige Fenech) ihren Besuch ankündigt, ist der liebe Onkel zunächst wenig erfreut, denn er hat seine Nichte als kleine und nervige Göre in Erinnerung. Umso größer ist die Überraschung, als Floriana dann in voller Pracht auftaucht. Aus dem Pipimädchen ist eine junge und selbstbewusste Schönheit geworden, deren Reize umgehend die Säfte des abgewrackten Schriftstellers in Wallung bringen. Floriana freundet sich mit einem örtlichen Mopedfahrer an, zieht aber auch Irina in ihren Bann. Wer treibt hier welches Spiel, wer ist für die Morde verantwortlich...???
Ein weiterer Giallo von Sergio Martino. Aber was für ein Kaliber! "Your Vice..." bietet dem Zuschauer ein mehr und mehr eskalierendes Beziehungsdrama, wunderschön vor einer herrschaftlich-ländlichen Kulisse gefilmt. So zeigen sich nicht nur die Akteure in absoluter Hochform -dazu später mehr- sondern auch das Haus -in dem ein großer Teil der Handlung spielt- und sein direktes Umfeld verwöhnen das Auge des Zuschauers. Die Kulisse bietet zum einem die wohlige Wärme des Landlebens, verwandelt sich aber immer wieder in ein schaurig schönes Gemäuer, welches durchaus für prickelnde Gothic-Gruselschauer sorgt. Die Story ist gut durchdacht, die Auflösung überzeugt auf ganzer Linie, die Anleihen bei Poe wurden gut umgesetzt. Die beständig auftauchende schwarze Katze passt perfekt in das Gesamtkonstrukt, denn auch sie verbindet das Schöne mit dem Unheimlichen. Nicht zu vergessen, dass diese Katze den Fortgang und Ausgang des Geschehens entscheidend mitprägt, ohne dabei den schalen Geschmack der Unglaubwürdigkeit zu hinterlassen. Wie passend, dass man das wunderschöne Tier mit dem Namen "Satan" bedacht hat (Keine Angst, der Leibhaftige fährt nicht aus dem kleinen Vierbeiner). Die für einen Giallo typischen Morde gibt es hier auch zu sehen, allerdings spielen diese eher eine Nebenrolle. Folgerichtig hat Martino die Taten weniger ausufernd inszeniert, was dem Werk meiner Meinung nach gut zu Gesichte steht. Geschickt werden Fährten und Finten ausgelegt. Zwar ahnt man beim Auftauchen der Polizei gegen Ende des Films die Auflösung, doch selbst im Rahmen dieser vermeintlichen Klarheit, packt uns Martino gnadenlos im Genick. Ich habe mit Frau Strindberg um die Wette gezittert, war ebenfalls dem Wahn näher als der Realität, herrlichst!
Nun zu den Darstellern, die man gar nicht genug loben kann! Lugi Pistilli gehörte zu den besten Vertretern seiner Zunft, war meist in Nebenrollen zu sehen. Hier beeindruckt er mit seiner intensiven Darstellung des gebrochenen Schriftstellers, dessen Aggressionen sich gegen seine Gattin richten, schließlich gar lebensbedrohlich (welches Leben betroffen ist, verrate ich an dieser Stelle nicht). Wenn zu Beginn des Films eine Gruppe Hippies bei den Eheleuten feist Party feiert, und Oliviero bei dieser Gelegenheit seine Frau auf das Übelste drangsaliert, wird dem Zuschauer sofort klar, dass er es mit einem abstoßenden Charakter zu tun bekommt. Doch Pistillis Rolle ist nicht auf ein stumpfsinniges Ekel reduziert, er zeigt sich vom eigenen Versagen gepeinigt, wird von aufblühender Leidenschaft für eine andere Frau getrieben, gar belebt, verfängt sich jedoch immer wieder in sich selbst...Spoilergefahr... Edwige Fenech kommt hier mit einer etwas eigentümlichen Frisur daher, die aber letztlich sehr gut zu ihrer Rolle passt. Die junge Frau, vordergründig zuckersüß, bis die Maske fällt, und einen deutlichen Kontrast zu ihren Rollen in Werken wie "Der Killer von Wien" oder "Die Farben der Nacht" aufzeigt. Obwohl ich ein großer Fenech Verehrer bin, gebührt das grösste Lob jedoch Anita Strindberg! Frau Strindberg liefert die wohl beste Leistung ihrer Karriere ab, ich bin sehr beeindruckt! Zu viel möchte ich auch hier nicht verraten, ich kann nur immer wieder betonen, dass man sich diesen herrlichen Film anschauen muss! Wenn gleich zwei Schönheiten zur Verfügung stehen, bleiben erotische Szenen selbstverständlich nicht aus, es geht hier schließlich um einen Giallo! Martino verzichtet darauf seine Darsteller mit Dreck zu bewerfen, die erotischen Momente sind sehr stilvoll inszeniert, besonders die Szenen in denen sich Strindberg und Fenech nahe kommen. Ivan Rassivmov kommt diesmal leider nur recht kurz zum Zuge, wird dafür aber sehr effektiv eingesetzt.
Nun habe ich endlich alle Gialli von Sergio Martino gesehen. "Die Farben der Nacht", "Der Schwanz des Skorpions" oder "Torso", jeder dieser Filme hat mich begeistert. "Farben" mit seiner Mystery-Schlagseite, "Skorpion" als solider Krimireißer, "Torso" die Vorlage für später als "Slasher" bezeichnete Filme. Über all diesen Schönheiten thront Martinos Meisterwerk "Der Killer von Wien"! "Vice" wackelt allerdings gehörig am komfortablen Sitz des Genrehäuptlings. Vielleicht ist "Vice" in Bezug auf Ästhetik und kunstvolles Handwerk sogar der bessere Film, doch dazu kann ich in meiner momentanen verwirrten Begeisterung noch nicht sinnvoll Stellung beziehen. Mir gefällt dieser wunderschöne Film mehr als sehr gut, ein Platz auf meinem Altar ist gewiss!
Die DVD Auswertung von NoShame ist sehr lobenswert. Die US-Scheibe präsentiert den Film in sehr schöner Qualität, im Bonusmaterial befindet sich eine sehenswerte Featurette, in der Martino, Fenech und Drehbuchautor Gastaldi zum Zuge kommen. Leider ist die DVD seit einiger Zeit OOP, die Preise fallen daher gesalzen aus. Hoffentlich wird noch ein Schwung nachgelegt! Andererseits ist diese Perle sowieso unbezahlbar, also lasst eure Kreditkarten glühen!
Wundervoll, prachtvoll, herrlich, grandios! Überragend = 9/10
Lieblingszitat:
"...maybe this throat will be my very first one..."
- Blap -





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