WILD BEASTS
(“Belve feroci”, Italien 1984) R: Franco Prosperi
Neulich in Frankfurt…
Der Tierarzt Rupert Berner (John
Aldrich) wird von seinem Kumpel Inspektor Nat Braun (Ugo Bologna)
kontaktiert, aufgeregt berichtet der Kriminalbeamte von extrem
aggressiven Ratten. In großer Menge sind die Nager aus der
Kanalisation gequollen, haben bereits ein Pärchen beim Liebesspiel
im Auto überrascht, von den jungen Leuten blieb lediglich ein
trauriges Häuflein angefressenes Mettgut übrig. Zunächst kann die
Plage eingedämmt werden, per Flammenwerfer drängt man das außer
Kontrolle geratene Rattenpack zurück. Tatsächlich soll der bizarre
Vorfall nur Auftakt zu einer Nacht des Schreckens sein, einst
friedliche Zootiere drehen völlig durch und bahnen sich ihren Weg in
die Straßen der unvorbereiteten Großstadt. Tiger, Löwen und
Geparden verwandeln Frankfurt am Main in die Hölle auf Erde, sogar
die ansonsten gemütlichen Elefanten haben sich in gnadenlose Bestien
verwandelt! Mit Unterstützung der Biologin Laura Schwarz (Lorraine
De Selle) sucht Rupert nach Antworten, was hat zu dieser dramatischen
Verhaltensveränderung der Tiere geführt…???
Franco Prosperi wurde durch seine
gemeinsamen Arbeiten mit Gualtiero Jacopetti bekannt, Titel wie
"Mondo Cane" (1962), "Africa Addio" (1966) und
"Addio zio Tom" (Addio Onkel Tom, 1971) sprechen für sich.
"Wild Beasts" war die letzte Regiearbeit Prosperis, der
Streifen greift die Thematik Umweltzerstörung auf, hier und da ist
der erhobene Zeigefinger unvermeidlich, baut aber vor allem auf immer
wieder eingestreute Momente reißerischer Natur (im wahrsten Sinne).
Zu den Stärken des Films zählen jedoch nicht nur diverse
Panschereien, es wäre unfair "Wild Beasts" darauf zu
reduzieren, Prosperi gelingt annährend lückenlos der Aufbau einer
packenden und bedrohlichen Atmosphäre. Frankfurt am Main bietet sich
als erfrischende Abwechslung geradezu an, der Großteil des Materials
wurde zwar nicht dort gedreht, das Gesamtbild überzeugt dennoch,
kommt ohne "optische Brüche" daher. Pegelschwankungen sind
eher im Bereich der Tierszenen auszumachen. Manche Momente punkten
mit wohldosierter Schockwirkung, betrachtet das Mahl der Löwen als
treffendes Beispiel, andere Vorfälle gleiten in unfreiwillige
Albernheiten ab, schaut euch die zu Würgern mutierten Elefanten an.
Die Unstetigkeit in diesem zentralen Bereich des Werkes trägt
erheblich zu dessen Reiz bei. Gipfel der Freude erklimmt die grandios
gefilmte und atmosphärisch sehr dichte "Gepard jagt eine junge
VW-Fahrerin durch die nächtliche Stadt" Szene, in der
hervorragende Arbeit mit dem Tier und hinter der Kamera, auf eine
durchgedrehte Autoraserei mit tragischem Ausgang prallen. Zugegeben,
die Erklärung für das Verhalten der Tiere kommt wenig kreativ aus
der Kiste, mutiger wäre der Verzicht darauf gewesen, zum Finale
klatscht uns Prosperi erfreulicherweise ein fieses kleines
Ausrufzeichen um die Ohren (obschon nicht mit der von mir ersehnten
Boshaftigkeit und Konsequenz).
Über die Darsteller gibt es nicht viel
zu berichten, die wahren Stars sind die griffigen Tiere und die
gelungene Atmosphäre. Ganz ohne Würdigung soll das zweibeinige
Ensemble nicht bleiben, los geht es mit John "Schnauzbart"
Aldrich, dessen (mir bekannte) Filmkarriere sich auf "Wild
Beasts" beschränkt. Aldrich macht seine Sache gut, kommt wie
eine sympathischere Ausgabe von Tom "Magnum" Selleck rüber,
geht mit den wilden Bestien immer wieder auf Tuchfühlung. Tierarzt
Berner ringt mit Leidenschaft und vollem Einsatz um eine Lösung,
will die Tiere (abgesehen von den gern zum Untier gestempelten
Ratten) keinesfalls mit roher Gewalt zur Aufgabe bewegen. Ugo Bologna
fungiert als austauschbar bleibender Sidekick. Mit Lorraine De Selle
ist sogar ein weibliches Sternchen des italienischen Genrekinos an
Bord, mir ist die attraktive Dame aus den Bruno Mattei
Frauenknastknüllern "Laura - Eine Frau geht durch die Hölle"
(Violenza in un carcere femminile, 1982) und "Laura II - Revolte
im Frauenzuchthaus" (Emanuelle fuga dall'inferno) in sehr guter
Erinnerung, unter Matteis fachmännischer Anleitung drangsalierte sie
dort Laura Gemser. Bekannter dürfte ihr Auftritt in "Die Rache
der Kannibalen" (Cannibal ferox, 1981) von Umberto Lenzi sein,
ein echtes Qualitätswerk mit schmackhafter Fleischeinlage (!keine
Ironie!). Ein Mädchen namens Louisa Lloyd spielt De Selles
Töchterlein, ihr Part wurde erstaunlich mutig und selbständig
angelegt, eine angenehm "unnervige" Kinderrolle. Die
übrigen Akteure müssen nicht aufgezählt werden, der Fan des
italienischen Genrekinos wird das eine oder andere Gesicht erkennen.
Wenn im Zoo die muter blinkende
Schalttafel der modernen Technikzentrale in Rauch aufgeht… Wenn ein
großes Passagierflugzeug unfreiwillig im Umspannwerk des lokalen
Energieversorgers parkt… Dann wird es Zeit die Stadt auf
schnellstem Wege zu verlassen! Schreibt euch das hinter die Löffel!
Franco Prosperi erfindet den Tierhorror mit "Wild Beasts"
nicht neu, er gibt dem Fan dieser Gangart einen sehr unterhaltsamen
Streifen an die Hand, ein echter Geheimtipp für Filmfreunde die sich
nicht auf Standardwerke wie z. B. Alfred Hitchcocks "Die Vögel"
(The Birds, 1963) oder Steven Spielbergs "Der weiße Hai"
(Jaws, 1975) beschränken möchten (ich beschränke mich bewusst auf
die Nennung dieser Titel, fraglos bietet das Genre noch viele andere
unsterbliche Klassiker, liebenswerte Perlen und unverzichtbare
Schätzchen)!
Camera Obscura hat "Wild Beasts"
im Rahmen der hauseigenen Italian Genre Cinema Collection
veröffentlicht, erneut stellt der Anbieter seine Spitzenstellung auf
dem Sektor niveauvoller Nischenlabel eindrucksvoll unter Beweis! Der
Film liegt in sehr schöner Qualität vor, viel mehr ist auf dem
Datenträger DVD kaum möglich! Damit ist längst nicht alles über
die Qualität dieser Veröffentlichung gesagt! Selbst auf
"Nebensächlichkeiten" wie die Gestaltung des DVD-Menüs
wurde großer Wert gelegt, es kommt kreativ gestaltet und optisch
ansprechend auf den Bildschirm, gute Bedienbarkeit inklusive.
Überdies bietet das Bonusmaterial Anlass zu großer Freude, der
italienische Trailer und eine Bildergalerie sind nette Beigaben
zwecks Abrundung, Glanzlichter werden in Form der Beiträge "Prosperi
Uncaged" und "Bruschini Goes Wild" aufgetischt. In der
ihm gewidmeten Featurette plaudert Prosperi äußerst launig aus dem
Nähkästchen, die knappe halbe Stunde verfliegt in gefühlten
Sekunden. Alles mag ich dem alten Herrn nicht abnehmen, seine
offensichtlich sehr muntere Phantasie geht vermutlich ein wenig mit
ihm durch (was den Unterhaltungswert des Interviews nicht beschädigt,
eher das Gegenteil tritt ein). "Bruschini Goes Wild" lässt
den leider inzwischen verstorbenen Experten und Filmliebhaber Antonio
Bruschini zu Wort kommen, ergänzt durch einen berührenden Nachruf
von Federico Caddeo. Dickes Digi samt Schuber bilden die übliche
Verpackung, den letzten Schliff erhält das Paket durch das
beigefügte Booklet, in dem Marcus Stiglegger sein Fachwissen über
den Bereich Tierhorror mit dem Leser teilt. Stigleggers Ausführungen
sind wissenschaftlicher angelegt als Beiträge – der von mir sehr
geschätzten – Autoren Christian Kessler oder Pelle Felsch, gleiten
aber nie in Dampfbügelei und aufgeblasene Grütze
pseudointellektueller Art ab. Klartext: Sie sind ebenso angenehm zu
lesen wie die Ergüsse der genannten Herren.
Fazit: "Wild Beasts" bietet
dem wohlgesonnenen Filmfreund gute Unterhaltung, ergo ziehe ich dicke
7/10 (mit steigender Tendenz). Camera Obscura verdient für die
hochwertige Veröffentlichung die Höchstnote, vielen Dank für diese
prachtvolle Collection!
Lieblingszitat:
"Ratten! Ratten! Tu doch was!"
- Blap -
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.