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DIE WEISSE GÖTTIN DER KANNIBALEN

(„La montagna del dio cannibale", Italien 1978) R: Sergio Martino

Die gut betuchte Susan Stevenson (Ursula Andress) begibt sich zusammen mit ihrem egoistischen Bruder Arthur (Antonio Marsina) auf die Suche nach ihrem Ehemann, dem Anthropologen Henry Stevenson, der im Urwald von Neu Guinea verschollen ist. Sie ziehen den Dschungelexperten Professor Edward Foster (Stacey Keach) hinzu und gemeinsam begibt man sich auf die gefährliche Expedition in die grüne Hölle. Foster vermutet den Vermissten auf dem „heiligen Berg" eines Inselmassivs, das in den Legenden der Einheimischen als verflucht gilt. Der Weg zum Reiseziel ist mit Giftspinnen, Würgeschlangen und Mörderkrokodilen gepflastert, die hastig zusammengestellte Truppe von menschlichen Packeseln wird zunehmend dezimiert. Auf halber Strecke treffen sie auf den Arzt Manolo (Claudio Cassinelli), der Susan das Leben rettet und sich der kleinen Gruppe anschließt. Je näher sie dem Berg Ra Ra Me kommen, desto mehr häufen sich die drohenden Vorzeichen: Die ersten blutigen Morde werden verübt, unheimliche maskierte Wilde scheinen die Gruppe auf Schritt und Tritt zu verfolgen und zu beobachten. Laut einer Legende handelt es sich dabei um einen barbarischen Kannibalenstamm, der als längst ausgestorben gilt. Bald soll unser Team die grausige Wahrheit am eigenen Leib erfahren…
Die weisse Göttin der Kannibalen
Es gibt nur wenige Beiträge zum Kosmos des Kannibalenfilms, die mir wirklich zusagen. Dazu gehören die beiden MONDO CANNIBALE-Teile von Umberto Lenzi und natürlich Ruggero Deodatos berüchtigtes Meisterwerk NACKT UND ZERFLEISCHT. Trotzdem übt dieses verrufene Subgenre des Italo-Exploitationfilms seit jeher eine prickelnde Faszination aus, die stets von Schuldgefühlen und Gewissensbissen begleitet wird. Sergio Martinos Ausflug ins Reich der Menschenfresser ist vielleicht kein Glanzstück, da der Film jedoch zu den handwerklich besseren Vertretern der unrühmlichen Kannibalenwelle gezählt werden kann, weiß er in einigen Momenten durchaus zu überzeugen.
Der Film beginnt mit der üblichen, pseudo-dokumentarischen Einleitungsstimme aus dem Off: Die Ursprünglichkeit der ungebändigten Wildnis, grüne Schlünde, die nie zuvor ein Menschenfuß betreten hat und so weiter und so fort. Dazu bekommen wir wenig romantische Einblicke in das Fressverhalten der Fauna Neu Guineas – die Natur, reduziert auf sie Summe ihrer Teile, ein einziges Mampfen und Gemampft werden.
In diesem Stil geht es munter weiter; was man Martino zugute halten muss, ist das konstant unbehagliche und beklemmende Stimmungsbild des Films – nie war der Urwald bedrohlicher als hier. Hinter jedem Farnkraut lauert eine vier- oder achtbeinige Gefahr, und manchmal hat das kreuchende und fleuchende Kroppzeugs gar keine Beine, sondern schlängelt sich im Astwerk, immer auf der Suche nach einem schnellen Snack. Die angeheuerten Lastenträger sind natürlich primitive Wüstlinge, barbarische Rituale sind an der Tagesordnung – da wird auch schon mal ein Leguan bei lebendigem Leib ausgeweidet, um die Dämonen des Waldes zu besänftigen. Der eigentliche Kannibalenterror vollzieht sich erst in den letzten 20 Minuten des Streifens, wenn die Expeditionstruppe das Heimatdorf der Knochenknusperer erreicht hat. Erst dann wandelt sich der leidlich spannende (aber von Kameramann Giancarlo Ferrando erstklassig fotografierte) Abenteuerfilm zu einem Horrorschocker, der an wüsten Szenen nicht spart.
Wie in jedem Kannibalenschinken, der etwas auf sich hält, wird der unvermeidliche Tiersnuff dargereicht, allerdings halten sich die unnötigen Grausamkeiten hier eher in Grenzen. Die unangenehmste Szene ist der minutenlang ausgewalzte Verzehr eines kleinen Äffchens durch eine Boa Constrictor – aber, jo mei, so was kommt halt vor im Dschungel, und nur, weil Professor Grzimek seinen jugendlichen Zuschauern die unschöne Wahrheit vorenthielt, lässt sie sich dennoch nicht totschweigen. (Zum leidigen Thema „Tiertötungen in Kannibalenfilmen" habe ich mich an anderer Stelle bereits hinlänglich geäußert, ich spare mir daher weitere Ausführungen.) Bedenklicher ist da schon der unterschwellige Rassismus und die menschenverachtende Arroganz, mit der sich der weiße Mann über die „Primitiven" erhebt – hier hätte man sich von dem eigentlich recht kritischen Regisseur Martino eine deutlichere Stellungnahme gewünscht.
Auch die genreüblichen Eingeweidewühlereien werden eher sparsam serviert, obwohl die eine oder andere Schlachtplatte aufgefahren wird (wozu auch eine äußerst drastische Entmannung zählt). Was sich viel stärker in die Erinnerung gräbt, sind die geradezu orgiastischen Szenen am Ende des Films, wenn Martino das exzessive Treiben im Eingeborenendorf mit bizarren Einsprengseln parallel montiert: Ein Kannibalenmädel masturbiert hemmungslos, während Ursula Andress mit dem herausgerupften Herz ihres getöteten Bruders gefüttert wird – oder die unvergessliche Begattung eines riesigen Schweins durch einen Wilden, die in den deutschen Fassungen des Films der Zensurschere zum Opfer fiel.
Das Skript verdient natürlich keine Auszeichnungen für Glaubwürdigkeit, vieles ist unnachvollziehbar, die Figuren bleiben holzschnittartig – dennoch präsentiert sich das Dschungelgarn mitunter recht wendungsfreudig und bietet einige nicht vorhersehbare Plottwists. Hier bewährt sich offensichtlich Martinos Erfahrung im Giallo-Metier. Die Dialoge sind in weiten Teilen herrlich naiv und stereotyp. Das Mannsvolk geizt nicht mit sozialdarwinistischer Philosophie ("Tiere folgen einzig und allein ihrem Instinkt, so wie letztlich alle Lebewesen. Sie töten und fressen. Der Mensch hat denselben Instinkt, er benutzt nur raffiniertere Methoden um ihn zu befriedigen: Lügen und Tricks.", schwafelt Manolo altklug daher), während Ursula Andress in erster Instanz viel Gekreisch absondert. Schön fand ich auch, dass sie sehr modebewusst mit hochhackigen Stiefeln den Busch bereist – und sich dann noch darüber echauffiert, wenn sie mal wieder auf die Schnauze fällt, einer Vogelspinne direkt vor die triefenden Beißzangen.
Überhaupt, die Andress: Eine gute Schauspielerin ist dieses Bondgirl („Honey Ryder" – brüll!) weiß Gott nicht. Es reicht bei dem hier besprochenen Produkt aber völlig aus, blond zu sein und Brüste zu haben, die ihr im späteren Verlauf der Handlung auch fachgerecht freigelegt werden. Ansonsten guckt sie durchgehend starrgesichtig aus der Wäsche und macht Claudio Cassinelli scharf. Ohne hier allzu viel ausplaudern zu wollen, finde ich ihre Wandlung von der besorgten Ehegattin zur durchtriebenen Opportunistin sehr gelungen, vor allem, die Abscheu, die sie dadurch beim rechtschaffenen Manolo auslöst. Im Finale ist das aber alles wieder vergessen und vergeben, Brüste und Blondheit triumphieren halt doch! Claudio Cassinelli (INSEL DER NEUEN MONSTER) und Stacey Keach (AMERICAN HISTORY X) leisten beide nichts Überragendes, sie spielen halt diese typischen unrasierten und hemdsärmeligen Naturburschen, die immer genau wissen, was zu tun ist – exakt die Sorte Mann, die ich verachte und die es in Wirklichkeit nur in der Camel Trophy-Reklame gibt. Keach (dem – ähnlich wie Burt Reynolds in DELIVERANCE – in der Mitte des Films das Bein kaputtgehackt wird, was ihn zum fünften Rad am Wagen degradiert) war wohl zum Zeitpunkt des Drehs dem Suff noch nicht so arg zugeneigt, wie bei späteren Filmproduktionen. Er sieht hier frischer und unverbrauchter aus, was seinem Spiel zugute kommt. Sehr überzeugend fand ich Antonio Marsina (einer der fiesen Brüder aus KEOMA) als skrupellosen Egomanen Arthur, dem die Ekligkeit aus jedem Knopfloch starrt. Als Konsequenz für sein unkollegiales Verhalten landet er zum Schluss auch auf der Speisekarte.
Die Musik des bewährten Duos Guido und Maurizio de Angelis ist eine durchwachsene Sache: teilweise fahren sie extrem bedrohlich wirkendes, mit Tierlauten und höllischem Geschepper durchwobenes Synthie-Gewaber auf, an anderen Stellen dudelt schrecklich belanglose und deplazierte Südamerika-Folklore. Kein Vergleich zum genialen Score von Riz Ortolani zu NACKT UND ZERFLEISCHT – aber dieser Film scheut eh sämtliche Vergleiche.
Alles in allem hat mir Sergio Martinos Ausflug in die Hölle am Amazonas 100 Minuten schuldigen Spaß bereitet. Der (unfreiwillige) Trash-Gehalt hält sich in Grenzen, die Machart ist solide, die Atmosphäre beeindruckend. Um Welten besser als Lenzis unsägliche Grabgesänge LEBENDIG GEFRESSEN oder DIE RACHE DER KANNIBALEN ist Martinos Werk allemal.
In Zahlen hieße dies: 7/10
P.S.: Dieser Besprechung lag die DVD von XT aus Ösiland zugrunde, die erfreulicherweise ungekürzt ist und mit schöner Bildqualität glänzt.
- Pelle -





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