WAVES OF LUST
(“Una ondata di piacere”, Italien 1975) R: Ruggero Deodato
Kammerspiel auf hoher See
Giorgio (John Steiner) behandelt seine
Lebensgefährtin Silvia (Elizabeth Turner) herablassend, schreckt
nicht vor körperlicher Gewalt zurück. Eines Tages trifft Giorgio
die äußerst attraktive Barbara (Silvia Dionisio), umgehend lädt er
seinen Flirt zu einem üppigen Abendessen ein. Der wohlhabende
Unternehmer erlebt eine unangenehme Überraschung, statt Barbara
taucht ein Typ namens Irem (Al Cliver) auf, schlägt sich frech den
Bauch voll. Derweil nimmt Barbara Kontakt zu Silvia auf, gemeinsam
machen sich die Frauen auf den Weg zu Giorgio und Irem. Auf Giorgios
Yacht will die kleine Gruppe ein paar Tage das Mittelmeer genießen,
Liebe, Lust und Alkohol inklusive. Erwartungsgemäß spielt der
Kapitän den großen Boss, doch was treibt Barbara und Irem an ...???
Mit seinem provokanten Vorschlaghammer
"Cannibal Holocaust" (Italien 1980) hat Ruggero Deodato
Filmgeschichte geschrieben, noch immer sorgt der Streifen für hitzig
geführte Diskussionen. Leider werden die übrigen Werke des
Regisseurs oft ein wenig stiefmütterlich behandelt, dieses Schicksal
hat "Waves of Lust" keinesfalls verdient. Was erwartet den
Zuschauer? Ein Thriller mit erotischen Momenten, dessen Handlung sich
überwiegend auf einem Boot abspielt. Viele Szenen finden unter Deck
statt, das beschauliche Umfeld bricht die vorherrschende
"Kammerspielatmosphäre" lediglich hin und wieder auf.
Deodato berichtet im Bonusmaterial von Schwierigkeiten mit dem
Wetter, von seiner geringen Begeisterung für erotische Filme. Keine
guten Voraussetzungen für einen unterhaltsamen Filmabend?
Entwarnung, denn das Ergebnis kann sich in jeder Hinsicht sehen
lassen, was nicht zuletzt den starken Leistungen der vier zentralen
Akteure vor der Kamera zu verdanken ist. Mich fasziniert die
Doppelbödigkeit der Charaktere. Da haben wir den reichen Sack,
ekelhaft, unsympathisch, hinter der harten Fassade ein armseliger
Säufer. Die Sklavin, die in ihrer devoten Rolle aufgeht, oder etwa
andere Pläne schmiedet, auf eine Chance wartet? Der unbekümmerte
Sonnyboy und seine kokett-selbstbewusste Gefährtin, beide längst
nicht so durchschau- und gängelbar wie von Giorgio zunächst
vermutet.
Werfen wir einen Blick auf das kleine
Ensemble. John Steiner wurde in England geboren, in den siebziger und
achtziger Jahren war er häufig in Genrestreifen aus Italien zu
sehen, wurde gern als Bösewicht besetzt. Steiner spielt den
rücksichtslosen Giorgio punktgenau, aus seinem kantigen Gesicht
springen uns Arroganz und Kaltherzigkeit entgegen, nicht minder
überzeugend der später einsetzende Verfall und Zusammenbruch.
Zugegeben, das Drehbuch trägt manchmal fast eine Spur zu dick auf,
möchte den Betrachter übereifrig in eine bestimmte Richtung
drängen. So folgt auf eine geschäftliche Unterhaltung, zwischen
Giorgio und einem bemitleidenswerten Herrn, nichts geringeres als der
Selbstmord des zum Bittsteller degradierten Gegenüber. Nebenbei
sorgt der smarte Bonze per Funk für die Entlassung von sechshundert
Mitarbeitern, jeder soll merken, mit dem Typ ist nicht gut Kirschen
essen. Al Clivers Irem ist nicht auf derartig vordergründige
Machtdemonstrationen aus. Irem redet nur, wenn er tatsächlich etwas
zu sagen hat, lässt die Anspielungen und Attacken seines
Gegenspielers geschickt ins Leere laufen. Während John Steiner
gekonnt zwischen den Extremen pendelt, gefällt Al Cliver mit seiner
natürlichen Lässigkeit und ebenso packenden Darstellung. Elizabeth
Turner muss einige Tiefschläge ertragen, Silvia dient Giorgio als
Fußabtreter und Liebespuppe. Silvia Dionisio zeigt Barbara als die
tatsächlich dominante Figur in diesem Intrigenspiel (gleichwohl
bleibt die Einschätzung der Beziehung zwischen Barbara und Irem dem
Zuschauer angenehmerweise überlassen). Dionisio war damals mit
Ruggero Deodato verheiratet, ihre Vorzüge werden daher nicht unter
Wert präsentiert. Es wäre unfair Silvia Dionisio auf ihre Schönheit
zu reduzieren, sie kann vor allem abseits erotischer Szenen punkten,
zieht als Barbara die Strippen. Weitere Mitwirkende bleiben auf
kleine Nebenrollen beschränkt, vielleicht sollte erwähnt werden,
dass Saverio Deodato (Sohn von Ruggero und Silvia) kurz zu sehen ist.
Gibt es eine wichtige "Message"?
Will "Waves of Lust" Kritik an verantwortungslos handelnden
Oberschichtlern üben, die glauben -nein, die davon überzeugt sind-
mit Methoden eines mittelalterlichen Herrschers über den Pöbel
verfügen zu können? Sehen wir lediglich -vermutlich mit Genuss-
dabei zu, wie sich ein Möchtegernhalbgott in einem geschickt
gewebten Netz verfängt? Wo verläuft die Grenze zwischen "Gut"
und "Böse", existiert eine solche Markierung überhaupt?
Kommt "Waves of Lust" als Vorbote zu "Cannibal
Holocaust" daher, diesem gnadenlosen Monument der Misanthropie?
Sind wir allesamt verdorbene Dreckstücke? (-----Denkpause-----)
Bevor ich es vergesse, den stimmungsvollen Score verdanken wir
Marcello Giombini, fröhlich flirrt die Elektronik. Lamberto Bava ist
(einer der) Storyautoren, die Kamera von Mario Capriotti ist häufig
nah am Mann/der Frau, erwartet aber keine allzu eindringlichen
Nahkämpfe.
Raro hat "Ondata di piacere"
bereits vor einigen Jahren in Italien auf DVD veröffentlicht, die
mir vorliegende US-Ausgabe basiert auf der italienischen Scheibe. An
der Ausstattung gibt es nichts zu meckern, der Ton liegt in
englischer und italienischer Sprache vor, englische Untertitel sind
enthalten. Weiterhin gibt es eine durchaus sehenswerte Doku aufs Auge
(Interviews mit Ruggero Deodato, Lamberto Bava u. a.), dazu von
Deodato gedrehte Werbespots, Texttafeln und ein lesenswertes Booklet
in englischer Sprache. Schwachpunkt der Veröffentlichung ist die
lediglich befriedigende Bildqualität, die Kompression dürfte gern
dezenter ans Werk gehen. Insgesamt eine brauchbare Scheibe, eine neue
Abtastung und Auswertung auf BD wäre trotzdem schön, ich würde
gern erneut zugreifen!
"Waves of Lust" ist ein
schmackhaftes Genießerhäppchen, ganz sicher kein Film für
Hektiker. Ich bin begeistert und ziehe dicke 7,5/10 (gut bis sehr
gut)!
Lieblingszitat:
"Shift your ass ... and do what i told you to do!"
- Blap -
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