VON ANGESICHT ZU ANGESICHT
(„Faccia a Faccia", Italien 1967) R: Sergio Sollima
Der
lungenkranke und dem Tode nahe Geschichtsprofessor Brad Fletcher
(Gian Maria Volonté) verlässt seinen Lehrstuhl in Boston,
um im warmen Klima von Texas Linderung für seine Atemwege zu
finden. Dort gerät er durch eine Fügung des Schicksals in
die Hände des berüchtigten Banditen Beauregard „Beau"
Bennett (Tomas Milian), dem es Dank des gutmütigen und naiven
Fletcher gelingt, dem Gefängnis zu entkommen. Zunächst
benutzt Bennett ihn als Geisel bei einer Flucht vor Gesetzeshütern,
doch schon bald geraten sie in eine Situation, in der beide
aufeinander angewiesen sind, um zu überleben. Unter dem Bennetts
Einfluss wird der bedingungslos pazifistische Intellektuelle mit den
Reizen und Vorteilen des Verbrecherdaseins konfrontiert – und
beginnt, peu a peu, Gefallen daran zu finden. Was für ihn als
akademisches Studienobjekt begann, folgt bald begeisterte Hingabe an
ein gesetzloses Leben ohne gesellschaftliche Zwänge und Fesseln.
Er schließt sich Bennets Banditenbande an. Als Bennett durch
Verrat erneut in Gefangenschaft gerät, ergreift Fletcher seine
Chance und übernimmt das Ruder. Anders als der impulsiv
handelnde Bennet, plant der Kopfmensch Fletcher die Raubzüge
jedoch mit scharfsinniger Präzision und entwickelt sich immer
mehr zum totalitären Machthaber. Gleichzeitig vollzieht sich bei
dem gefangenen Bennet eine moralische Wertewandlung. Eine blutige
Begegnung zwischen den Kontrahenten scheint unausweichlich…
Was diesen
exquisiten Western von Sergio Sollima so außergewöhnlich
macht, ist vor allem das Figurengespann Volonté/Milian: Ein
todkranker Geschichtsprofessor trifft auf einen skrupellosen
Verbrecher – eine Konstellation, wie sie unterschiedlicher nicht
sein könnte. Dementsprechend sind die Shoot-Outs, die hier
geführt werden nicht physischer sondern psychologischer Natur.
Die Protagonisten liefern sich ein andauerndes Duell, bei dem
Ansichten und Weltanschauungen über die Natur des Menschen
aufeinanderprallen – und das sich in Variationen über die
gesamte Filmhandlung erstreckt.
Bei allen
philosophisch-humanistischen Aspekten ist Sollimas Film aber
keineswegs als soziologische Wesenstudie zu deuten, die sich als
Wildwestfilm tarnt. FACCIA A FACCIA ist ein reinrassiger
Italowestern, der geschickt mit sämtlichen Versatzstücken
und Mechanismen des Genres jongliert.
Milian und
Volonté verkörpern hochkomplexe Charaktere, deren
schleichende Wesensveränderung sich in fein schattierten Nuancen
vollzieht. Aber es ist vor allem Sollimas feinfühliger und
geschickter Inszenierung (und nicht zuletzt dem hervorragenden
Drehbuch) zu verdanken, daß dieser Diskurs niemals zum
prätentiösen Selbstläufer wird, sondern stets
geschickt in die Handlung eingebettet ist. „Show, don´t
tell!" – dieses erzählerische Grundprinzip wurde selten
besser auf den Punkt gebracht, als hier.
Sollima
zeigt anschaulich, was passiert, wenn ein humanistischer Denker durch
die Umstände gezwungen wird, seine Lebensphilosophie an der
rauen Realität zu messen. Kann er das theoretische Konstrukt
seiner Ideale aufrechterhalten oder wird es an den nackten Tatsachen
zerbrechen? Diese Frage beantwortet der linksgerichtete
Existentialist Sollima auf deutliche Weise: Das Handeln des
Individuums wird nicht durch sein Wünschen bestimmt, sondern
durch Umstände und Umwelt.
Während
der Bandit Bennet jedoch aus dem Bauch heraus handelt und von seinem
Willen zum Überleben angetrieben wird, vermag der intellektuell
überlegene Fletcher zwischen Gut und Böse zu differenzieren
– und trifft bewusst seine Entscheidung.
Es ist
Sollima hoch anzurechnen, daß er in FACCIA A FACCIA jedoch kein
durchweg pessimistisches oder nihilistisches Menschenbild vertritt,
denn der Wandlung von Fletcher zum faschistoiden Führertyp
stellt er die Veränderung Bennets gegenüber: Mit
gesteigertem Unbehagen beobachtet er Fletchers Wertewandel und kommt
letztendlich zu dem Schluss, daß ehrenvolle Ideale und
humanistisches Handeln obsiegen müssen, wenn die Freiheit
erhalten werden will.
Der Film
steht und fällt natürlich durch das Paar Milian/Volonte,
die hier ihre definitive Meisterleistung abliefern. Besonders Volonté
spielt göttlich, dessen Verwandlung vom kränklichen,
hustenden Bildungsbürger zum kalt kalkuliernden Anführer,
der vor düsterer Vitalität strotzt, sich glaubhaft
entwickelt. Milian verkörpert hier, anders als in den anderen
beiden Sollima-Western, mal nicht den typischen Cuchillo-Charakter,
ist aber zumindest optisch an die Figur angelehnt. Er ist wie üblich
eine Bank und verleiht seiner Figur die Milian-typischen Eigenheiten.
In einer
Nebenrolle sehen wir den unvergesslichen William Berger, der sich als
verschlagener Pinkerton-Detektiv Sirringo bei Bennet einschleicht und
seine Bande infiltriert.
Der Film
legt bei aller Tiefe ein flottes Tempo an den Tag – sowohl bei den
(sparsam aber gezielt eingesetzten) Actionszenen als auch bei den
großartig geschriebenen Dialogszenen kommt zu keiner Sekunde
Langeweile auf. Auch Ennio Morricones atmosphärische Musik trägt
hierzu angenehm bei.
Ein
herausragender und unverzichtbarer Italowestern mit einer
ungewöhnlichen Botschaft, der in keiner Sammlung fehlen sollte!
Die DVD
ist Bestandteil der wundervollen Sergio Sollima Italowestern-Box von
KOCH. Als Einzel-DVD ist der Film leider nicht erhältlich, was
mir bis heute nicht einleuchtend erscheint, immerhin sind die anderen
beiden Western DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE und LAUF UM DEIN LEBEN
im Zuge der Koch Italowestern-Reihe erschienen.
Die Frage,
ob es sich rentiert, für diese Box einen Haufen Geld auszugeben,
kann ich nur mit donnerndem „JA!" beantworten. Zum ersten ist sie
wunderschön aufgemacht und stellt ein Prachtstück im Regal
dar, zum zweiten beinhaltet sie eine fette Extra-DVD mit
Bonusmaterial zu allen drei Filmen und das 256 Seiten dicke
Hardcover-Büchlein „Leichen pflastern ihren Weg" von Ulrich
P. Bruckner, eine abgespeckte Version seines Italowestern-Lexikons
(„Für ein paar Leichen mehr"), das sich schon aufgrund der
vielen schönen Poster-Reproduktionen lohnt. Zusätzlich wird
noch ein 32seitiges Booklet mit Begleittexten mitgeliefert.
Verkauft
eure Autos, Häuser, Frauen und anderen sinnloses Zeug, damit ihr
diese Box eurer eigen nennen könnt, aber hört bloß
auf, euch zu fragen, ob ihr sie braucht oder nicht – ihr braucht
sie.
„Wir tun beide dasselbe. Das ist
richtig. Es gibt aber einen Unterschied. Ich weiß, was ich
tue!"
Fletcher zu Bennett
- Pelle-
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.