DER VAMPIR VON NOTRE DAME
(„I Vampiri“, Italien 1956) R: Riccardo Freda und Mario Bava
Eine
unheimliche Serie von Morden erschüttert Paris – junge Damen
werden in blutleerem Zustand in der Seine-Metropole aufgefunden.
Dies veranlasst die Regenbogenpresse zu wilden Spekulationen: Treibt
in Paris ein Vampir sein Unwesen? Der ehrgeizige junge Reporter
Pierre (Dario Michaelis) heftet sich mit fanatischem Eifer an die
Fersen des mysteriösen Mörders – ohne dass irgendjemand seinen
Theorien Beachtung schenkt. Seine Spurensuche führt ihn
ausgerechnet in das Schloss und medizinische Forschungsinstitut des
undurchsichtigen Professors Julien Du Grand (Antoine Balpêtré),
dessen Enkelin Giselle (Gianna Maria Canale) in leidenschaftlicher
Zuneigung zu ihm entbrannt ist. Eine „Liebe“, für die Pierre
mittlerweile nur mehr Verachtung empfindet, denn er hält Giselle
für eine kaltherzige und berechnende Frau, die nur auf ihren
Vorteil bedacht ist. Die Hausherrin des düsteren Gemäuers ist
Giselles gräfliche Großmutter, die ihr Gesicht stets unter einem
schwarzen Schleier versteckt. Was geschieht hinter den Mauern des
Schlosses? Wozu dienen die sinistren Experimente, die der Professor
in seinem unterirdischen Labor durchführt? Welches Geheimnis
verbirgt sich in der Familiengruft und wohin führen die
verschlungenen Geheimgänge hinter den Wänden? Und vor allem: Wird
Pierre das nächste Opfer des Vampirs retten können?
Dank
des löblichen Labels Anolis können Freunde des italienischen Kinos
diesen wundervollen Gruselklassiker seit einiger Zeit endlich auf
DVD genießen, obendrein in drei verschiedenen Fassungen (der
deutschen Kinoauswertung, der US-Fassung und der italienischen
Originalversion). Obwohl es sich bei I VAMPIRI um den ersten
„echten“ Italo-Horrorfilm handelt – zumindest wenn man Eugenio
Testas obskuren IL MOSTRO DI FRANKENSTEIN von 1920 außen vor lässt
– kannten die meisten Filmfans dieses Kleinod bislang allenfalls
vom Hörensagen.
Überraschend
an I VAMPIRI ist vor allem seine Originalität, denn den Zuschauer
erwartet hier alles andere als eine biedere Vampirgeschichte im
landläufigen Sinne. Vielmehr verknüpft die Story auf kongeniale
Weise Elemente des Gothic-Gruselkintopps mit der Mad
Scientist-Thematik, rührt etwas düstere Schauerromantik und
Sexualpathologie hinzu und rundet das Ganze mit großartig
gestalteten Studiobauten und einer vorzüglichen Fotografie aus dem
sicheren Händchen Mario Bavas ab. Die Kameraführung und vor allem
die beeindruckende Ausleuchtung der Sets ist eine Augenweide und
gehört zu Bavas besten Arbeiten als Director of Photography. Die
stimmungsvollen Licht- und Schatten-Malereien erinnern mitunter an
die expressionistischen Meisterwerke von Lang und Murnau.Dem Liebhaber gepflegter
filmischer Gruselunterhaltung wird hier ein reich bestücktes
Tableau mit sämtlichen barocken Zutaten des Genres feilgeboten:
düstere Gemäuer, spinnwebenverhangene Geheimgänge, Mausoleen mit
totenkopfverzierten Sarkophagen, wehende Vorhänge, knorrig
verwachsene Baumgerippe im Nebel. Die Bauten sind eine Wucht und
strotzen von liebevollen Details. Zusätzlich werden die akustischen
Sinne durch einen hochdramatischen und aufwühlenden Score von Roman
Vlad verzückt, der leider aufgrund des altersbedingt schrebbligen
Tons ein wenig versackt.
Auf
tricktechnischer Ebene überrascht eine rundum gelungene
Verwandlungsszene (bzw: Alterungsszene), die ganz ohne Stop
Motion-Schnickschnack auskommt, sondern lediglich durch verschiedene
Schichten von Schminke, geschickte Lichtsetzung und die zauberhaften
Mittel der Schwarzweißfotografie erzielt wurde. Restlos überzeugend
wird diese Illusion aber erst durch die schauspielerische Leistung
der faszinierenden Gianna Maria Canale (die damalige Miss Italien
und Ehefrau von Riccardo Freda!), die in diesem Film herausragend
agiert. Dario Michaelis als Pierre hinterlässt zwar einen weniger
bleibenden Eindruck, erledigt seinen Job als typischer 50er
Jahre-Smartboy aber recht anständig. Der Polizeiinspektor wird von
Carlo D´Angelo gegeben, der seinen letzten Filmauftritt als
Gouverneur in LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG absolvierte. Mitreißend
ist auch die Leistung von Paul Muller als Kalfaktor des Professors,
dessen grausiges Schicksal dem Betrachter frostige Schauer über den
Rücken jagt. In späteren Tagen gab Muller sich dann bei Jess
Franco und Tinto Brass die Ehre, unter anderem mit EINE JUNGFRAU IN
DEN KRALLEN VON ZOMBIES und PAPRIKA – EIN LEBEN FÜR DIE LIEBE.
Es ist
allgemein bekannt, dass Regisseur Riccardo Freda bei I VAMPIRI nach
10 Tagen Drehzeit das Handtuch warf, weil er mit dem straffen
Zeitrahmen des Produktionsplans, der lediglich 12 Tage für die
Dreharbeiten vorsah, nicht mithalten konnte oder wollte. Daraufhin
übernahm Kameramann Bava die Regie und tütete den beachtlichen
Rest des Films in nur zwei Tagen ein. Es wird wohl ewig Stoff für
Mutmaßungen und Legenden bleiben, welches Material letztendlich von
Bava und welches von Freda inszeniert wurde. Ein Bruch innerhalb der
Narrative ist jedenfalls nicht festzustellen. Verehrer von Bava
behaupten gern, in den gotischen Bildkompositionen erkenne man die
unnachahmliche Handschrift des Meisters – damit lassen sie jedoch
Freda Unrecht angedeihen. Das visuelle Genie und das intuitiv
inszenatorische Feingefühl Bavas mag Freda zwar weitgehend abgehen,
trotzdem zählt er zu den unbesungenen Meistern des italienischen
Gruselkinos, der mit seinen späteren Werken DAS GESICHT IM DUNKEL,
L'ORRIBILE SEGRETO DEL DR. HICHCOCK oder TRAGIC CEREMONY viel Gespür
für eine einzigartig schaurige Atmosphäre bewies. Auch im
Giallo-Genre konnte er mit seinem charmanten, aber äußerst
ruppigen Beitrag DIE BESTIE MIT DEM FEURIGEN ATEM punkten, den man
vielleicht nicht zu den Glanzstücken seiner Zunft zählen kann, der
aber allein schon durch die Anwesenheit des großartigen Luigi
Pistelli Freude bereitet.
Die
DVD-Ausgabe von Anolis ist ein wahrgewordener Traum. Ein schön
gestalteter Pappschuber beherbergt ein stabiles Digipack mit zwei
Silberlingen, sowie einem Booklet mit Texten von Thomas Wagner
(www.mariobava.de.vu) und Uwe Rink. Unter den Boni befindet sich
eine Doku über Paul Muller, Trailer, eine Bildergalerie und ein
gewohnt informativer und kurzweiliger Audiokommentar von Christian
Kessler und Markus Stiglegger.
Schlusswort:
Ein Schmuckstück, das in jeder italophilen Filmsammlung einen
Ehrenplatz auf dem Kaminsims verdient hat. Die DVD von Anolis wird
sicherlich bald restlos vergriffen sein. Wer dann leer ausgegangen
ist, dem bimmelt traurig das Totenglöckchen, und er muss sich in
der Familiengruft eigenhändig einsargen.
- Pelle -
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sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.