Filmclub Bali
   
 

TORSO – DIE SÄGE DES TEUFELS

(„I corpi presentano tracce di violenza carnale“, Italien 1973) R: Sergio Martino

Möpse, Morde & Maskenmann

Hübsche Kunststudentinnen fallen einem brutalen Killer zum Opfer. Der irre Mörder erdrosselt die jungen Damen mit einem Halstuch, anschließend macht er sich auf bestialische Art an den Leichen zu schaffen. Daniela (Tina Aumont) verdächtigt Stefano (Roberto Bisacco), der ihr schon seit einer gefühlten Ewigkeit nachstellt. Für ihre Freundin und Kommilitonin Jane (Suzy Kendall) läuft es momentan besser, sie versteht sich sehr gut mit Professor (John Richardson), zaghafte Bande gegenseitiger Zuneigung zeichnen sich ab. Die Lage spitzt sich mehr und mehr zu, Daniela wird von Stefano immer energischer bedrängt, der Bursche ist regelrecht besessen von ihr. Um ein wenig abzuschalten, dem Trubel der Stadt zu entkommen, fahren Daniela, Jane und zwei weitere Freundinnen raus aufs Land. Danielas Onkel besitzt dort ein großzügiges Anwesen, welches außerhalb eines beschaulichen Dorfes liegt. Die jungen Frauen genießen ihr neues Umfeld, endlich können sie die grausigen Vorfälle hinter sich lassen. Jane hat diesmal nicht das Glück auf ihrer Seite, sie stürzt eine Treppe hinab, verstaucht sich dabei den Knöchel. Der herbeigerufene Arzt (Luc Merenda) kommt den Mädchen bekannt vor, man war sich zuvor in einem Zugabteil begegnet, vielleicht sogar bereits im Umfeld der Universität? Daniela glaubt den aufdringlichen Stefano hinter einem Gebüsch erkannt zu haben. Schlägt ihre Phantasie nervöse Kapriolen, oder ist der Student den Freundinnen tatsächlich bis in die abgelegene Gegend gefolgt? Bald soll unfassbares Grauen über die Bewohnerinnen der Villa hereinbrechen, schrecklicher als jeder fürchterliche Albtraum...
Torso
Sergio Martino hat in den frühen siebziger Jahren fünf herrliche Gialli abgeliefert, der 1973 gestartete Torso war der letzte Film dieser Phase. Ich liebe sie allesamt, doch der wunderschöne "Der Killer von Wien" (Lo strano vizio della Signora Wardh, 1971) überstrahlt seine Verwandtschaft, thront nicht nur an der Spitze der Filmographie des Herrn Martino. "Der Killer von Wien" zählt zu meinen Lieblingswerken aus dem Bereich Giallo, mehr noch, er zählt zu meinen ewigen "Top 50", in denen er einen der vorderen Plätze für sich beanspruchen darf. Doch ich will mich nicht in Liebeserklärungen für diesen Edelstein mit Edwige Fenech ergehen -obwohl mir die Beherrschung sehr schwer fällt- schließlich soll hier kurz "Torso" vorgestellt werden. Besagter "Torso" gefiel mir bereits bei der Erstsichtung gut, stand aber ein wenig im Schatten seiner glorreichen Geschwister. Seit letzter Nacht ist dem nicht mehr so, es hat nicht nur sanft in meiner Rübe geklickt, der Film eroberte mein Herz im Sturm!
Schon der Auftakt ist eine Wohltat, an Atmosphäre und Stilsicherheit kaum zu toppen. Nackte Schönheiten räkeln sich lustvoll vor den Augen des Betrachters, doch in dieser Wonne platziert Sergio Martino gnadenlos ein kleines, gemeines und zupackendes Ausrufezeichen! Eine nicht identifizierbare Gestalt drückt einer Spielzeugpuppe die Äuglein ein, sofort wird die prickelnde Erotik durch eine böse Vorahnung befleckt. Danach gewährt uns "Torso" einen Moment der entspannten Neugier. Während der Professor mit verhaltener Leidenschaft über sein Fachgebiet referiert, blickt die Kamera in den Hörsaal, präsentiert uns relevante Gesichter, erste Verdachtsmomente und Anhaltspunkte werden gestreut. Dann folgt ein früher Ausbruch, ein Paar gibt sich im Auto dem Liebesspiel hin, plötzlich entdeckt der stramme Liebhaber einen vermeintlichen Voyeur. Der Hahnenkamm des gestörten Begatters schwillt in Rekordzeit an, der Spanner soll eine Abreibung kassieren, beide Herrschaften verschwinden in der Dunkelheit. Stille, Finsternis, dann leise knirschende Schritte auf dem Schotterboden. Die junge Frau wird von Unwohlsein befallen, welches schnell panischer Gewissheit weichen soll. Maskierter Killer, Halstuch, Brüste und eine Klinge. Diese ersten Minuten machen keine Gefangenen! Wenn man sich wirklich voll und ganz auf den Film einlässt, ist bereits jetzt keine Flucht mehr möglich, sitzt der Stachel der Faszination tief und fest verankert in Leib und Seele. Oft wird "Torso" als Vorlage für spätere Slasherfilme bezeichnet, ähnliches gilt für "Im Blutrausch des Satans" (Reazione a catena, 1971) von Altmeister Mario Bava. Es wäre ein Fehler die Flicks darauf zu reduzieren, doch ihr Einfluss auf den Slasherfilm ist tatsächlich bis in die heutige Zeit ungebrochen. Martino setzt Maßstäbe, derartig beeindruckend, intensiv und fesselnd, dass mir vor Ehrfurcht eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagt. Hippies dampfen und musizieren, mittendrin eine Studentin, bei deren Anblick sich nicht nur das Herz öffnet. Mit zwei Herren gibt sich aufkeimender Lust hin, doch dann lässt sie die Möchtegernrittmeister barsch abblitzen, macht sich verärgert aus dem Staub. Was nun kommt, ist "Backwoodhorror-Feeling" in Perfektion. Berauscht torkelt die holde Maid durch ein Waldstück, versinkt knöcheltief im Morast. Nebelschwaden, eine Gestalt im Gehölz, Angst dampft aus jeder Pore, dann ein erneuter Mord, der braune Sumpf wird zum blutroten Grab. Auch das Finale ist ein Herzterrorist erster Güteklasse, Suzy Kendall schwankt zwischen blankem Entsetzen, Hoffung und verdammt bösen Überraschungen. Wenn dieser Stoff kalt lässt, der sollte sich besser gleich in Spiritus einlegen lassen. Seitenweise könnte ich jede Szene voller Wonne umschreiben, doch das würde eindeutig zu weit führen, entdeckt diesen Film auf eigene Faust, das macht viel mehr Freude!
Früher bemängelte ich das Fehlen einer echten Hauptrolle, sowie die nahezu völlig durch Abwesenheit glänzenden Ermittlungsbehörden. Welch blinde und engstirnige Sicht der Dinge! "Torso" hat mit Suzy Kendall und Tina Aumont zwei toll aufspielende "Hauptdamen" im Gepäck, deren Leistungen ich erst jetzt wirklich zu schätzen gelernt habe. Und wer zum Geier benötigt unbedingt den Polizeiapparat als tragendes Element in einem Film dieser Art? Entsprechende Handlungsstränge würden vermutlich zu einer unnötigen Aufblähung des Films führen, die wichtigen Rollen sind überzeugend angelegt und besetzt. Die Atmosphäre spielt in eine Hauptrolle, aber trotz ihrer massiven Präsenz und Eindringlichkeit, verkommen die Akteure nicht zu Randnotizen. Es gelingt Sergio Martino über die gesamte Laufzeit, stets die richtige Balance zu finden. Hinzu kommt die sehr ansprechende Kameraarbeit von Giancarlo Ferrando, sowie der wundervolle Soundtrack der De Angelis Brüder. Ein paar Worte zu den Darstellern seien mir noch gestattet. Suzy Kendall mag auf den ersten Blick ein paar Jährchen zu alt für ihre Rolle wirken. Sie ging damals stramm auf die 30 zu, sah auch entsprechend aus (was keinesfalls abwertend gemeint ist). Diese kleine Klippe umschifft man sehr elegant. Aus einer Unterhaltung zwischen Jane (Suzy Kendall) und ihrem Prof erfahren wir, dass sie zuvor bereits studiert hatte, zwischendurch für zwei Jahre selbst als Lehrkraft tätig war. Suzy Kendall spielt im "Herzschlagfinale" großartig, Angst, Abscheu und Verzweiflung werden regelrecht greifbar. Tina Aumont kam mir bisher immer sehr hübsch vor, ihren Part empfand ich jedoch als ein wenig anstrengend, wollte einen Hang zur Nerverei entdeckt haben. Keine Ahnung was mir damals durch den Schädel geisterte, ich kann mich inzwischen ohne Vorbehalte an der Leistung der Schauspielerin erfreuen. Luc Merenda fungiert als fleischgewordener Verdachtsmoment, wie eigentlich alle männlichen Nebendarsteller in "Torso". Roberto Bisacco mutet psychotisch an, John Richardson eine Spur zu freundlich. Damit nicht genug, Ernesto Colli gibt einen abstoßenden Straßenhändler, nebenbei treffen wir auf den seltsamen Milchmann, den geknechteten Dorftrottel, den "irgendwie" extrem hilfsbereiten Tankwart...
"Torso" mag auf den ersten Blick ein guter Giallo sein, gleichzeitig ein mehr als deutlicher Fingerzeig in Richtung Slasher. Auf den zweiten, dritten Blick ist der Film allerdings noch viel mehr! Eine Prachtsuhle, bis zum oberen Rand gefüllt mit Zutaten der besten Sorte. Ein unheimlicher Killer, selbstverständlich stilsicher maskiert, ruppig ausgeführte Morde. Knisternde Erotik, wohlgeformte Fruchtkörbe, dezent provokante Lesbenszenen. Treffsicher ausgewählte Kulissen, von schaurig bis schön, von wohnlich bis waghalsig. Erstklassig photographiert, mit schöner Musik untermalt.
Die DVD-Auswertung von X-Rated mag nicht perfekt sein, insgesamt bin ich aber zufrieden mit der Scheibe. Sehr erfreulich ist die Möglichkeit, dem Soundtrack per Menü lauschen zu dürfen. Freilich wäre eine beigefügte Bonus-CD noch angenehmer, aber wie war das noch, mit dem Leben und dem Wunschkonzert!? Vielleicht beschaffe ich mir zusätzlich die britische DVD von Shameless, gewissermaßen als Ergänzung zur X-Rated Scheibe, man gönnt sich ja sonst nichts.
Es ist passiert! "Torso" hat mich endgültig gepackt, ich bin beglückt, verzückt, entrückt! Sicher, den Überflieger "Der Killer von Wien" kann "Torso" nicht vom Sockel stoßen. Aber der Vorstoß in die Spitzengruppe des Giallo ist gelungen! Was bei diesem extrem starken Feld, als ein ganz besonders großes Lob zu verstehen ist! Sogar Herr Hitchcock rotiert vor Freude, grins.
Dicke 8,5/10 (sehr gut bis überragend!)
Lieblingszitat:
"Meine Bestimmung ist tief in mir verwurzelt."
-Blap -





Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken, sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.
Der Filmclub Bali ist eine rein private, nicht kommerzielle Interessengemeinschaft, die ausschließlich geschlossene Veranstaltungen für Clubmitglieder organisiert. Der Clubvorstand selbst arbeitet ehrenamtlich. Mitgliedsausweise erhält man im Kulturzentrum Pelmke, im Café, direkt vor Ort am Abend der Vorführung oder vom Clubvorstand. Die monatlich zu entrichtende Clubgebühr dient nur zur Finanzierung von Sonderaktionen oder speziellen Angeboten. Der Clubbeitrag ist bis spätestens 21 Uhr zu entrichten, danach ist geschlossene Gesellschaft. Die Vorstellungen des Filmclubs Bali sind geschlossene Veranstaltungen privater Natur und stehen in keinem Zusammenhang mit der Programmgestaltung des Kinos Babylon. Die Vorstellungen finden einmal im Monat, vornehmlich an Freitagen, ab 20:30 Uhr, statt.
Impressum Haftungsausschluss Datenschutz