ROCKER STERBEN NICHT SO LEICHT
("La Lunga spiaggia fredda", Italien 1973) R: Ernesto Gastaldi
Ein junges
Ehepaar, Jane (Mara Maryl) und Harry (Walter Maestosi) fahren zum
Meer, um das Wochenende in einer Ferienhütte an einem einsamen
Strand zu verbringen. Doch bereits am folgenden Morgen bekommen sie
unerwünschten Besuch: Vier Rocker dringen in die Hütte ein,
vergewaltigen Jane und schlagen Harry brutal zusammen. Während
Jane sich zu Rocherchef Fred (Robert Hoffmann) hingezogen fühlt
und der tristen Spießigkeit ihres langweiligen Daseins
entkommen will, ist der schwächliche Harry dem Terror der Bande
hilflos ausgeliefert. Doch dann wendet sich das Blatt...
Der
sympathische Ernesto Gastaldi war einer der profiliertesten
Drehbuchautoren während der Glanzzeit des italienischen
Genrekinos. Bekannt wurde er vor allem durch seine ausgezeichneten
Skripts für die Gialli von Sergio Martino, wie etwa IL TUO VIZIO
È UNA STANZA CHIUSA E SOLO IO NE HO LA CHIAVE. Weniger bekannt
sind seine Arbeiten im Regiefach, von denen lediglich LA LUNGA
SPIAGGIA FREDDA (Übersetzung: "Der lange kalte Strand") in
Deutschland im Kino lief und auf Video unter dem Titel DEATH COMPANY
bei Sunshine Pictures erschienen ist.
ROCKER
STERBEN NICHT SO LEICHT kommt auf den ersten Blick wie ein typischer
Rape’n'Revenge-Flick daher und weist deutliche Parallelen zu
artverwandten Filmen auf, wie etwa Bavas WILD DOGS oder AUTOSTOP
SANGUE ROSSO ("Wenn du krepierst, lebe ich") von Pasquale Festa
Campanile. Auch die Ähnlichkeit zum handelsüblichen
Rockerfilm liegt auf der Hand – erst im zweiten Drittel beginnt die
Geschichte eine andere, weit differenziertere Richtung einzuschlagen.
Bereits in
der Eröffnungsszene wird deutlich, daß es um Janes und
Harrys Ehe nicht zum Besten gestellt ist: Er ist ein penibler Nörgler
und spießbürgerlicher Besserwisser, der seine Gattin
maßregelt und gängelt. Seine größte Sorge ist,
ob sie auch daran gedacht hat, das Ketchup einzupacken. Ihr dagegen
lugt die Frustration aus jedem Knopfloch: gelangweilt schweigend
stopft sie mechanisch Chips in sich hinein, während er seine
Plattitüden absondert. Es wird bald offensichtlich, daß
Harry den Wochenendtrip als Chance nutzen will, um das eingerostete
Eheleben zu kitten – seine plumpen Annäherungsversuche weist
Jane jedoch unterkühlt zurück. "Du hast kalte Hände",
sagt sie, als er sie erregt von hinten umfasst. Das "romantische"
erste Abendessen im Feriendomizil besteht aus Fertiggerichten – mit
Ketchup.
Schließlich
kommt es doch noch zu einem kurzen und leidenschaftslosen
Geschlechtsakt, nach dessen automatisch wirkendem Vollzug Harry
umgehend einschläft und Jane sich mit verzerrtem Gesicht zur
Seite dreht.
Während
Harry nicht einmal im Urlaub seine Krawatte ablegt, läuft Jane
halbnackt am Strand auf und ab und starrt sehnsüchtig in die
Meeresbrandung. Man ahnt bereits: Hier wallen ungestillte Gelüste
unter der wogenden Brust, die ihr spießiger Ehemann nicht zu
erfüllen vermag. Und kurz darauf starrt die animalische Natur
durchs Fenster der Hütte – in Form von vier langhaarigen und
bärtigen Schmierlappen mit Lederjoppen, Fellwesten und
Mopedstiefeln...
In den
wenigen Schriftstücken, die diesen nahezu unbekannten und
unterschlagenen Film überhaupt erwähnen, wird er gemeinhin
als "Sleaze" bezeichnet. Tatsächlich steuert die Geschichte
von diesem Punkt an zunächst in recht schmieriges Fahrwasser –
Harry wird zusammengestiefelt, Jane wird rangenommen, zunächst
nur von Anführer Fred. Jane: "Animals like
you don´t make love, they copulate!" Fred: "That´s
right, and that´s what we´re gonna do – copulate!"
Bereits an
dieser Stelle bemüht das Skript sich um eine sorgfältige
Charakterisierung der Bande: Fred, das wird bald deutlich, hat sich
mehr als nur einen Rest Menschlichkeit erhalten – ursprünglich
war er mal ein sanftmütiger Typ mit pazifistischen Idealen, der
einfach nur auf der Suche nach der großen Freiheit war. Eine
Eigenschaft, die ihn unmittelbar mit Jane verbindet. Der sadistische
Thomas (Gianni Loffredo alias Joshua Sinclair, einer von Franco Neros
fiesen Brüdern aus KEOMA) ist ein ehrgeiziger Emporkömmling,
der heimlich nach der Führerschaft in der Gruppe trachtet und es
gar nicht abwarten kann, bis er bei Jane "an der Reihe" ist. Der
bedächtige Mexikaner Speed (Fabian Cevallos) ist Fred in höriger
Loyalität ergeben, während Jonathan (Riccardo Salvino) ein
überdrehter Psycho ist, der ständig Nahrungsmittel in sich
hineinstopft und bei der Vergewaltigung nur "zugucken" will.
Es ist dem
hervorragenden Drehbuch mit seiner vielschichtigen Figurenzeichnung
und der sorgfältigen, stilsicheren Inszenierung von Gastaldi zu
verdanken, daß der Film eben nicht in reinen Sleaze-Sümpfen
versackt, sondern sich von einem waschechten Terrorfilm sehr
nuanciert zu einem bösartigen Sozial- und Beziehungsdrama
entwickelt, das es faustdick hinter den Ohren hat.
Als Harry
sich eingestehen muss, daß er mit körperlichen Mitteln
gegen die Übermacht der Rocker nicht ankommt, beginnt er zu
intrigieren und die Bande gegeneinander auszuspielen. Gleichzeitig
bahnt sich zwischen Fred und Jane eine (zunächst animalisch
wilde, dann jedoch zartere) Romanze an, was Harry erst mit
Verstörung, dann mit zunehmender Gleichgültigkeit hinnimmt.
Thomas, der als Vize-Präsi Ansprüche auf Jane erhebt,
beginnt seinerseits den Rest der Bande gegen Fred aufzuwiegeln. Jane,
die angekotzt ist von der sterilen Welt des bürgerlichen
Konsums, beginnt sich in Fred zu verlieben und straft die
halbherzigen Versuche ihres Mannes, sich als Held aufzuspielen, mit
Hohn und Verachtung: "Harry... you´ll only get hurt."
Trotzdem ahnen sie und Fred, daß ihre Leidenschaft unter einem
bösen Stern steht: Beide sind sie Verlorene und Verzweifelte,
ihr Innerstes bleibt leer und seelenkalt, am Ende steht doch nur die
Selbstzerfleischung...
Und
schließlich endet es, wie es enden muss: Die Rocker wenden sich
gegen ihren Chef und es kommt zum Blutvergießen. Der lange
kalte Strand färbt sich rot. Am Ende sind die Übriggebliebenen
sich selbst noch entfremdeter und innerlich abgestorbener, als sie es
bereits zu Beginn waren.
ROCKER
STERBEN NICHT SO LEICHT ist ein ganz vorzüglicher Film, der
stets die schwierige Balance zwischen sleaziger Exploitation und
rustikalem Melodram zu halten vermag. Gastaldi kann mit einer dichten
und punktgenauen Inszenierung, tiefschürfender Charakterisierung
und wunderbar gestalteten Kamerakompositionen punkten, die zuweilen
an die Bildsprache von Italowestern erinnern. Das spartanische
Setting begünstigt die klaustrophobische und auswegslose
Atmosphäre, die den Film mitunter zu einem Kammerspiel
reduziert. Wunderbar ist auch der Score von Stelvio Cipriani, der
teilweise sehr gialloesk wirkt, in einigen Momenten aber auch mit
einem Italowestern-artigen Mundharmonikathema aufwartet.
Das aus
lediglich sechs Darstellern bestehende Ensemble spielt seine Rollen
durch die Bank brillant. Auch in dieser Hinsicht hat Gastaldi aus
seinem Stoff das Höchstmögliche herausgekitzelt.
Hut ab vor
einem großartigen, leider aber nahezu untergegangenen Stück
Genrekino.
Zitat:
"The moment that a soul has been lost to the devil, a man is born."
"The moment that a soul has been lost to the devil, a man is born."
- Pelle -
P.S.:
Nachdem ich den Film jahrelang verzweifelt gesucht habe, ist mir nun
eine recht obskure Fassung ins Haus geflattert – die dänische
VHS mit englischem Ton und dänischen Untertiteln, allerdings im
korrekten Bildformat und ungekürzt. Die deutsche Kinofassung war
bereits um 8 Minuten geschnitten, die deutsche Videoauswertung sogar
um 12 Minuten. Trotzdem würde ich diese Fassung gern mal sehen,
denn ich kann mir denken, daß die deutsche Synchro um einiges
schmieriger rüberkommt, als der englische Dub. Besonders
deutlich wird dies an einer Stelle, wo Fred in der synchronisierten
Fassung sagt: "Früher waren wir ein lustiger Haufen, bunte
Hippies – heute sind wir Rocker, hart und brutal!" - In der
englischen Version klingt diese Passage nicht halb so lächerlich.
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.