INFERNO UNTER HEISSER SONNE
(„Al tropico del cancro“, Italien 1972) R: Edoardo Mulargia
Kunst, Popanz und Voodoo!
Dr. Williams (Anthony Steffen) lebt
seit einiger Zeit auf Haiti. Dem angesehenen Wissenschaftler ist die
Entwicklung eines -aus seiner Sicht- äußerst gefährlichen Serums
gelungen, diverse Interessenten möchten schnellstmöglich Zugriff
auf die Substanz erhalten. Williams weist alle Angebote mit Nachdruck
zurück, lässt sich auch nicht durch Drohungen und Gewaltanwendung
umstimmen. Fred Wright (Gabriele Tinti) und seine Gattin Grace (Anita
Strindberg) sind gemeinsam nach Haiti gereist, die Ehe des Paares
scheint kurz vor dem Ende zu stehen. Während Grace sich nicht mit
dem ungewohnten Umfeld anfreunden mag, freut sich Fred vor allem über
das Wiedersehen mit seinem alten Kumpel Williams. Bald sorgt eine
erschreckende Mordserie für jede Menge Aufregung, offenbar ist eine
Probe des tödlichen Serums in falsche Hände geraten. Welche Rolle
fällt Fred in diesem lebensgefährlichen Spiel zu? Steckt der
zwielichtige Mr. Garner (Stelio Candelli) hinter den Morden, weil der
von ihm mit der Beschaffung des Stoffes beauftragte Peacock (Alfio
Nicolosi) keinen Erfolg vorweisen kann? Weitere Todesfälle sind zu
beklagen, wird sich Dr. Williams dem Terror beugen?
"Inferno unter heißer Sonne"
transportiert das übliche Umfeld des Giallo in die tropische Hitze
Haitis, es muss nicht immer eine Großstadt in Italien (oder Europa)
sein. Trotz der exotischen Kulisse verzichtet der Film nicht auf
schwarze Handschuhe, ruppige Morde und eine ordentliche Prise Erotik.
Spannung und Logik ordnen sich verdorbenen Charakteren und stilvollen
Schauplätzen unter, ebenso typisch für das Genre (ich sage es immer
wieder, wer Logik braucht, der soll Rechenaufgaben lösen). Einige
Szenen gewähren dem Zuschauer Blicke auf Rituale des Voodoo,
verleihen dem Werk einen dezenten "Mondo-Anstrich". Seinen
sinnlichen Höhepunkt erreicht das Treiben in einer wunderschön
gefilmten Traumsequenz, im Rausch erlebt Anita Strindberg ein
erotisches Abenteuer. An Nacktheit hatte man sich zu dieser Zeit
bereits gewöhnt, gleichwohl gilt die Hingabe der attraktiven
Schwedin einem schwarzen Adonis. Für manch enge Stirn vermutlich ein
Skandal, für Filmfreunde ein Moment voller Anmut, Schönheit und
knisternder Erotik. Die Regie ordnet man Edoardo Mulargia und
Giampaolo Lomi zu, In diesem Zusammenhang lässt das Bonusmaterial
der DVD aufhorchen. Während der geschätzte (inzwischen leider
verstorbene) Experte Antonio Bruschini die Regie Mulargia zuordnet
(Lomi soll nur die "Mondo-Szenen" gedreht haben), berichtet
Giampaolo Lomi von seiner fast vollständig eigenständigen Arbeit,
Mulargia sei nur als Beobachter an Bord gewesen, habe die meiste Zeit
am Strand verbracht. Für Bruschinis Ansicht spricht ein Blick auf
die Karrieren der Herren Mulargia und Lomi, andererseits sollte Lomi
es als damals Beteiligter besser wissen. Sehr gut gefällt mir die
Kameraarbeit von Marcello Masciocchi, die sich immer wieder wie ein
lüsternes Raubtier präsentiert. Lomis "Mondo-Shots"
schlagen nicht minder zielsicher ein, erstaunlicherweise wirken sie
nicht wie die Spieldauer streckende Fremdkörper, sondern ziehen den
Betrachter noch tiefer in das Geschehen hinein. Es wäre unfair den
angenehmen Score von Piero Umiliani zu unterschlagen, welcher das
bunte Treiben punktgenau und sehr hörenswert aufhübscht.
Wie schlägt sich Anthony Steffen ohne
Colt und Hut, abseits staubiger Westernszenarien? Sicher, der liebe
Anthony zählte zu den gefragtesten Darstellern des Italowestern,
doch funktionierten seine eher überschaubaren Fähigkeiten auch
außerhalb dieses eher limitierten Genres? Aus meiner Sicht kann ich
diese Fragen mit einem dicken und großen JA beantworten! Für mich
hat er seine besten Auftritte in Streifen wie z. B. "La notte
che Evelyn uscì dalla tomba" (Die Grotte der vergessenen
Leichen aka Die Nacht in der Evelyn aus dem Grab kam, 1971) und
"Femmine infernali" (Die Liebeshexen vom Rio Cannibale,
1980). Einmal mehr agiert Steffen hölzern und hüftsteif, wetzt
diese Scharte jedoch mit seiner ganz speziellen und unverschämten
Lässigkeit aus, seine natürliche Präsenz übertüncht mühelos
sämtliche "Nichtschauspielerei". Überhaupt ist Herr
Doktor Williams ein verdammt cleverer Typ, bei Bedarf zaubert er
locker ein Gegenmittel nach einem gefährlichen Spinnenbiss aus dem
(nicht vorhandenen) Hut, landet wie selbstverständlich mit der
schönsten Frau der Sause im Lotterbett. Gabriele Tinti kennt und
schätzt wohl jeder Liebhaber exotisch-erotischer Italostreifen, der
spätere Ehemann der legendären Laura Gemser ist stets eine
Bereicherung. Vor allem in den gemeinsamen Szenen von Steffen und
Tinti wird deutlich, dass sich Blender und Könner erstklassig
ergänzen können, trotz offensichtlicher Unfähigkeit vermag sich
Steffen gegen Tinti behaupten. Anita Strindberg veredelt einige
Genreperlen mit ihrer kantigen, kühlen und nordischen Schönheit,
war in Werken von Größen wie Lucio Fulci (A Lizard in a Woman's
Skin/Una lucertola con la pelle di donna, 1971), Sergio Martino (La
coda dello scorpione/Der Schwanz des Skorpions, 1971) oder Aldo Lado
(Chi l'ha vista morire, The Child - Die Stadt wird zum Alptraum,
1972) zu bewundern, die Dame gehört fraglos zu den Königinnen der
frühen siebziger Jahre. Zwischen den Polen Steffen und Tinti
verteidigt Strindberg ihre großzügige Nische souverän, Grace
schwimmt sich nach und nach frei. Frust in der Ehe, sexuelle
Phantasien, wachsendes Selbstbewusstsein und pure Sinnlichkeit, nie
war Schweden schöner. Der Blick auf die Riege der Nebendarsteller
lohnt sich, mir gefällt die ruppige Darbietung von Stelio Candelli
sehr gut, Alfio Nicolosi sorgt als feister Puderbeutel für manchen
Schmunzler, Umberto Raho punktet als kerniger Hotelfritze.
Vielleicht sollten Neueinsteiger sich
zunächst mit den bekannteren Klassikern des Genres beschäftigen,
als Fixpunkt möchte ich Dario Argentos "Das Geheimnis der
schwarzen Handschuhe" anführen. "Inferno unter heißer
Sonne" tischt dem Liebhaber bewährte Zutaten auf, kleidet sich
darüber hinaus in ein exotisches Gewand, kleine Mondoausritte
inklusive. Großartige Momente allerfeinster Sorte treffen auf
groteske Zwischentöne, der Fan freut sich über das Date mit den
Lieblingen Strindberg, Steffen und Tinti. Mhhmm, gerade kommt mir
erneut Anitas Traum in den Sinn, ich schwebe sanft davon …
Halt! So nicht! Wie ist es um die
Qualität der DVD bestellt? Auf Camera Obscura ist Verlass! Der Film
liegt in sehr schöner Qualität vor, zwei interessante Interviews,
ein Trailer und eine Bildergalerie sind im Bonusbereich zu finden.
Überdies enthält das Set ein Booklet, Christian Keßler unterhält
mit sehr lesenswerten Ausführungen. Verpackt ist diese hochklassige
Veröffentlichung in einem Digipak samt Schuber. Achja, der Ton liegt
in deutscher und italienischer Sprache vor, die deutsche Synchro
gefällt mit ihrem teils nassforschen Zungenschlag. Fast hätte ich
die hemmungslose schöne Gestaltung des Menüs nicht gelobt ...
Fazit: Klarer Pflichtkauf, klarer geht es nicht!
Punkte? Muss das unbedingt sein? Mehr
als 7/10 (gut) lässt der Vergleich mit den Spitzen des Genres nicht
zu, gleichwohl ist "Inferno unter heißer Sonne" für den
Sammler unverzichtbar! "Repertoirewert" 10/10 &
Wohlfühlfaktor 10/10!!!
Lieblingszitat:
"So schön finde ich Dein Haiti jetzt auch wieder nicht."
"Warte nur, wenn Du erst ein paar Tage hier bist, dann willst Du gar nicht mehr weg!"
"Warte nur, wenn Du erst ein paar Tage hier bist, dann willst Du gar nicht mehr weg!"
Blap
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