IM BLUTRAUSCH DES SATANS
(„Reazione a catena”, Italien 1971) R: Mario Bava
Der
Film beginnt wie ein klassischer Giallo: Die an den Rollstuhl
gefesselte Gräfin Federica Donati (Isa Miranda) wird auf
sadistische Weise in ihrer mondänen Villa stranguliert. Vom
Täter sieht man zunächst nur die Füße, dann
streift er sich gelassen die schwarzen Lederhandschuhe ab. Die Kamera
fährt weiter hoch und entblößt sein böse
lächelndes, schnurrbärtiges Antlitz. Er kann zufrieden mit
sich sein, immerhin hat er den Mord wie einen offensichtlichen
Freitod angelegt und hinterlegt obendrein einen fingierten
Abschiedsbrief. Nanu?, wundert sch der Zuschauer. Ein Giallo, bei dem
die Identität des Täters bereits in der ersten Szene
gelüftet wird? Nur Sekunden später fährt aber eine
Messerklinge aus den Schatten und macht aus dem Täter ebenfalls
ein Opfer…
Der
Landsitz der reichen Gräfin befindet sich in der malerischen
Bucht eines großen Sees, an dessen Ufern sich kurze Zeit später
eine illustre Runde von Personen einfindet, die allesamt Interesse am
Nachlass der alten Dame anmelden. Da wäre zunächst einmal
der windige Geschäftsmann Frank Ventura (Cristea Avram), der
seit Längerem versucht, den Mann der Gräfin, Filippo
(Giovanni Nuvoletti), zum Verkauf des Geländes zu bewegen, um
dort ein Ferienparadies zu errichten. Dummerweise hört er aber
vom Grafen nichts mehr und beschließt, selber nach dem Rechten
zu sehen. Gleichzeitig reist die Tochter des Verschwundenen, Renata
(Claudine Auger), im Wohnmobil an, im Gepäck ihre zwei Kinder
und den schlaffen Ehemann Albert (Luigi Pistilli). Ebenfalls auf dem
Weg zum See sind zwei Beatnik-Pärchen, um in der leerstehenden
Villa eine dufte Sex & Rauschgift-Party zu feiern. In der
Nachbarschaft des Hauses wohnen auch noch ein paar kuriose Gestalten
– der Entymologe Paolo Fosatti (Leopoldo Trieste), der lieber mit
seinem Käfer Ferdinando spricht, als mit seiner Gattin (Laua
Betti), einer trinkfreudigen Wahrsagerin, die ununterbrochen
pseudomythisches Gewäsch von sich gibt. In einer schäbigen
Hütte am Seeufer haust außerdem der Kalfaktor Simon
(Claudio Camaso), der sich umgehend als Verdächtiger
präsentiert, da er in seiner ersten Szene einen frisch
gefangenen Oktopus mit den bloßen Zähnen tötet und
gern mit einem Hackmesser durch die Gegend läuft.
Mit
einem ebensolchen Schnetzelwerkzeug wird als erstes die Beatnik-Braut
Brunhilda (Brigitte Skay) aus dem Dasein befördert, der Rest der
langhaarigen Bagage folgt ihr auf dem Fuße. Ein mysteriöser
Killer geht um! Nach dem bewährten Zehn kleine Negerlein-Prinzip
werden die ungebetenen Erbschleicher abserviert…
Der
Originaltitel des Films, „Reazione a catena”, heißt
übersetzt nichts anderes als ”Kettenreaktion” – frei ins
Deutsche übertragen als IM BLUTRAUSCH DES SATANS. Im Auswärtigen
ist der Film unter circa 58 weiteren Titeln bekannt, unter anderem
als BAY OF BLOOD, TWITCH OF THE DEATH NERVE, CARNAGE, ECOLOGY OF A
CRIME oder gar LAST HOUSE ON THE LEFT 2 (!). „Kettenreaktion” ist
allerdings der wohl passendste Titel für diesen düsteren
Noir-Krimi, der auch „Das lustige Sterben der Erben” hätte
heißen können, wenn man ihn mit einer Spaßsynchro
unterlegt hätte. Die deutsche Vertonung ist aber auch ohnedies
schon recht sleazig gelungen – ich habe selten einen Film gesehen,
in dem das schön altmodische Wort „bumsen” derart
inflationäre Verwendung findet.
Die
besagte Kettenreaktion vollzieht sich auf äußerst
blutrünstige Weise – Mord folgt auf Mord, mit verspritztem
Blut wird nicht gegeizt. Wirkung folgt auf Ursache, die Gesetze der
Kausalität werden per Henkersschlinge, Messer, Axt, Bratspieß
oder Schrotflinte in Fleisch gemeißelt. Was sich anfangs als
Giallo präsentiert, wandelt sich im Verlauf zu einem äußerst
drastischen Whodunit-Thriller, der mit rabenschwarzem Humor garniert
wurde und heutzutage als Vorläufer des Slasher-Films gelten
kann. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Sean S. Cunningham, der Vater
von Jason Vorhees, einige der pittoresken Mordszenen 1:1 für
seine beiden ersten FREITAG DER 13te-Episoden kopierte und die
Handlung ebenfalls an einem See – dem berüchtigten Crystal
Lake – ansiedelte.
Recht
Slasher-typisch ist auch die subjektive Kamera, die den Täter
ankündigt und der Kniff, daß der Zuschauer nie das Gesicht
des Killers sieht, sondern stets nur die Mordwerkzeuge, die
diensteifrig gehoben und gesenkt werden. Einen maskierten Schlitzer
sollte man hier natürlich nicht erwarten, stattdessen gibt es
nicht nur einen Täter – mehr soll aber nicht verraten werden…
Sicherlich
handelt es sich bei REAZIONE A CATENA nicht um Bavas besten Film, mit
Sicherheit aber um seinen blutigsten. Die Klasse von LA MASCHERA DEL
DEMONIO („Die Stunde wenn Dracula kommt”), SEI DONNE PER L
`ASSASSINO („Blutige Seide”),I TRE VOLTI DELLA PAURA („Die drei
Gesichter der Furcht”) oder gar seinen Spätwerken CANI
ARRABIATI (”Wild Dogs”) und SHOCK wird an keiner Stelle erreicht,
trotzdem ist der Film ein effektives Stück Spannungskino, das
durchaus Spaß macht. Der bereits erwähnte schwarze Humor
lässt sogar zu, das Werk – bis hin zum ultrazynischen
Schlussgag – als eine gelungene Satire auf den Giallo zu
interpretieren.
Stilistisch
setzt sich REAZIONE zwischen alle Stühle. Das Drehbuch (das Bava
mit dem verdienstvollen Dardano Sacchetti schrieb) ist etwas
zerfahren, der Handlungsverlauf (absichtlich?) konfus – die spätere
Auflösung macht jedoch vieles wieder wett und sorgt für
begeisterte Aha-Momente.
Bei
der Vielzahl an Protagonisten die in rascher Folge eingeführt
und wieder abgefertigt werden, bleibt dem Zuschauer eine echte
Identifikationsfigur konsequent verwehrt. Das ist aber nicht weiter
tragisch, denn Sympathieträger gibt es hier eh keine – die
fadenscheinigen Charaktere des Films untermauern allesamt die These,
daß der Mensch des Menschen Wolf ist. Jeder wird getrieben von
Habsucht, Geldgier und eigennützigen oder niederen Beweggründen.
Auch die zahlreichen Greuel der Ehe werden dem Betrachter anschaulich
vor Augen geführt – die Männer werden als Schwächlinge
beschimpft, Frauen sind reine Lustobjekte oder werden von Trunksucht
und materiellen Gelüsten beherrscht, die Paare reden aneinander
vorbei oder begegnen sich mit offenem Hass. Eine Hundewelt, die mit
dem Fleischerbeil aufgeräumt wird.
Bava,
der hier auch die Kameraführung übernahm, weiß seine
Mähr in ansprechende Bilder zu kleiden, auch wenn er nie die
Stilsicherheit und Virtuosität seiner anderen Filme erreicht.
Mit fulminanten Farbspielereien und kunstvoller Ausleuchtung wird bei
REAZIONE gespart, das Resultat kommt insgesamt bodenständiger
und düsterer daher, was aber prächtig zum Kontext passt.
Dem Meister der filmischen Illusion gelang es auch diesmal wieder
blendend, aus dem wenigen Vorhandenen das Beste herauszukitzeln –
obwohl auf dem Set nur eine Handvoll Bäume stand, hat man stets
das Gefühl, man befände sich in einem dichten Wald. In
Ermangelung eines Dollys wurden die (durchweg gelungenen)
Kamerafahrten mit einem Kinderwagen durchgeführt.
Zur
stimmigen Atmosphäre trägt sicherlich auch die schöne,
psychedelisch angehauchte Musik von Stelvio Cipriani bei.
Die
Schauspieler sorgen auf gekonnte Weise dafür, dem trügerischen
See-Idyll die lauschige Maske herunterzureißen. Besonders
erwähnenswert sind Leopoldo Trieste als kauziger
Insektenforscher und Laura Betti als seine esoterisch verwirrte
Gattin, die bereits bei Bavas A HATCHET FOR THE HONEYMOON mit an Bord
war. Die rothaarige Hippitussi Brunhilda wird von Brigitte Skay
gegeben, die sich bereits bei SS HELL CAMP ausziehen musste. Über
den großen Luigi Pistilli muss man eigentlich kein Wort mehr
verlieren, er veredelte unzählige italienische Genrefilme mit
seiner Präsenz. Bei REAZIONE vollzieht sich seine Transformation
vom soften Pantoffelhelden zum berechnenden Dreckschwein auf sehr
anschauliche Art. Seine zickige Ehefrau wird von THUNDERBALL
Bond-Girl Claudine Auger gespielt, die in DER SCHWARZE LEIB DE
TARANTEL ins Grass biss. Als eines der beiden Kinder von Pistilli und
Auger sehen wir übrigens Nicoletta Elmi in einer frühen
Mini-Rolle.
Schlusswort:
Bavas Großvater aller Slasherfilme gehört in jede gepflegte Italo-Sammlung, auch wenn er nicht auf einer Stufe mit seinen Meisterwerken stehen mag.
Bavas Großvater aller Slasherfilme gehört in jede gepflegte Italo-Sammlung, auch wenn er nicht auf einer Stufe mit seinen Meisterwerken stehen mag.
Die
DVD liegt mir vom österreichischen Label XT-Video vor und hat
keine sonderlich berauschende Qualität – eine ordentliche
Neubearbeitung wäre wünschenswert.
Lieblingszitat:
„Kannst du ihn nicht fühlen, den leisen Atem des grausigen Verderbens?”
„Nein, ich fühle nur, daß dieser lasterhafte Ventura wieder eine seiner Orgien in seinem Haus feiert!”
„Kannst du ihn nicht fühlen, den leisen Atem des grausigen Verderbens?”
„Nein, ich fühle nur, daß dieser lasterhafte Ventura wieder eine seiner Orgien in seinem Haus feiert!”
- Pelle -
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
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