DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE
(„L'uccello dalle piume di cristallo“, Italien 1970) R: Dario Argento
Der US-Amerikaner Sam Dalmas (Tony
Musante) lebt seit einiger Zeit in Rom. Als er abends in der Stadt
unterwegs ist, wird er zufällig Zeuge eines grausigen Mordanschlags.
Ein in schwarze Kleidung gehüllter Mann sticht eine junge Frau
nieder und flüchtet. Der Vorfall spielt sich hinter einer stabilen
Glasfront ab, Sam kann dem Opfer nicht zu Hilfe eilen. Er gerät
zwischen eine innere und eine äußere Glasfront, wird dort vom Täter
eingesperrt. Zumindest kann er einen weiteren Passanten auf sich
aufmerksam machen und dazu bringen die Polizei zu verständigen.
Inspector Morosini (Enrico Maria Salerno) leitet die Ermittlungen,
offenbar geht auch dieser Mordversuch auf das Konto eines gesuchten
Serienkillers. Morosini konfrontiert Dalmas mit Verdächtigungen und
zieht dessen Reisepass zunächst ein, der Amerikaner wollte Italien
"eigentlich" in den nächsten Tagen verlassen. Dalmas
beginnt auf eigene Faust zu Nachforschungen anzustellen, erhält
dabei sogar (kalkulierten) Zuspruch vom leitenden Ermittler. Der
junge Mann begibt sich in große Gefahr, überdies gerät seine
Freundin Julia (Suzy Kendall) ins Visier des irren Mörders…
"L'uccello dalle piume di
cristallo" (1970) ist die erste Regiearbeit des inzwischen
längst legendären Dario Argento, der sich in den Jahren zuvor
erfolgreich als Drehbuchautor verdingte, Herr Argento war z. B. am
Drehbuch für Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod"
beteiligt. Das Drehbuch zu seinem ersten eigenen Film verfasste
Argento persönlich, bei seiner Vorgeschichte fraglos naheliegend.
"L'uccello dalle piume di cristallo" aka "The Bird
with the Crystal Plumage" wurde ein Erfolg und ermöglichte dem
jungen Regisseur weitere Arbeiten. Heute zählt das Werk (in
Deutschland unter dem Titel "Das Geheimnis der schwarzen
Handschuhe" bekannt) zu den wichtigsten und einflussreichsten
Vertretern des Giallo, mehr noch, der Streifen löste einen
regelrechten Boom des Genres aus. Argento spinnt den Faden des
unvergessenen Mario Bava weiter, der das Genre mit dem wundervollen
Film "Sei donne per l'assassino" (Blutige Seide, 1964)
gewissermaßen auf der Taufe hob (zwar inszenierte Bava bereits 1963
den Proto-Giallo "La ragazza che sapeva troppo" (The Girl
who knew too much), doch dieser -noch in Schwarzweiß produzierte
Film- macht vor allem als frühes Bindeglied zwischen den
Wallace-Filmen aus Deutschland und dem italienischen Giallo auf sich
aufmerksam). Argento fährt die von Genrefans geliebten Geschütze
auf: Ein maskierter und psychisch gestörter Killer, schwarze
Handschuhe, das (Rasier)Messer als Tatwaffe. Derlei Elemente fanden
in vielen folgenden Gialli ihre Verwendung, definierten die
Grundfeste des Genres (freilich macht es wenig Sinn das Genre auf
wenige Schauwerte vordergründiger Natur reduzieren, der Hinweis soll
lediglich für Einsteiger gedacht sein). Bereits der erste Film
Argentos geht ohne Einschränkung als Meisterstück durch,
präsentiert dessen phantastisches Gespür für Atmosphäre,
wundervolle Kulissen/Architektur, den perfekten Einsatz von Kamera
und Licht. Feiner Humor zieht sich durch den gesamten Film, ebenfalls
wegweisend die ambivalente Rolle der Polizei und die Übernahme
wichtiger Ermittlungen durch eine Privatperson. Atemberaubende
Opulenz späterer Inszenierungen drängt die Figuren in manchen
Werken Argentos in den Hintergrund, lassen sie darin aufgehen. Hier
ist dieses typische Merkmal noch nicht derartig ausgeprägt,
wenngleich entsprechende Ansätze durchaus erkennbar sind.
Obwohl von Spannungen zwischen
Regisseur und Hauptdarsteller Tony Musante berichtet wird, wirkten
sich diese Reibereien offensichtlich nicht negativ auf das Ergebnis
aus. Musante macht als "Giallo-Held" Sam Dalmas eine gute
Figur. Von einer kleinen Lebenskrise geplagt und soghafter Obsession
getrieben, verstrickt er sich tiefer und tiefer in den Fall, begibt
sich auf zunehmend dünnes Eis. Enrico Maria Salerno sehe ich immer
gern, sehr angenehm ist mir sein Auftritt in "Mädchen in den
Krallen teuflischer Bestien" (L'ultimo treno della notte, 1975)
von Aldo Lado in Erinnerung, wo er den verzweifelt rächenden Vater
sehr überzeugend gibt. Absolut herrlich der kurze Auftritt von Mario
Adorf (durchgeknallter Künstler mit ganz spezieller Vorliebe für
Katzen)! Werner Peters kommt mit einer nicht minder unterhaltsamen
und skurrilen Darbietung aus der Kiste. Als brühwarmes Bürschchen
schleicht er lüstern um Musante herum, der sich zunehmend verklemmt
um Distanz zu seinem Verehrer bemüht, da bleibt kein Auge trocken.
Die Damenriege bietet mit Suzy Kendall und Eva Renzi zwei attraktive
Vertreterinnen auf, die offensive Erotik vieler folgender Gialli
spielt hier jedoch noch keine Rolle.
Ja, zwischen "Blutige Seide"
und "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" entstanden
Filme die dem Genre zugerechnet werden, doch die Unverzichtbarkeit
dieser beiden Meilensteine darf nicht unerwähnt/unterbewertet
bleiben. Dario Argentos Erstling ist ohne Zweifel ein beeindruckender
Film und war für die Entwicklung des Genres extrem wichtige! Erneut:
Wir haben es mit einem Debüt zu tun, nahezu unglaublich! Hier eine
Prise Mario Bava, dort ein Blick auf Alfred Hitchcock, obendrauf eine
Schippe Edgar Wallace (in Deutschland musste übrigens der Name Bryan
Edgar Wallace herhalten, CCC-Film war als (international ungenannter)
Co-Produzent an Bord). Wenig später folgten mit "Il gatto a
nove code" (Die neunschwänzige Katze) und "4 mosche di
velluto grigio" (Vier Fliegen auf grauem Samt) zwei weitere
Gialli des Meisters, diese drei frühen Werke werden häufig als
"Tier-Trilogie" bezeichnet. Für Fans des Genres sind diese
Filme ebenso unverzichtbar, auch Einsteiger möchte ich zu Mut und
Neugier anspornen! Findet man doch alle relevanten Zutaten welche die
Faszination des Giallo ausmachen, trotzdem werden zarte Gemüter
nicht durch Härte, Sleaze und Sex verstört. Es besteht eine enge
Verwandtschaft zu Argentos Überwerk "Profondo Rosso" aka
"Deep Red" (1975). "Profondo Rosso" ist
ausufernder erzählt und optisch opulenter angelegt, trumpft mit
einer unglaublich intensiven Atmosphäre auf, man sehe sich nur die
Szenen in der alten Villa an! Dazu der wundervolle Score der
Italo-Progger Goblin, doch ich komme von Thema ab… In mehreren
folgenden Werken Argentos sorgten Goblin für die musikalische
Untermalung, die "Tier-Trilogie" wurde mit Kompositionen
von Ennio Morricone ausgestattet. Morricone oder Goblin, besser geht
es kaum.
Die (offizielle) deutsche DVD
Auswertung von "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" ist
wenig erbaulich. Der Film liegt gekürzt vor, die Bildqualität wird
dem Werk nicht gerecht. Nun bin ich bekanntlich kein Zeilenzähler,
jedoch profitieren prächtige Werke wie die Filme von Dario Argento
sehr von einer soliden Umsetzung, machen diese zur Pflicht (sollte
für alle jemals produzieren Filme gelten! Völker der Welt, bewahrt
dieses faszinierende Kulturgut!) Die US-DVD von Blue Underground
macht alles besser, die Wahl sollte also leicht fallen. (Nachtrag:
Dieser Kurzkommentar wurde nach der gestrigen Sichtung der US-BD
überarbeitet. Die Scheibe kann ich mit bestem Gewissen empfehlen,
schöne Bildqualität, italienischer und englischer Ton, Boni wurden
von der früheren DVD-Ausgabe übernommen).
Grandios und für jeden
Italo-/Giallo-/Argento-Freund unentbehrlich! Überhaupt sollte
(MUSS!) jeder Thriller-Fan diesen Film gesehen haben. Jeder
Filmfreund!
Fette 9/10 (überragend)
Blap
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