Filmclub Bali
   
 

FLAVIA – LEIDENSWEG EINER NONNE

("Flavia, la monaca musulmana",Italien 1974) R: Gianfranco Mingozzi

Nachdem sie als 16jährige die Enthauptung eines muslimischen Kriegers durch ihren herrschsüchtigen und grausamen Vater mit ansehen musste, wird Flavia (Florinda Bolkan) aus erzieherischen Gründen hinter die Mauern eines Nonnenklosters gesteckt, wo sie sich in Anstand und Demut üben soll. Die strengen und frauenfeindlichen Strukturen des Klosterlebens kitzeln jedoch provokantes Gedankengut in ihr empor. Sie fragt sich, wieso Frauen in der patriarchalen mittelalterlichen Gesellschaftsordnung nur als brave Hausmütterchen und Lustobjekte dienen müssen und von der Männerwelt permanent unterdrückt werden. Ein gefährliches Gedankengut, das seiner Zeit weit voraus ist und von ihrer geistigen Mentorin, der alten Nonne Agatha (Maria Casarès) noch gefördert wird. Beistand findet sie lediglich bei dem jüdischen Gelehrten Abraham (Claudio Cassinelli), der jedoch selber ein Gefangener ist und von ihrem Vater als Aufpasser abkommandiert wurde. Ein gemeinsamer Fluchtversuch wird gewaltsam vereitelt, Flavia wird brutal abgestraft. Als eine junge Schwester wegen angeblicher Unkeuschheit bestialisch zu Tode gefoltert wird, hält Flavia es nicht mehr aus und wendet sich gegen ihren Vater. Am selben Tag wird Flavia noch Zeuge, wie ein neuer Herzog in Ausübung seiner Rechte über eine Bauersfrau herfällt und sie im Schweinekoben vergewaltigt. Die Entladung ihrer angestauten Gefühle nimmt ihren Lauf, als die Muselmanen über das Örtchen herfallen und Flavia sich ihnen in die Arme wirft – in der Hoffnung, eine politisch-gesellschaftliche Umwälzung zugunsten der Frauen werde sich vollziehen. Ihre Freundin Agatha stirbt durch den Wurfspeer eines christlichen Adligen, was Flavias Hass ins Unermessliche steigert. Aus Verzweiflung gibt sie sich im Liebesakt dem sarazenischen Kriegsherren (Anthony Higgins) hin, nur um schmerzlich feststellen zu müssen, daß die Moslems keinen Deut besser sind. Wie eine wahnsinnige Johanna von Orleans beschließt sie, an allen ihren Unterdrückern blutige Rache zu nehmen...
Flavia
Wer FLAVIA, LA MONACA MUSULMANA in den Player schiebt und einen reinrassigen Nunsploitation-Heuler mit der handelsüblichen (Über-)Dosis an Folterungen, Lesbensex und Geschmacksunsicherheiten erwartet, befindet sich auf dem Holzweg. Freilich ist dies der Ruf, der dem Werk von Gianfranco Mingozzi vorauseilt, wozu auch die deutschen Titelschmieden ihr Scherflein beitrugen: Im Kino lief der Film als CASTIGATA, DIE GEZÜCHTIGTE, später wurde er gar unter der knackigeren Aufbereitung NONNEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT neuveröffentlicht, wohl um auf der Welle der erfolgreichen Hexenfilme mitzureiten.
Lässt man sich auf FLAVIA ein, wird man rasch merken, daß der Wind aus einer ganz anderen Richtung bläst – nämlich aus der links-liberalen und stark emanzipatorischen Ecke der italienischen Intellektuellen, wozu Mingozzi gehörte. Was sich zunächst als misogyner Quälfilm tarnt, ist tatsächlich eine kämpferische Parabel auf die chauvinistische Krieger- und Priesterkultur einer von Männern dominierten Gesellschaft.
Flavia ist alles andere als eine angepasste und gehorsame Betschwester; provokativ hinterfragt sie ihre Rolle als Frau und ihre Position in den engen Strukturen des Klosters. Warum ist Gott ein Mann, warum ist sogar die heilige Dreifaltigkeit maskulin? Warum müssen Frauen dienen und den Mund halten, während Männer herrschen und Kriege führen? Und warum regieren sogar im Kloster Gewalt, Perversion und Unterdrückung, wo dies doch ein Hort des Mitleids und der Gerechtigkeit sein sollte? Ihre Fragen werden konsequenterweise mit noch mehr Gewalt und Unterdrückung beantwortet. So verwundert es auch nicht, daß Flavia sich den muslimischen Eroberern in die Arme wirft, nur um bald zu merken, daß hier dieselbe Frauenfeindlichkeit und derselbe Patriarchismus herrscht.
Mit expliziten Folter-Einlagen hält FLAVIA sich ausgesprochen zurück, und wenn, sind die Szenen streng in den Kontext eingebettet – eine Auspeitschung wird als Strafe gegen Aufmüpfigkeit verordnet und erhöht sich auf die Metaebene einer gestörten Vater/Tochter-Beziehung; eine Vergewaltigung im Schweinestall gerät zur Allegorie der brutalen Herrschaft des Adels über das Volk, der sich zur Befriedigung seiner Lüste im wahrsten Sinne "entmenscht". In der schockierendsten und widerlichsten Szene des Films, der Bestrafung einer "unkeuschen" Nonne, wird die Folterung stark sexualisiert (Verstümmelung der primären und sekundären Geschlechtsorgane) und kontrapunktiert von den salbungsvollen und zugleich lüsternen Gesichtern der umstehenden Klerikalen und Adligen.
Bei aller Ambition, die Mingozzi offensichtlich hegte, muss man ihm eine gewisse Ambivalenz (oder sogar ein Ungeschick?) vorwerfen, denn gleichzeitig tritt er hemmungslos aufs Exploitation-Pedal – an markigen Grausamkeiten ward nicht gespart. Andererseits ging es ihm natürlich darum, die Verrohtheit der Männerwelt – oder der Menschenwelt per sé darzustellen, und diese Welt ist nun mal ein Königreich der Schmerzen und keine Häkelfreizeit. Gewiss darf man ihm auch einen ausgeprägten Hang zur Polemik vorwerfen, was aber wiederum nur im Kontext der Zeit und unter Berücksichtigung seiner politischen Ausrichtung zu bewerten ist. Die Geschichte transportiert die typischen, naiv simplifizierten Weltanschauungen der linken 68er Bewegung, welche die naturgegebene Spaltung der menschlichen Natur und deren Unberechenbarkeit außer Acht lässt und stattdessen vereinfachte (aber wenig realistische) Lösungen anbietet. Die etwas infantile "Schwanz Ab!"-Mentalität des Films wird dann auch entsprechend durch fast schon lächerliche Szenen ad absurdum geführt, beispielsweise wenn Schwester Agatha feministische Hau drauf-Parolen absondert wie: "Das Geschlecht ist unsere Macht! Unsere einzige Macht!"
Es ist wahrscheinlich ergiebiger (und amüsanter), das Resultat aus seinem sozialpolitischen Kontext zu lösen und den Film einfach nur als hervorragend gemachtes, antiklerikales Unterhaltungswerk zu goutieren. Denn immerhin geizt Mingozzi nicht mit reichlich Bizarrerien und äußerst einprägsamen, oftmals sehr surrealen und verstörenden Bildern. Vor allem gegen Ende des Films, wenn Flavia von Visionen heimgesucht wird, macht er Pasolini und Ken Russel Konkurrenz.
Handwerklich bewegt der Film sich auf höchstem Niveau. Das Beeindruckendste an Flavia ist sicherlich die wunderschöne, geradezu ätherische Kameraführung von Alfio Contini – die Bildkompositionen sind wahrhaft kunstvoll gestaltet, und die erdigen Farben vermitteln eine ungemein dichte, greifbare Atmosphäre. Mingozzis Regiearbeit ist durchgehend versiert, und stellenweise merkt man seiner Inszenierung an, daß er ursprünglich aus dem Dokumentarbereich stammt. Die mittelalterlichen Locations, die Kleidung und die Bauten versprühen eine unglaubliche Authentizität; tatsächlich wurden Ausstattung und Kostüme mit größter und weitgehend historisch korrekter Sorgfalt ausgesucht – Schlampigkeiten wie in artverwandten Produktionen hat man sich hier keine geleistet. Obwohl der Film gewiss kein riesiges Budget zur Verfügung hatte, wirkt alles sehr bombastisch, die Schlachtszenen sind spektakulär und aufwändig choreographiert, was sicher auch der vorzüglichen Inszenierung zu verdanken ist.
Bei der mittelalterlich angehauchten und sehr authentisch wirkenden Musik von Nicola Piovani dominieren folkige Flöten, Klampfen und Trommelklänge. Die schöne Melodie des Hauptthemas, die ein trügerisches Idyll vorgaukelt, erinnerte mich an den Score irgendeines Italowesterns, aber das konnte ich leider nicht eruieren.
Es ist vor allem der herausragenden Leistung der wundervollen Florinda Bolkan zu verdanken, daß die tendenziöse Schwarzweißmalerei, die der Film stellenweise betreibt, nicht allzu sehr in Klischees und Musterhaftigkeit abgleitet. Ihr gelingt es blendend, ihre Rolle mit der nötigen Vielschichtigkeit zu füllen. Elegant hält ihr Filmcharakter Flavia die schwierige Balance zwischen Faszination und Ekel, zwischen Kampfeswille und Resignation; ihre innere Zerrissenheit transportiert die Bolkan ganz vorzüglich. Ich verehre diese Frau mehr und mehr, ihr gebührt ein Denkmal.
Aber auch die Nebendarsteller geben keinen Anlass zur Klage. Maria Casarès brilliert in der Rolle der aufsässigen und freigeistigen Schwester Agatha. Genrefreunde dürften sich über ein Wiedersehen mit Claudio Cassinelli freuen, der hier den jüdischen gelehrten Abraham gibt. Bekannt ist er u.a. als Manolo in Sergio Martinos DIE WEISSE GÖTTIN DER KANNIBALEN, als Inspektor Silvestri in DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER von Massimo Dallamano oder als Lt. Claude de Ross in DIE INSEL DER NEUEN MONSTER. Seine letzten Filmauftritt absolvierte er in PACO – KAMPFMASCHINE DES TODES, bevor er 1985 bei einem Helikopterabsturz ums Leben kam.
Der weitgehend unbekannte Regisseur Gianfranco Mingozzi geriet bereits zwei Jahre vor FLAVIA mit der (italienischen) Zensur in Konflikt. Laut Christian Kessler erhielt er als Reaktion auf sein stark linkslastiges Werk LA VITA IN GIOCO einen Brief des Ministeriums mit der Aufforderung, eine Dialogzeile zu entfernen. Darsteller William Berger ruft dort aus: "Es lebe der Schwanz! Es lebe die Fotze!" Die Regierung hierzu: "Wir sind zu dem Schluss gekommen, daß geschnitten werden muss: ‘Es lebe die Fotze!’ Es bleibt: ‘Es lebe der Schwanz!’ Gezeichnet: Der Minister." (Quelle: DAS WILDE AUGE von C. Kessler)
Angesichts solcher Erlebnisse kann man es Mingozzi nicht verübeln, daß sein nächster Film extrem feministische Züge aufwies...
In den bisherigen Fassungen lag FLAVIA nur in stark gekürzter Form vor, es fehlten (neben gewaltanteiligen Szenen) einige recht ausführliche (Dialog-)Szenen, die für den philosophischen Überbau von erheblicher Wichtigkeit sind. Dankenswerterweise wurden sie für die vorliegende Version wieder eingefügt und mit Untertiteln versehen, aaaber... es wäre doch sehr wünschenswert gewesen, wenn man hierzu einen Übersetzer verpflichtet hätte, welcher der englischen Sprache mächtig gewesen wäre. An einigen Stellen ist der Text derart fehlerbehaftet, daß der Sinngehalt regelrecht auf den Kopf gestellt wird. Äußerst peinlich!
Ansonsten ist die Qualität der DVD von X-Rated recht brauchbar, das Bild reißt zwar keine Bäume aus ist aber, gemessen am Alter des Materials, annehmbar. Bei der deutschen Tonspur sieht es nicht so rosig aus, hier brummt und knistert es häufig.
Ein faszinierender und nachhaltig beeindruckender Film, der nach den oben genannten Abstrichen immer noch 8 von 10 Punkten wert ist.
- Pelle -





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