DON´T TORTURE A DUCKLING
("Non si sevizia un paperino", Italien 1972), Regie: Lucio Fulci
In einem süditalienischen Bergdorf wird ein kleiner Junge als vermisst
gemeldet. Die Polizei wird alarmiert, kurz darauf kommt es zu einer
Lösegelderpressung an die bettelarmen Eltern, bei der
Geldübergabe wird der örtliche Dorftrottel geschnappt. Der
Bub ist allerdings bereits tot und begraben, und da unser Dorfdepp
sogar den Ort der Verscharrung kennt, scheint der Täter gefasst.
Aber kurz darauf stirbt ein weiterer Junge. Eine ortsansässige
"Hexe" wird als nächstes verdächtigt und kurzerhand per
Lynchjustiz von der aufgebrachten Dorfbevölkerung exekutiert.
Der Fall scheint gelöst, bis weitere Leichen auftauchen...
Lucio, bist du`s wirklich? – Das war es, was mir als erstes durch den Kopf
schoss. Man verstehe mich nicht falsch: GEISTERSTADT und
SCHRECKENSINSEL gehören zu meinen absoluten Lieblingsfilmen und
ich verehre seinen Giallo UNA LUCERTOLA CON PELLE DI DONNA (dt:
SCHIZOID), aber was Signore Flutschi hier mit DUCKLING abgeliefert
hat, ist eine Klasse für sich.
Bereits die Eröffnungssequenz mit Florinda Bolkan (in der Rolle der Hexe
Marciara) sorgt für eine herrlich morbide Atmosphäre und
stimmt den Zuschauer bestens ein auf die Dinge, die noch folgen
werden. Zwar kann man den Film getrost als Giallo bezeichnen, im
höheren Kontext stellt er aber eine schonungslose Demaskierung
kleinbürgerlicher Gewaltstrukturen und Herdenmentalität
dar. Versteckt im Mäntelchen des Thrillers serviert uns Onkel
Lucio eine zynische Anklage gegen die Mechanismen einer reaktionären
Dorfgemeinschaft, die um jeden Preis ihren Sündenbock verlangt.
In dieser Hinsicht sind Fulci einige unvergessliche und bauchschmerzenerregende
Szenen gelungen, so z.B. diejenige, als Marciara, nachdem sie vom Mob
fast zu Tode geprügelt wurde, sich eine Anhöhe
heraufschleppt und an einer stark befahrenen Autostraße liegen
bleibt. Urlauber mit lachenden Kindern auf dem Rücksitz fahren
an der Sterbenden vorbei, ohne anzuhalten oder zu helfen, während
sie im Straßengraben verendet. Man kümmert sich halt um
die eigenen Angelegenheiten.
Die Schauspieler sind allesamt eine Wucht und liefern unter Fulcis Regie
solide Leistungen. Barbara Bouchet, die eine zugereiste
Millionärs-Tochter mit Drogenproblematik spielt, hat eine
Nacktszene in der sie auf sexuell sehr explizite Weise einen kleinen
Jungen zu verführen versucht – eine Szene, wie sie
heutigentags wohl unvorstellbar wäre.
Barbara alias Bärbel Gutschner (in diesem Film rothaarig!) ist sowieso
eine Augenweide, auch wenn sie mal nicht blankzieht. Tomas Milian als
pfiffiger Reporter Andrea Martelli überzeugt wie gewohnt auf
ganzer Linie und kommt mit seinem Schnauzbart und freigelegtem
Brusthaar ziemlich sleazig rüber. Die gestandene Irene Papas war
nie unheimlicher als hier; und Florinda Bolkan spielt eh alle anderen
an die Wand.
Letztlich ist DUCKLING ein klassisch konstruierter Whodunnit, bei dem immer
wieder neue Rote Heringe ausgelegt werden, was aber blendend
funktioniert und an keiner Stelle aufgesetzt wirkt. Jeder könnte
der Mörder sein, denn jeder hat auf seine Weise Dreck am Stecken
und macht sich verdächtig.
Im Gegensatz zu gängigen Giallo-Klischees gibt es hier weder
schwarze Handschuhe, noch blitzende Rasiermesser – die Buben werden
erwürgt, erstickt oder ertränkt. Der Killer scheint im Dorf
kein Unbekannter zu sein, denn die Opfer reagieren eher freudig, wenn
der der Täter sich ihnen nähert (Fulci löst dies mit
der subjektiven Kamera). Daher gerät vor allem die bei den Jungs
aufgrund ihrer Freizügigkeit sehr beliebte Barbara Bouchet in
den Hauptkreis der Verdächtigen.
In DUCKLING hält Gore-Großpapa Fulci sich im Gegensatz zu
seinen späteren Splatterorgien noch relativ zurück, was
nicht heißen soll, daß hier auf kleiner Flamme gekocht
wird. Der extrem grausame Lynchmord an Hexe Marciara nimmt einige
Brutalitäten aus GEISTERSTADT DER ZOMBIES vorweg, und das Finale
geizt auch nicht mit Kunstblut und ausgewalzten Sadismen. Auch schon
das Grundthema des Films (Kindermord) ist ja selbst für
italienische Verhältnisse ein heißes Eisen, und Fulci
lässt es sich darüber hinaus nicht nehmen, ein weiteres
Tabuthema anzugehen, nämlich Kritik am Katholizismus. Das
Hauptaugenmerk der Handlung liegt aber weniger auf den Morden,
sondern auf den Ermittlungen und den ständig wechselnden
Verdachtsmomenten, wodurch der Spannungsbogen kontinuierlich gehalten
wird.
Woraus der Film aber wirklich lebt und atmet, ist seine kreuzmorbide Stimmung,
wozu ein Gutteil die Location des abgelegenen Bergdorfs beiträgt.
Ich habe leider noch nicht eruieren könne, wo genau DUCKLING
gedreht wurde, aber ich tippe auf die Gegend um Monte Sant Angelo im
Südosten Italiens. Dort scheint die Zeit stillzustehen, was
durch die debil wirkende Dorfbevölkerung, die schwarzgekleideten
alten Frauen und die weißgetünchten Häuser in den
engen Gassen noch unterstrichen wird.
Hervorheben sollte ich noch den exquisiten Schnitt und die fantsastische Kamera,
die von Sergio D'Offizi bedient wurde, den man durch seine visuelle
Genialität in Ruggero Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST auf ewig in
Erinnerung haben wird. Lobenswert ist auch der einfallsreiche Score
von Riz Ortolani, der durch den geschickten Einsatz von klagenden
(Hirten-) Freuengesängen zur morbiden Atmosphäre (man
verzeihe mir den inflationären Gebrauch von "morbide", aber
er passt nun mal wie nix andres!) des Gesamtbildes beiträgt.
Die Inszenierung ist absolut stimmig – und beweist für
Fulci-Verhältnisse außergewöhnliches Feingefühl.
Hier und da holpert das Drehbuch zwar ein wenig, und einige
Zusammenhänge erscheinen am Ende wirr und nicht wirklich
befriedigend aufgelöst – aber das wird durch den übrigen
Augen- und Ohrenschmaus reichlich wettgemacht.
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- Pelle -
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