Filmclub Bali
   
 

THE DEVIL`S BACKBONE

("El Espinazo del Diablo", Mexiko/Spanien 2001) R: Guillermo del Toro

Ende der 30er Jahre während des spanischen Bürgerkriegs: Der zehnjährige Waisenjunge Carlos (Fernando Tielve) wird von Widerstandskämpfern in das winzige Dörfchen Santa Lucia, in dem ein Heim für Kinder von Kriegsopfern von der resoluten Linken Carmen (Marisa Paredes) und dem Arzt Professor Casares (Federico Luppi) betrieben wird. Hilfe erhalten sie von der liebevollen Magd Conchita (Irene Visedo) und deren Verlobten Jacinto (Eduardo Noriega), der ein heimliches Sex-Verhältnis mit Carmen unterhält und insgeheim scharf auf den Inhalt des Wandtresors ist. Mitten im Marktplatz steckt eine Fliegerbombe, die vor einiger Zeit auf das Dorf abgeworfen wurde, aber nicht detoniert ist, wie ein Vorbote schwärenden Unheils.
Zu Beginn hat Carlos es nicht leicht innerhalb der Hackordnung des Waisenhauses – er wird vom älteren Jaime (Íñigo Garcés) schikaniert und einer nächtlichen Mutprobe unterzogen. Dabei muss er erfahren, daß der Geist eines verstorbenen Jungen im Dorf umgeht. Die Botschaft der Spukgestalt ist unmissverständlich: "Viele von euch werden sterben..." So sehr Carlos sich auch fürchtet, er ist dennoch fest entschlossen, hinter das Geheimnis zu kommen, das sich im Keller des Hauses verbirgt. Zeitgleich ziehen drohende Wolken am Horizont herauf, denn die Armee der Faschisten rückt jeden Tag näher...
Devil's backbone
Wem nach Blutfontänen und knochenberstenden Sensationen dürstet, der sollte seine Finger von THE DEVILS´S BACKBONE lassen, denn solcherlei Schauwerte sucht man vergeblich. Hier werden eher die Freunde von ruhigem und wohligem Grusel angesprochen. Der Film bietet intelligentes und feinfühliges Spannungskino, das sich zwar hinter einer Schauergeschichte tarnt, aber vielmehr ein zutiefst humanistisches Drama enthält. Im Mittelpunkt stehen immer die Charaktere und deren Innerstes, die Handlung kreist dicht um die Figuren, deren Nöte, Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen. Das ungemein eng gewobene Skript darf man in dieser Hinsicht ruhigen Gewissens als kleines Meisterwerk bezeichnen. In wunderbar minimalistischen, teilweise wortkargen und dennoch sehr aussagekräftigen Szenen und Einstellungen erzählt der Film von den Dingen, die seine Figuren bewegt. Dabei wird nie zuviel erklärt oder zerredet, die meisterlich komponierten Bilder sprechen für sich – in dieser Disziplin präsentiert der Film sich durch und durch europäisch, man könnte sagen: mediterran. Die Geschichte zieht den Zuschauer unweigerlich in ihren Bann und entfaltet schleichend ihre subtile Kraft. Das Auftauchen des Geistes vollzieht sich daher auch weniger in Begleitung rustikaler Schocks (bis auf wenige Ausnahmen), sondern mit einer schaurigen Selbstverständlichkeit. Mehrmals musste ich während der Sichtung an die wunderbaren Romane des magischen Realisten Gabriel Garcia Márquez denken.
Die Atmosphäre ist zum Greifen dicht, und trotz flimmernder Hitze und strahlendem Sonnenschein verbreitet die Geschichte eine gänsehauterzeugende Düsternis. Allein schon die außergewöhnliche und extrem stimmungsvolle Kulisse sorgt für die entsprechende Gefühlslage: der klaustrophobische, ringförmig angelegte Marktflecken, der wie aus einem Gothic-Italowestern entliehen scheint, das unheimliche Waisenhaus, die verrostete Bombe in der Mitte des Platzes, von der niemand weiß, ob sie wirklich entschärft wurde. Ganz zu schweigen von der wirklich gruseligen Zisterne im Keller...
Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu del Toros späterem (Meister?) Werk PANS LABYRINTH – beide Geschichten haben Kinder als Protagonisten, beide handeln in der Zeit des ausgehenden spanischen Bürgerkriegs; der Konflikt zwischen Linken und den faschistischen Franco-Truppen wird thematisiert; übersinnliche Ereignisse gehen Hand in Hand mit einem Coming od Age-Drama.
Die (Spuk-)Geschichte funktioniert daher auch als perfekte Analogie zur tatsächlichen historischen Ebene, die Ereignisse im kleinsten subjektivsten Bereich des Unbewussten finden ihren Entsprechung in höchster Dimension als Politparabel. Daher wundert es auch nicht, daß die Protagonisten den "wahren Horror" erst am Ende des Films erleben, wenn sie in die Realität entlassen werden.
Die Darsteller agieren in Höchstform und wirken so lebensecht und substanziell, das man zeitweise vergisst, es mit Schauspielern zu tun zu haben. Besonders zu loben ist natürlich die überragende Leistung des kleinen Fernando Tielve als Carlos, obwohl sämtliche Kinderdarsteller überzeugend aufspielen. Besonders gefallen hat mir Marisa Paredes als beinamputierte Leiterin des Waisenhauses, die nur beim lieblosen Gerammel mit dem Faktotum Jacinto flüchtigen Trost findet, sowie Federico Luppi als ihr heimlicher und verschmähter Verehrer. Eduardo Noriega spielt für meinen Geschmack etwas zu klischeehaft, hier wäre weniger mehr gewesen – was dem Film aber keinesfalls schadet. Denn trotzdem wird die Figur nie zur Eindimensionalität verdammt, vielmehr gibt sie dem Schauspieler Gelegenheit, die inneren Wunden und tiefe Verletztheit seines Charakters zu offenbaren.
Wie bereits mehrfach angedeutet sind Kameraführung und Bildgestaltung ein Augenschmaus, die traurige Musik von Javier Navarrete sorgt für schaurig-schöne Hörmomente und untermalt exzellent die Grundstimmung der Geschichte.
Fazit: Ein wunderschöner und unverzichtbarer Beitrag zum Subgenre des Spukfilms, der höchst eigenständige Klänge anschlägt und sich weit jenseits der ausgelatschten Pfade von Japan-Geisterfilmen und Lollywood-Mummenschanz bewegt.
Die deutsche DVD von Kinowelt präsentiert den Film in Deutsch (Dolby Digital 5.1) und Spanisch (Dolby Digital 5.1), das Bildformat ist 1:1.85 (16:9 anamorph). Als Extras gibt es den Trailer, Behind The Scenes, ein Making Of, Storyboards sowie ein Interview mit dem Regisseur Guillermo del Toro. Perfekt!
- Pelle -





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