COLD EYES OF FEAR
„Gli occhi freddi della paura“,Italien/Spanien 1971) R: Enzo G. Castellari
Kalte Eier um Vier
Der junge Advokat Peter (Gianni Garko)
reißt sich in einem Londoner Nachtclub die Lebedame Anna (Giovanna
Ralli) auf und gedenkt mit ihr ein gepflegtes Schäferstündchen in
der Villa seines Onkels, dem Richter Juez Flower (Fernando Rey)
abzuhalten. Jedoch purzelt mitten in die schönste Fummelei die
Leiche des Hausdieners hinein, dicht gefolgt von dem schmierigen
Ganoven Quill (Julián Mateos), der mit bösartigen Absichten und
schallgedämpfter Pistole ins Haus eingedrungen ist. Was will der
Gauner? Geld und/oder Leben? Schon bald verkomplizieren sich die
Verhältnisse, denn Quill bleibt nicht der einzige ungebetene Gast in
dieser ereignisreichen Nacht…
Die Inhaltsangabe ist bewusst knapp
gehalten, denn es ist für den Zuschauer einträglich, im Vorfeld
nicht allzu viele Details des Handlungsverlaufs zu wissen. Denn im
Dauerfeuer folgt eine Überraschung auf die nächste!
Bereits im ‚Prolog‘ spielt
Castellari mit den Erwartungen des Rezipienten und verwendet hier
einen Kniff, den auch Brian de Palma später bei einigen seiner Filme
zur Verwirrung des Zuschauers benutzte (etwa bei BLOW OUT oder DER
TOD KOMMT ZWEIMAL). Diese erste falsche Fährte, die in einem
erheiternden Aha!-Effekt mündet, ist symptomatisch für den gesamten
folgenden Verlauf des Plots, der gespickt ist mit Wendungen und
Twists.
Was wie ein typischer Sleaze-Giallo
beginnt, wandelt sich flugs zu einer ‚Home Invasion‘-Story mit
Terrorkino-Elementen, die schließlich von einer komplexen
Rachekrimi-Geschichte abgelöst wird, um im dichten Geflecht eines
Psychothrillers zu kulminieren.
COLD EYES OF FEAR wird gemeinhin in die
Schublade des Giallo einsortiert, was eine recht unglückliche
Klassifizierung ist. Wer pittoreske Messermorde mit schwarzen
Handschuhen erwartet, wird hier freilich auf ganzer Linie enttäuscht;
vielmehr handelt es sich bei Castellaris erstem – und einzigem –
Ausflug ins Thrillergenre um ein verschlungenes Krimi-Kammerspiel,
bei dem die recht simple Grundstory (nämlich: Vergeltung) mehr und
mehr in den Hintergrund tritt. Stattdessen rückt die vielschichtige
Beziehung der Charaktere zueinander in den Mittelpunkt und steigert
sich zu einem handfesten Schuld-und-Sühne-Psychokrieg, der in einem
Finale gipfelt, das es in sich hat.
In den Händen eines weniger
routinierten und begabten Regisseurs hätte dieses Unterfangen
mächtig in die Hose gehen können, doch das hervorragende Drehbuch
und Castellaris straffe Inszenierung tragen maßgeblich zum guten
Gelingen bei. Als außerordentlich effektiv erweist sich hierbei auch
die teilweise exzentrische Visualisierung von Kameramann Antonio
Ballesteros, der aus den beschränkten Bedingungen ein Maximum an
Wirkung herauskitzelt. Das Erfolgsduo Ennio Morricone und Bruno
Nicolai liefern dazu einen psychotropen Jazzscore ab, der mächtig an
den Nerven schleift, aber gerade deshalb die Ereignisse angemessen
untermalt. Für das Skript zeichnet Tito Carpi (in Zusammenarbeit mit
Leo Anchóriz) verantwortlich, der die genretypischen Gesetze des
Giallo hier gleich mehrfach auf den Kopf stellt und ad absurdum
führt. Carpi war einer der Stammautoren von Castellari und verfasste
auch die Bücher zu TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT und THE RIFFS II.
Anchóriz verdingte sich hauptsächlich als Schauspieler und war u.a.
in dem vorzüglichen Western UM SIE WAR DER HAUCH DES TODES zu sehen.
1976 arbeitete er erneut für Castellari und gab den Sheriff in der
Wildwestkomödie ZWIEBEL-JACK RÄUMT AUF.
Kammerspiele stehen und fallen
natürlich mit der Leistung der Schauspieler, aber auch daran gibt es
nichts zu bemäkeln: Westernveteran Gianni Garko war selten so
überzeugend wie hier – die Rolle des gebeutelten Anwalts, der so
gern ein Rohr verlegt hätte und stattdessen in die Wolfsgrube
springen muss, nimmt man ihm eher ab, als die des bärbeißigen
Pistoleros. Giovanna Ralli erfreut das Auge und macht auch als
Schauspielerin eine gute Figur – auch ihr (scheinbar
durchschaubarer) Charakter erfährt einige interessante Wandlungen im
Laufe des Films. Drei Jahre später gab sie sich ungleich
zugeknöpfter als Staatsanwältin in Dallamanos DER TOD TRÄGT
SCHWARZES LEDER. Der Spanier Julián Mateos sieht aus wie ein
soziopathischer Beatnik und spielt den hypernervösen, geldgierigen
Quill mit Verve. Den Höhepunkt des Ensembles stellt aber der
großartige Frank Wolff (u.a. SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD) dar, der
die Rolle des von Rachsucht getriebenen Arthur Welt mit brodelndem
Leben füllt. Es ist eine Wonne zu sehen, wie sein Charakter sich im
Verlauf des Films verändert: Seine anfangs mit arroganter
Überheblichkeit vorgetragene Siegesgewissheit wandelt sich zunehmend
in Unsicherheit und endet schließlich in fieberhafter Raserei.
Randnotiz: In einer Mini-Rolle sehen wir die deutsche Darstellerin
Karin Schubert, deren Karriere dann später in den Pornos von Theresa
Orlowski versumpfte.
Was soll ich sagen? - Ich mag diesen
vielfach gescholtenen, kleinen Film sehr gern! Enzo Castellari, dem
man einige der besten italienischen Genrefilme zu verdanken hat,
beweist wieder einmal, dass er sein Handwerk versteht und imstande
ist, auch unter schlichten Bedingungen gute Filme zu drehen.
Sofern man gewillt ist, sich auf diesen
Low Budget-Psychokrimi einzulassen (der Film spielt größtenteils an
einem Schauplatz und beschränkt sich auf fünf Darsteller), wird man
mit spannenden und kurzweiligen 90 Minuten belohnt.
Man sollte halt nur keinen
herkömmlichen Giallo erwarten.
Wer die verhasste Punktewertung
unbedingt braucht: 7,5 von 10.
Pelle
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.