CARRIE – DES SATANS JÜNGSTE TOCHTER
(„Carrie”, USA 1976) R: Brian de Palma
Eigentlich möchte Carrie White
(Sissy Spacek) das ganze normale Leben eines Teenagers leben. Doch
ihre Mutter Margaret (Piper Laurie) ist von religiösen
Wahnvorstellungen zerfressen, drangsaliert ihre Tochter psychisch und
physisch bis aufs Äusserste. Als Carrie nach dem Schulsport
unter der Dusche steht, bekommt sie zum ersten Mal ihre
Monatsblutung, auf die sie -mangels Aufklärung- panisch
reagiert. Ihre Mitschülerinnen machen sich lustig über das
völlig verängstigte Mädchen, das wegen seiner
scheinbaren Seltsamkeit sowieso stets zum Opfer von Spott und Hohn
wird. Zuhause angekommen setzt sich der Terror fort, Mutter Margaret
wirft ihrer Tochter sündige Gedanken für, die Blutung wäre
die Strafe dafür, ein Zeichen des Herrn. Immerhin findet Carrie
in der Lehrerin Miss Collins (Betty Buckley) eine Fürsprecherin,
die dem Teenager ein wenig Mut und Selbstbewusstsein vermittelt.
Darüber hinaus ist Miss Collins fest dazu entschlossen, die
Übeltäterinnen für die Aktion im Umkleideraum zu
bestrafen. Es setzt Nachsitzen in Form von Sportunterricht, wer sich
weigert, wird vom anstehenden Abschlussball ausgeschlossen. Bei Sue
(Amy Irving) meldet sich das schlechte Gewissen, sie gehörte zu
den Peinigerinnen, will Carrie nun aber eine Freude bereiten. Sie
überredet ihren Freund Tommy (William Katt) dazu, die
geknechtete Carrie zum Abschlussball zu begleiten. Nach anfänglicher
Skepsis willigt Carrie ein, sie näht sich ein hübsches
Kleid, überwindet sogar den Widerstand ihrer irren Mutter. Doch
während Sue endlich verstanden hat, steht der verwöhnten
Göre Chris (Nancy Allen) der Sinn nach Rache. Mit der Hilfe
ihres stumpfsinnigen Freundes Billy (John Travolta), bereitet sie
eine "Überraschung" für Carrie vor. Keiner der
auf dem Ball anwesenden Schüler oder Lehrer ahnt, dass Carrie
über telekinetische Kräfte verfügt, die bei Aufregung
gewaltige Ausmaße erreichen können...
Erst
landete mit "Femme Fatale" eine Regiearbeit von Brian De
Palma in meinem Player. Einen Tag später gab es mit "Rhea
M" eine Stephen King Verfilmung, bei der King selbst auf dem
Regiestuhl Platz nahm. Nun führt der lange vor diesen Streifen
entstandene "Carrie", die Regiekünste De Palmas, mit
einer Erzählung von Stephen King zusammen. Das Ergebnis
beeindruckt mich auch nach vielen, vielen Jahren immer wieder, der
Film ist meiner Meinung nach sogar im Laufe der Jahrzehnte gewachsen.
"Carrie" schildert zunächst recht ausführlich die
Probleme eines Mädchens, das auf der Schwelle zur Frau steht,
aber mit gigantischen Widerständen und Widersachern zu kämpfen
hat. Das größte Problem ist die eigene Mutter, die
-zerfressen vom religiösen Irrsinn- der Tochter das Leben zur
Hölle auf Erden macht. Alles ist Sünde, das Verderben, der
Satan höchstpersönlich, lauern laut Mutter White hinter
jeder Ecke, jeder Gedanke könnte eine unverzeihliche Sünde
sein. Verstört durch diese kranken Ansichten und Auswüchse,
kommt Carrie in der Schule nicht mit ihren Mitschülerinnen
zurecht, die immer wieder über das wehrlose Mädchen
herfallen, wie ein gieriges Rudel Hyänen tun würde. Als
Carrie sich energisch aus dem Joch ihrer Mutter zu befreien beginnt,
werden ihr die Rachegelüste einer Mitschülerin zum
Verhängnis. De Palma lässt seine Hauptfigur leiden, sie
sanft den lieblichen Nektar der Glückseligkeit kosten, um sie
dann ohne Gnade in die tiefsten Abgründe menschlichen Elends zu
stürzen. Gruselstimmung macht sich von Anfang an breit, doch
diese ist eher als unterschwellige, lauernde Bedrohung präsent.
Wenn Carrie von ihrer Mutter drangsaliert wird, sich nach und nach
ihrer besonderen Kräfte bewusst wird, kocht die Bedrohung kurz
auf, nur um gleich wieder unter der trügerischen Stille der
Oberfläche zu verschwinden. Vordergründig betrachtet
scheint De Palma nicht allzu schwelgerisch zu inszenieren, doch
tatsächlich setzt der Regisseur die Ausrufezeichen immer genau
zum perfekten Zeitpunkt. Beim Schulball steigert sich die Spannung
ins Unermessliche, um sich schließlich in einem grausigen
Inferno zu entladen. De Palma setzt seine geliebten Stilmittel Split
Screen und Zeitlupe mit traumwandlerischer Sicherheit ein, besonders
die Zeitlupe zerrt an den Nerven des Zuschauers, lässt die Sinne
schnurstracks ins Zentrum des Hölle rasen. Selten sorgte der
ausufernde Einsatz der Zeitlupe, für eine derartig hohe
Herzfrequenz!
Was Brian De Palma hier geleistet hat, lässt
mich voller Ehrfurcht auf die Knie sinken. Doch die Schauspieler
sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, denn sie tragen
mit phantastischen Leistungen zum Gelingen des Werkes bei. An erster
Stelle muss selbstverständlich die Hauptdarstellerin Sissy
Spacek genannt werden. Sie durchlebt -wie der Zuschauer- einen
unfassbar intensiven Trip, raus aus der heimischen Hölle, kurz
in den Himmel der Glückseligkeit, nur um tiefer als jemals zuvor
zu fallen. Spacek war während der Dreharbeiten bereits ein paar
Jahre zu alt um einen Teenager zu spielen, doch dies trifft nur auf
dem Papier zu. Durch ihre wenig frauliche Figur, und die gute Arbeit
der Maskenbildner, nimmt man Spacek die Rolle auch optisch jederzeit
ab. Ihre Leistung ist zu jeder Sekunde von äußerster
Intensität. Verstört, verschüchtert und gepeinigt,
plötzlich von der Hoffung auf ein besseres Leben ergriffen,
zeigt sie sich energisch, kämpferisch, aufgeladen mit positiver
Energie. Diese positive Energie kehrt sich nach dem "Anschlag"
um, verwandelt die junge Frau in eine rasende Bestie, die trotzdem
eine bizarr-ruhige Souveränität ausstrahlt, geprägt
von beängstigender Präzision und Kälte. Auf ähnlich
hohem Niveau spielt auch Piper Laurie, der man die fehlgeleitete
Fanatikerin ebenso fraglos abnimmt. Amy Irving war noch mehrfach in
Filmen De Palmas zu sehen. In "The Fury" (Teufelskreis
Alpha, 1978) war sie mit ungewöhnlichen Kräften "gesegnet",
Telekinese spielte auch dort eine wichtige Rolle. Nancy Allen gibt
das "böse Mädchen", sie heiratete De Palma und
war ebenfalls in weiteren Filmen ihres Gatten zu sehen ("Dressed
to Kill", 1980 und "Blow Out", 1981). Die Rolle der
verdorbenen Göre steht ihr gut zu Gesicht, der junge John
Travolta unterstützt sie als notgeiler Dummbatz vortrefflich.
Wenig später sollte er als Tanzmaus seinen großen
Durchbruch feiern, aber das ist eine andere Geschichte. Der "gute
Junge" William Katt ist Horrorfreunden sicher durch "House"
(1986) in Erinnerung. Betty Buckley als engagierte Lehrerin soll
nicht unerwähnt bleiben, sie fügt sich -wie sämtliche
Nebendarsteller- sehr gut in das Geschehen ein.
"Carrie"
funktioniert nicht nur als Horrorbeitrag. Der Film prangert blinden
Fanatismus an, rückt Ignoranz und Boshaftigkeit zu Leibe, doch
De Palma erspart uns glücklicherweise den erhobenen Zeigefinger.
Ebenfalls erspart bleibt dem dankbaren Zuschauer ein kitschiges Ende,
denn "Carrie" bleibt bis zur letzten Sekunde konsequent,
gnadenlos und intensiv. Ein sehr gutes Drehbuch in den Händen
eines talentierten Regisseurs, dazu eine traumhaft gute Besetzung,
fertig ist der zeitlose Klassiker! Ich erinnere mich noch sehr gut
daran, wie der Film bei der ersten Sichtung auf mich wirkte. Es war
leider nicht im Kino, ich sah "Carrie" erst Mitte der
achtziger Jahre auf Video, doch ich war bereits damals extrem
fasziniert. Die letzte Szene ließ mich vor Schreck aus dem Sofa
springen, so nah ist man dem ersten Infarkt nicht alle Tage. "Carrie"
sei auch Filmfreunden ans Herz gelegt, die sich sonst eher weniger
für Horror begeistern können, diese Perle sollte sich
niemand entgehen lassen!
Mir liegt "Carrie" als
ältere DVD Auflage vor. Das Bild wird dem Werk nicht ganz
gerecht, eine anamorphe Abtastung glänzt durch Abwesenheit. Es
gibt seit einiger Zeit verbesserte Ausgaben. Die bereits 2004
veröffentlichte "Gold Edition", bietet neben dem
besseren Bild auch diverse Boni. Die momentan erhältliche
"Standard Ausgabe", kommt zwar dünn ausgestattet
daher, sollte aber "technisch" mit der "Gold Edition"
übereinstimmen (Falls dem nicht so ist, bitte ich um
entsprechende Ergänzung). Die Scheibe gibt es zum kleinen Preis,
doch im Grunde ist dieser Schatz sowieso unbezahlbar. Kaufpflicht!
De Palma gelang mit "Carrie" ein Meisterstück!
9/10 (überragend) sind in diesem Fall
angebracht!
Lieblingszitat:
"Dies sind gottlose Zeiten, Mrs. Snell!"
"Darauf trinke ich!"
"Dies sind gottlose Zeiten, Mrs. Snell!"
"Darauf trinke ich!"
- Blap -
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.