80er Actiongülle-Nacht
am Freitag, den 09.01. um 22 Uhr im Kino Babylon
„Ruckzuck, die Fresse dick!“ – Wenn man diese Ankündigung
in den 80er Jahren auf dem Schulhof zu hören bekam, konnte man anfangen, seine
Kieferknochen zu zählen. Denn solche Sprüche kamen nie, nie, niemals von
schmächtigen Bücherwürmern, die brav ihre Mathehausaufgaben
machten, sondern von lederjackentragenden Grobianen aus prekären
Familiengefügen, denen bereits unheilverkündender Schnauzbartflaum
auf der Oberlippe spross und deren biersaufende Väter die fettesten
Videorekorder im Wohnzimmer stehen hatten. Deren Sozialisation war
nicht durch Goethe oder Schiller erfolgt, sondern durch Chuck Norris
und Steven Seagal. Und insgeheim bewunderten wir sie, denn, Hand aufs
Herz: Die dumpfen, muskelstarrenden Actionhelden mit den dicken
Wummen übten eindeutig eine größere Vorbildfunktion aus, als
humanistische Dichter und Denker dies je vermocht hätten.
Die beiden
schlagkräftigsten und populärsten Gallionsfiguren dieses
(Sub-)Genres waren zweifelsohne Sylvester Stallone und Arnold
Schwarzenegger. Den italienischen Hengst und die steirische Eiche
kannte und liebte jeder, mal abgesehen von dauerbetroffenen
Waldorfschullehrern und echauffierten Eltern.
Sprach man in den 80ern
einen der archetypischen Jogginghosen & Cowboystiefeln-tragenden
Prolls in der Videothek auf Stallone an, wurde reflexartig der Name
„Rambo!“ hervorgestoßen – in neun von zehn Fällen war damit
nicht der bessere 1. Teil, sondern der weitaus rabiatere 2. Teil
gemeint. In Ted Kotcheffs meisterlichem FIRST BLOOD („Rambo“,
1982) gab es lediglich 1 Toten (den man genaugenommen als Unfall
bezeichnen könnte), während in George P. Cosmatos RAMBO: FIRST
BLOOD PART II („Rambo 2. Teil – Der Auftrag“, 1985) insgesamt
67 (!) Kameraden über die Klinge springen mussten.
RAMBO 2 war ein
Macho-Schlachtfest der Superlative, das obendrein eine fast
homoerotische Ikonografie des Actionfilms prägte, die von zahllosen
Epigonen kopiert wurde: der nackte, muskelbepackte, schweißglänzende
Oberkörper; das rote Stirnband; die überdimensionale
Schnellschusswaffe.
Actionfilme sind
Männerfilme, da gibt es kein Vertun. Filme von Männern für Männer.
Das sind Filme mit
echten Kerlen, mit Schnauzbärten und Haaren auf der Brust. Mit
Männern, die hart gucken. Mit Männern ohne Gefühle, ohne
Schmerzen, ohne Reue. Die Napalm saufen und Stacheldraht pissen. Mit
riesigen Muskeln und riesigen Knarren. Mit Feuergefechten und
Messerkämpfen. Mit Schuriken und Nunchakus. Mit markigen Sprüchen
und tödlichem Schweigen. Filme, in denen man(n) keinen Sex hat,
außer mit dem eigenen Sturmgewehr. Filme über Himmelsstürmer und
Höllenhunde. Gedreht mit Blut, Schweiß und Testosteron.
Aktions-Kino, das Kino
der Beschleunigung und abrupten Zersprengung: Die Quintessenz des
bewegten Bildes. Der Karatekick, der Knochen splittern lässt. Das
Projektil, das menschliches Fleisch penetriert. Der Car-Crash, der
feste Materie seiner starren Form entreißt. Die Explosion,
Vernichtung aller molekularen Ordnungen. Kino der Zerstörung, Kino
der Befreiung.
Wie schrieb schon Papa
Nietzsche im Zarathustra: „Der Mensch ist etwas, das überwunden
werden will.“
Prota-
und Antagonisten in Actionfilmen, das sind: Kickboxer,
Vietnamveteranen, Bullen, Ex-Bullen, Leibwächter, Einzelkämpfer,
Ninjas, Profikiller, Söldner, Outlaws. Prota- und Antagonisten in
Actionfilmen, das sind keine: Zuckerbäcker, Straßenbahnschaffner,
Germanistikdozenten, Versicherungsvertreter, Sozialpädagogen. Es sei
denn, sie haben eine entsprechende Vergangenheit: einen militärischen
Background, einen Fight-Club im Knast geleitet, eine Ausbildung zum
Hitman genossen.
Die Signifikanz des
Actionhelden ist vor allem seine Physis. Die Apostrophierung
des Körperlichen: Muskeln, gerne überproportioniert,
schweißglänzend, eingeölt, häufig in Close-Ups bis zur
Fetischisierung zelebriert. Dieselbe, beinahe sexualisierte
Überbetonung fällt den Accessoires und dem „Handwerkszeug“ zu:
auch hier die ritualisierte, extreme Stilisierung von Kleidung
(Tarnfarben, Springerstiefel, Leder, Uniformen, Kampfanzüge) und
Waffen (Detail-Shots von blitzenden Messern, Schwertern und
chromglänzenden Automatikpistolen; das Repetieren von Gewehren in
Slow-Motion und Hall auf der Tonspur; das glockenspielartige
Zu-Boden-Klimpern von Patronenhülsen).
Der Intellekt ist
zweitrangig, oftmals irrelevant. Der Actionheld zeichnet sich aus
durch Stoizismus, eisernes Schweigen, bestenfalls Wortkargheit. Seine
(Kampf-)Ansagen werden in knappen One-Linern komprimiert. Im Zentrum
seiner Handlung stehen Taten, nicht Worte: Aktion statt Reaktion.
Offensive statt Defensive. Yippee ki-yay, Motherfucker!
Er
muss kein „Charakter“ sein, es reicht ihm, ein Stereotyp zu sein.
Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann. Er verweist auf den Archetypus,
den Heros des kollektiven Sagen- und Mythenkomplexes: eine ikonische
Über-Figur. So tarnt sich die Diegese in vielen Actionfilmen auch
als zeitgenössische Variante der klassischen Jenseitsreise des
Heros, auf dessen zyklischem Weg verschiedene mythische Stationen
liegen: Auftrag, Ausfahrt an fremde Gestade, Prüfungen, Tod und
Auferstehung, Begegnung mit- und Überwindung von „Schattenwesen“
(den Antagonisten, die nicht selten Spiegelungen der Protagonisten
sind).
Actionkino,
das Kino der männlichen Gesten und Rituale, häufig so grotesk
übersteigert, dass man sich fragt: Wird hier der Machismo
verherrlicht oder wird er ad absurdum geführt? Actionkino,
das Kino der homoerotischen Konnotationen, häufig so überdeutlich,
dass es dem homophoben Zuschauer nicht auffällt.
Frauen
tauchen nur selten in Actionfilmen auf und fast nie als
Love-Interest. Wenn sie überhaupt eine tragende Rolle spielen, dann
als kämpferische Compagnons, als Kriegerinnen und wehrhafte Amazonen
– oder als reines Opfer. Sex kommt nicht vor. Die Libido wird durch
die Destrudo ersetzt, Eros durch Thanatos. Der Actionheld streichelt
keine nackte Haut, sondern das kühle Metall seiner Waffe.
Make War not Love.
Die
beiden Filme unserer 80er Actiongülle-Nacht im Filmclub Bali sind
archetypische Vertreter dieser holden Kaputtmacher-Zunft. Nicht nur
Rambo & Konsorten versprachen gewinnträchtigen Erfolg, auch
kybernetische Übermenschen lockten mit explosiven Schauwerten und
klingelnden Kassen. John Camerons Überraschungshit TERMINATOR (1984)
zog einen Rattenschwanz an Nachahmern hinter sich her, die durch
rasch runtergekurbelte Plagiate eine schnelle Mark erhofften. Ob in
Indonesien mit H. Tjut Djalils LADY TERMINATOR (1989) oder in Italien
mit Bruno Matteis CONTAMINATOR (1989) – allerorts stampften die
preisgünstig zusammengeklöppelten Cyborgs über die Leinwände und
zerlegten die Peripherie zu Klump.
Einer
der ersten und besten Cameron-Epigonen war der fleißige
Genrehandwerker Sergio Martino, der sich in den 70er Jahren vor allem
durch eine Handvoll gelungener Gialli, wie DER KILLER VON WIEN oder
DER SCHWANZ DES SKORPIONS einen Namen gemacht hatte. Der 1986 mit
viel Tempo in Szene gesetzte Low Budget-Streifen, wartet mit dem
muskelstarrenden Daniel Greene als kybernetische Kampfmaschine des
Todes auf, der von miesen Megakonzern-Bossen durch die amerikanische
Wüste gehetzt wird, sich mit Killertruppen auf heißen Feuerstühlen
und versifften Truckerprolls anlegt und dabei reichlich Metallschrott
und Knochenfrakturen zurücklässt. Synchronisiert wird er obendrein
von Thomas Danneberg, der deutschen Stimme von
Stallone/Schwarzenegger und lässt unvergessliche Sentenzen vom
Stapel: „Okay, ihr Schweine! Ihr wolltet die Hölle – jetzt
bekommt ihr sie!“
„Vor
allem bei der Besetzung gibt’s hier nichts zu meckern: [Der Film]
vereint viele altgediente Stars des italienischen Unterhaltungskinos
unter einem Dach. Claudio Cassinelli, George Eastman, Janet Agren,
John Saxon und auch der immer gern gesehene Donal O’Brien geben
hier noch einmal alles.“
Molotto auf Monstrula.de
Beim
nächsten Film werden dann endgültig keine Gefangenen mehr gemacht,
denn dann bringt der echte, originale Testosteronbomber aus der
Steiermark den Kinosaal zum kochen: Arnie zeigt seinen Gegnern, was
eine Harke ist.
Ex-Elitesoldat
John Matrix (Schwarzenegger) will eigentlich nur das friedliche
Bergleben mit seinem Töchterlein genießen, doch böse Buben
durchkreuzen seine Ruhestandspläne. Zuerst werden seine ehemaligen
Kameraden reihenweise abgemurkst, und dann kidnappt man auch noch
seine Tochter. Die Täter – unter ihnen der garstige Bennet aus
Matrix‘ früherer Einheit – verlangen im Auftrag des gestürzten
Diktators Aryus (Dan Hedaya) die Ermordung des Präsidenten einer
südamerikanischen Bananenrepublik. Matrix sieht rot und holt den
Granatwerfer aus dem Hobbykeller…
1985
inszeniert von Mark L. Lester, ist diese filmische Splitterbombe
vielleicht nicht der intelligenteste Beitrag zum Genre der 80er
Actiongülle, mit Sicherheit aber einer der rasantesten und
bleihaltigsten, gewürzt mit einer anständigen Prise Selbstironie
und einer Fülle markiger One-Liner.
„Mehr
gewalt- denn gehaltvoll zelebriert Lester blutige Selbstjustiz der
unterhaltsamen Art. Der rasante Nonstop-Nonsens bietet reichlich
Budenzauber und einen beschaulichen Leichenberg. Dabei schrammt
Äktschn-Arnie nur knapp an der lachhaften Selbstparodie vorbei, wenn
er bis an die Zähne bewaffnet im Alleingang ein Söldnercamp
aushebelt. Dabei wird in Zeitlupe gestorben und mit Pyrotechnik
wahrlich nicht gegeizt. Namenloses Kanonenfutter vollführt auf dem
Weg in den Tod unfreiwillig komische Pirouetten und Salti,
großkalibrige Artillerie und das Arsenal eines Werkzeugschuppens
erledigen den Rest.“
„Ich
habe jetzt richtig gute Stimmung und esse erst einmal ein Brot mit
rohem Fleisch. Der Film ist wie guter Sex, nur halt mit echten
Männern!“
-- Christian Keßler in SPLATTING IMAGE Nr.72
Teile
dieses Textes sind bereits im Booklet zur DVD-Veröffentlichung von
DEATH FORCE – EIN MANN WIRD ZUM KILLER abgedruckt worden. ©2014
Pelle Felsch/Subkultur Entertainment.
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.