Serienkiller-Nacht
am Freitag, den 17.05. um 23 Uhr im Kino Babylon
Während die holde Maienzeit ihr duftig Blütenband über Flure und Auen
streift und allerorten die Bienlein um die Blümlein schwirren und
liebeshungrige Jünglinge um hübsche Maiden tänzeln, tauchen wir
vom Filmclub BALI hinab in die finstersten Abgründe der menschlichen
Seele.
Serienkiller
bevölkern die Filmwelt, seit es Zelluloid gibt und erfreuen sich
ungebremster Popularität. Der Blick in den dunklen Spiegel, der
Flirt mit dem unbegreiflichen Bösen, das sich hinter einer allzu
alltäglichen Maske verbirgt, ist so abstoßend wie reizvoll. Bereits
der expressionistische Stummfilm-Klassiker DAS CABINET DES DR.
CALIGARI (1920) von Robert Wiene greift das Sujet auf. In Fritz Langs
M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931) treibt Peter Lorre als
Serientäter sein Unwesen.
Der Serienkiller-Film ist peinlichst zu trennen vom herkömmlichen
Slasherfilm, wo ein (oftmals) maskierter,
de-personalisierter „Schwarzer Mann“, eine automatenhafte, unaufhaltsame Mordmaschine,
als Symbol für moralische Bestrafungsinstanzen fungiert. Die Schlitzer aus
Filmen wie HALLOWEEN, FREITAG DER 13te oder BLUTIGER VALENTINSTAG
sind monströse, geschlechts-, gesichts- und stimmlose Vernichter,
die selber keine oder allenfalls rudimentäre menschliche
Eigenschaften und Persönlichkeiten aufweisen. In den meisten Fällen
haben sie ihre Menschlichkeit verloren oder unfreiwillig abgelegt,
häufig in Verbindung mit einer Tat aus der Vergangenheit, für die
sie Rache nehmen. Der Serienkiller jedoch war schon immer ein Monster
in humaner Verkleidung, und sein Blutvergießen ist frei von jeder
Moralität.
Der
Serienkiller ist zweifelsfrei als Mensch zu erkennen, er hat Gefühle,
Schwächen und Charaktereigenschaften, die ihn auf den ersten Blick
kaum von seinen Mitmenschen unterscheiden. Möglicherweise vermag er
es sogar, seinem Naturell zum Trotz, Sympathie beim Zuschauer zu
erzeugen. Man kann Serienkiller als „Bestien“ bezeichnen, aber
das Erschreckendste ist die Erkenntnis, dass es sich bei ihnen um
menschliche Wesen handelt. Das unerklärbare Grauen verbirgt sich
nicht hinter einer Hockeymaske oder einer schwarzen Kapuze – der
Horror hat ein Gesicht, das dem scheinbar netten Nachbarn von nebenan
gehören könnte. Serienkiller leben unauffällig in unserer Mitte,
wie Wölfe, die sich zwischen die Schafe geschlichen haben. Man
erkennt sie nicht, kann sie nicht anhand ihres Aussehens oder ihres
Verhaltens identifizieren. Eher im Gegenteil: Die grausamsten und
„erfolgreichsten“ Täter mordeten oft jahrzehntelang ohne
Verdacht zu erregen, waren beliebt als hilfreiche und freundliche
Zeitgenossen, hatten nicht selten Familie, Kinder und Pöstchen in
der Gemeinde. Viele wurden irgendwann gefasst – oft, weil sie
absichtlich Fehler machten oder gefasst werden wollten, um mediale
Berühmtheit zu erlangen. Einige sind bis heute auf freiem Fuß, und
möglicherweise morden sie noch immer.
Über etliche der bekannten (und in manchen Kreisen berühmten)
Serienkiller wurden mehr oder weniger erfolgreiche Filme gedreht, von
„Son of Sam“ David Berkowitz (SUMMER OF SAM, 1977) bis zum nie
überführten „Zodiac-Killer“ (ZODIAC – DIE SPUR DES KILLERS,
2007). Zu großer Popularität gelangte der nekrophile Kannibale und
Frauenmörder Ed Gein, der als Vorlage für Norman Bates in Alfred
Hitchcocks Meisterwerk PSYCHO (1960) diente und Tobe Hooper zu seinem
TEXAS CHAINSAW MASSACRE
(„Blutgericht in Texas“, 1974) inspirierte. Bob Clarks DERANGED
(1974) ist das wohl getreueste Portrait über Ed Gein. 2012
bearbeitete Jörg Buttgereit den Stoff zu seinem Theaterstück
KANNIBALE UND LIEBE, das erfolgreich im Schauspielhaus Dortmund
aufgeführt wurde.
Andere
nicht-fiktionale Serienmörder, denen ein filmisches Denkmal gesetzt
wurde waren Ted Bundy (ALPTRAUM DES GRAUENS, 1986), Charles
Starkweather (BADLANDS, 1973), der „Boston-Strangler“ Albert
DeSalvo (DER FRAUENMÖRDER VON BOSTON, 1968), der „Killer-Clown“
John Wayne Gacy (GACY, 2003), Richard Speck (DIE HINRICHTUNG, 1976),
die Cousins Kenneth Alessio Bianchi und Angelo Buono Jr. (THE
HILLSIDE STRANGLER, 2004), Albert Fish (DER KINDERMÖRDER, 2007),
Jack the Ripper (JACK THE RIPPER – DER DIRNENMÖRDER VON LONDON,
1976), Andrei Tschikatilo (CITIZEN X, 1995), Jeffrey Dahmer (DAHMER,
2002) oder Fritz Haarmann (DER TOTMACHER, 1995).
Im
Gegensatz zu einzelnen Tötungsdelikten, die oft als Beziehungstaten
(z. B. im Affekt bei einem Streit oder aus Habgier) gesehen werden
können, sind Serientaten schwieriger nachvollziehbar, da meistens
keine vordeliktische Beziehung zwischen Täter und Opfer besteht. Die
meisten (über 90%) Serienmörder sind Männer, und häufig haben
ihre Taten sexuelle, fetischistische Beweggründe. Aber auch
mangelnde soziale Anerkennung kann eine Triebfeder sein. Unter
anderem werden neurologische Hirnschädigungen, frühkindliche
psychische Verletzungen sowie familiäre Kälte, Gewalt und
Alkoholismus als mögliche Faktoren für Serientaten gesehen. Von den
sexuell motivierten Serienkillern haben 82 % ein auffälliges
Sexualverhalten, wie z. B. Fetischismus und sind oft zuvor bereits
wegen Sexualdelikten erfasst worden. Bei sadistischen Mehrfachmördern
spielt die Fantasie als Tatmotiv und für die konkrete und
detaillierte Tatgestaltung eine entscheidende Rolle.
Die
wenigen weiblichen Serienmörder haben in keinem bekannten Fall aus
sexuellen Motiven getötet. Meistens sind es Erlösungsfantasien, die
sie antreiben – die „Rote Krankenschwester“, die alte, kranke
Menschen nicht leiden sehen kann oder die mörderische Amme, die ihre
kleinkindlichen Opfer vor den Übeln der Welt und des
Erwachsenwerdens schützen will. Das beliebteste Tatwerkzeug ist
hierbei Gift, bzw. entsprechende Medikamenten-Überdosierung. Filme,
die weibliche (Gift-)Mörderinnen zum Thema haben sind z.B. ARSEN UND
SPITZENHÄUBCHEN (1944), KATIE BIRD – DIE GEBURT EINES MONSTERS
(2005) und Fassbinders BREMER FREIHEIT (1972). Ausnahmen dieser Regel
sind die berühmten „Vampirinnen“, die junge Mädchen in Serie
töteten, um durch deren Blut ewige Jugend zu erhalten, wie die
„Blutgräfin“ Erzsébet Báthory (u.a. COMTESSE DES GRAUENS, 1971
oder BLUT AN DEN LIPPEN, 1971) oder Darja Nikolajewna Saltykowa (THE
LEGEND OF BLOOD CASTLE, 1973). Außerdem gibt es die Fälle von
Frauen, deren Taten eine Reaktion auf männliche Gewalt und
Missbrauch darstellen, wie etwa Aileen Wuornos (MONSTER, 2003).
Während
die Filme, die das Leben und die Taten realer Serienmörder
thematisieren, relativ streng an die Vorlagen gebunden sind, ist der
Fantasie der Drehbuchautoren bei Filmen über fiktionale Täter keine
Grenzen gesetzt. Bekannteste Beispiele dürften in jüngerer Zeit DAS
SCHWEIGEN DER LÄMMER oder ROTER DRACHE (nach den erfolgreichen
Thrillern von Thomas Harris), SIEBEN, KALIFORNIA oder AMERICAN PSYCHO
sein. Nicht selten wird in diesen Filmen (wie im Fall des Kannibalen
Hannibal Lecter) ein Serienkiller zu einer regelrechten Pop-Ikone
hochstilisiert.
Grundsätzlich
gibt es zwei Formen von Serienkiller-Filmen: Jene, die aus der
Perspektive der „Guten“ erzählt werden (d.h., aus der Sicht
eines ermittelnden Polizisten oder Amateur-Detektivs) oder, die
weitaus unbequemere und kontroversere Variante, aus der Perspektive
des „Bösen“, also aus der des Mörders. Diese Filmgattung zwingt
den Zuschauer auf die Seite des Täters, lässt ihn durch seine Augen
sehen und an den Taten „teilnehmen“.
Zu
dieser Gattung zählen auch die beiden Filme, die wir Ihnen im Mai im
Filmclub BALI präsentieren.
Der
erste Film thematisiert das Leben und die Taten des Serienmörders
Henry Lee Lucas, der, laut eigener Angaben, über 50 Menschen
(vorwiegend Frauen) auf dem Gewissen hatte. Lucas begann seine
„Karriere“ bereits in den 50er Jahren und beging zahlreiche Morde
mit Beihilfe seines Komplizen Ottis Toole. Das ursprünglich über
ihn verhängte Todesurteil wurde 1998 vom Gouverneur von Texas,
George W. Bush, zu lebenslanger Haft abgemildert. Lucas starb im
Alter von 64 Jahren an Herzversagen.
Der
1986 gedrehte Film von John McNaughton entstand ihn Anlehnung an
Henry Lee Lucas‘ Leben und ist sicherlich einer der
kompromisslosesten und schockierendsten Portraits über einen
Serienkiller überhaupt. Hauptdarsteller Michael Rooker (u.a. THE
WALKING DEAD) brilliert in der Rolle des Soziopathen mit ungeheurer
Intensität, dem es auf erschreckende Weise gelingt, trotz allem
einen Hauch von Sympathie zu erzeugen. In Deutschland wurde der Film
zum Zensurfall und stand für 20 Jahre auf dem Index.
Mit
Zensurproblemen hatte auch das Original unseres zweiten Films zu
kämpfen. Als 1980 William Lustigs MANIAC in den deutschen Kinos
anlief, war die Staatsanwaltschaft nicht amüsiert: Das „Grusel-
und Gewaltprodukt primitiven Zuschnitts, das vorwiegend auf Ekel
setzt“ (Lexikon des internationalen Films) wurde zu einem Fall für
den berüchtigten § 131 und kurzerhand wegen „Gewaltpornographie“
bundesweit beschlagnahmt. Die Geschichte des schizophrenen
Serienkillers Joseph Zito (herrlich schmierig und authentisch
dargestellt von Joe Spinell), der unerkannt in einem New Yorker
Mietshaus lebt, wo er seine weiblichen Opfer nach dem Mord skalpiert
und entkleidet, war den Jugendschützern auch danach ein Dorn im
Auge. In der späteren Hysterie um „Horror-Videos“ gelangte
MANIAC gemeinsam mit MUTTERTAG, EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL und
TANZ DER TEUFEL zu trauriger Berühmtheit.
32
Jahre später hat der französische Regisseur und Produzent Alexandre
Aja (u.a. HIGH TENSION und das Remake von PIRANHA)
sich erneut des brisanten Stoffes angenommen und eine Neuverfilmung
unter der Regie von Franck Khalfoun in die Lichtspielhäuser
gebracht. Der Film geht dabei noch einen bedeutenden und gefährlichen
Schritt weiter, als die Originalversion: Die gesamte Handlung wird
aus der subjektiven Sicht des Täters erzählt. Joseph Zito
(dargestellt von ausgerechnet „Frodo“ Elijah Wood!) taucht nur
sporadisch auf: als Reflektion in Badezimmerspiegeln oder
Autoscheiben. Auch für die Neuverfilmung hat das Lexikon des
internationalen Film kein Verständnis: „Ein
über die Maßen brutaler, lediglich dem Gore-Effekt verpflichteter
Abklatsch.“
In
den Kinos lief das Remake noch unzensiert und mit dem Siegel „Keine
Jugendfreigabe“, die am 21. Mai erscheinende Heimkinoauswertung
wird nur stark gekürzt erhältlich sein.
Wir zeigen selbstverständlich die unzensierte Version!
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.