David Cronenberg-Nacht
am Freitag, den 15.03. um 23 Uhr im Kino Babylon
Der
Kanadier David Cronenberg ist einer der einflussreichsten,
radikalsten und innovativsten Filmemacher seiner Generation, vor
allem im Bereich des phantastisch-psychologischen, transgressiven
Kinos.
Am
15. März 2013 wird Cronenberg 70 Jahre alt. Der Filmclub BALI
gratuliert herzlich und feiert seinen Geburtstag mit der Vorführung
von zweien seiner bedeutendsten Werke.
David
Cronenberg wird am 15. März 1943 in Toronto in der kanadischen
Provinz Ontario geboren, als Sohn einer Musikerin und eines
Schriftstellers. Mit seiner Schwester Denise wächst er in einer
fortschrittlich-jüdischen Mittelklassefamilie auf, deren Name
deutsch-niederländischen Ursprungs ist. Sein Vater betreibt einen
kleinen Buchladen und schreibt für die Zeitung "Toronto
Telegram", seine Mutter spielt Klavier für das National Ballet.
Der junge David erlernt das Gitarrenspiel und schreibt in seiner
Freizeit Gruselgeschichten, interessiert sich jedoch gleichsam für
Naturwissenschaften.
Nach
seinem Abschluss am North Toronto Collegiate Institute beginnt David
Cronenberg an der University of Toronto zunächst Biochemie zu
studieren, wechselt dann aber zu englischer Literatur, worin er 1967
seinen Bachelor of Arts erwirbt. Beeinflusst von William S. Burroughs
und Vladimir Nabokov, versucht er sich zunächst erfolglos als Autor.
Während seiner Studienzeit entdeckt er seine Leidenschaft für Filme
– sowohl passiv als auch aktiv. Als er sein Studium Ende der 60er
Jahre abschließt, hat er mit TRANSFER (1966) und FROM THE DRAIN
(1967) bereits zwei experimentelle 16mm-Kurzfilme gedreht. Ein
ähnlich experimentelles Naturell haben die ersten 35mm-Filme des
jungen Regisseurs. Mit dem schwarzweißen STEREO (1969) und CRIMES OF
THE FUTURE (1970) entstehen zwei 65-minütige Filme, die erste
Beachtung bei Kritikern finden und bereits Schlüsselelemente
späterer Werke enthalten: fehlgeleitete Wissenschaftler, Gier, Sex
und Gewalt.
Obwohl
er sich von Regisseuren wie Federico Fellini und Ingmar Bergman
beeindruckt zeigt, nennt
er als seine Haupteinflüsse die Literatur von Burroughs, Nabokov und
den Existentialismus. Fünf Jahre benötigt Cronenberg, um das Budget
für seinen ersten abendfüllenden Spielfilm aufzutreiben:
PARASITEN-MÖRDER („Shivers“ aka. „They came from within“,
1975) tarnt sich als lupenreiner Schocker in der Tradition von Filmen
wie NIGHT OF THE LIVING DEAD oder INVASION OF THE BODYSNATCHERS,
weist jedoch bereits maßgebliche Elemente des „Body Horrors“
auf, für den Cronenberg später berühmt werden sollte. Der Film
wird ein beachtlicher kommerzieller Erfolg. Seine explizite Thematik,
die Sex und Horror verquickt, entfacht jedoch auch eine landesweite
Kontroverse, die es ihm erschwert, an Gelder für weitere Filme zu
kommen.
Trotz
erheblicher Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde gelingt es David
Cronenberg zwei Jahre später, mit RABID – DER BRÜLLENDE TOD
(1976) seinen Erfolg zu zementieren. Bei einem Budget von nur 530.000
Dollar, spielt er an den Kinokassen 7.000.000 Dollar ein. Als
besonderen Clou besetzt er die Pornodarstellerin Marilyn Chambers in
der Hauptrolle, was erneut für Wirbel sorgt – nicht zuletzt auch
wegen des ähnlich gearteten, tabuverletzenden Sujets. Wiederum zwei
Jahre später die bringt er seine Trilogie zum „Venereal Horror“,
dem Genre des geschlechtlichen Horrorfilms, mit dem ebenfalls
schockierenden Streifen DIE BRUT („The Brood“, 1979) zu einem
fulminanten Abschluss.
Auch
die zeitgenössische Filmwissenschaft wird aufmerksam auf die Werke
des jungen Bilderstürmers und lobt seine visionäre, surreale
Ausdruckskraft sowie die ungewöhnliche Ausarbeitung der
psychologischen Aspekte seiner Charaktere. DIE BRUT markiert auch die
erste Zusammenarbeit mit dem Komponisten Howard Shore, der seitdem zu
Cronenbergs festem Stamm von Mitarbeitern zählt, den der Regisseur
im Laufe der Jahre um sich scharte – darunter Cutter Ronald
Sanders und Kameramann Mark Irwin, der 1988 durch Peter Suschitzky
ersetzt wurde.
Mit
dem im selben Jahr produzierten Rennfahrerfilm 1000 PS –
VOLLGASRAUSCH IM GRENZBEREICH („Fast Company“, 1979) beschreitet
Cronenberg vollkommen andere Wege und frönt seiner Leidenschaft für
starke Motoren und schnelle Kraftfahrzeuge. Die leidenschaftliche
Hommage an gleichartige B-Movies verstimmte zahlreiche
Cronenberg-Fans und wird von vielen Kritikern als Ausnahmeerscheinung
in seinem Gesamtwerk gewertet.
Der
neunte Film des Regisseurs, veröffentlicht im Jahr 1980, ist
zugleich der erste Überraschungsfilm unserer Geburtstagsnacht, daher
wird der Titel hier nicht verraten.
Der Film über zwei verfeindete Gruppen von Telepathen spielt in den USA über 14 Millionen Dollar ein und gilt als kommerzieller Durchbruch für Cronenberg. Sogar Hollywood klopft jetzt an seine Tür – das Angebot, die Regie für DIE RÜCKKEHR DER JEDI-RITTER (1983) zu übernehmen, lehnt er jedoch ab.
Der Film über zwei verfeindete Gruppen von Telepathen spielt in den USA über 14 Millionen Dollar ein und gilt als kommerzieller Durchbruch für Cronenberg. Sogar Hollywood klopft jetzt an seine Tür – das Angebot, die Regie für DIE RÜCKKEHR DER JEDI-RITTER (1983) zu übernehmen, lehnt er jedoch ab.
Zwei
Jahre später dreht Cronenberg sein bis heute wohl visionärstes und
kompromisslosestes Werk – dessen Titel ebenfalls geheim bleibt, da
es sich dabei um unseren zweiten Film der Nacht handelt.
Die
medienkritische Parabel wirft den Zuschauer in eine beunruhigend
realistisch anmutende Horrorvision des modernen Fernseh-Molochs, der
jede Moral und Ethik den Einschaltquoten opfert. Das alptraumhafte
Szenario, die unheilvoll dräuende Musik von Howard Shore, die
surrealen Special-Make-Up-Effekte von Rick Baker und die
schauspielerische Leistung von James Woods und Deborah Harry (besser
bekannt als Blondie) sind maßgeblich verantwortlich für den
Kultstatus des Films.
In
Zusammenarbeit mit dem Mainstream-Produzenten Dino de Laurentiis
entsteht die 1983 die Literaturverfilmung DEAD ZONE nach dem
gleichnamigen Roman des Bestsellerautoren Stephen King. Nicht zuletzt
die schauspielerische Präsenz von Christopher Walken in der
Hauptrolle lässt den Film zu einem kommerziellen Erfolg geraten und
an den Kinokassen 20 Millionen Dollar einspielen. Ein noch größerer
Blockbuster gelingt Cronenberg mit dem ultimativen „Body
Horror“-Film DIE FLIEGE (1985), einem zeitgenössischen Remake des
1958er Gruselklassikers von Kurt Neumann. Die Geschichte über den
Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum), der durch einen Unfall
zu einem Mischwesen halb Mensch und halb Fliege mutiert, geht sowohl
in psychologischen Fragen, als auch in Punkto Ekel-Effekten
intensiver zu Werke als das Original, was von Kritikern und
Kinobesuchern gleichermaßen gewürdigt wird. Chris Walas erhält
1986 den Academy Award (Oscar®)
für das Beste Spezial-Make-Up.
Mit
DIE UNZERTRENNLICHEN („Dead Ringers“, 1988), einem erschütternden
Psychogramm über zwei eineiige Zwillinge und Gynäkologen – Jeremy
Irons in einer großartigen Doppelrolle – ,den er neben DIE BRUT
und DIE FLIEGE zu seinen persönlicheren Werken zählt, tritt die
extreme Darstellung körperlicher Deformationen in Cronenbergs Filmen
(die „Phase Fleisch“)
zusehends in den Hintergrund. Inhaltlich verschiebt sich die
Gewichtung vom Horror- und Science-Fiction-Genre hin zum Filmdrama,
auch entstehen die nachfolgenden Arbeiten mehrheitlich nicht mehr
nach seinen Originaldrehbüchern, sondern nach literarischen
Vorlagen. In den kommenden Jahren befasst Cronenberg sich mit der
Adaption eines als „unverfilmbar“ geltenden Romans und eines der
literarischen Werke, die ihn am stärksten geprägt und beeinflusst
haben: NAKED LUNCH von William S. Burroughs. Der daraus resultierende
Film behandelt nicht den Stoff des Buches sondern dessen
Entstehungsprozess, ohne dabei allzu starke Gewichtung auf
autobiografische Elemente zu legen. Die Handlung führt den
Schriftsteller Bill Lee (Peter Weller) nach „Interzone“, einer
halbfiktiven Welt bei Marokko, in der Sex, Drogenexzesse und
Halluzinationen das Leben des Protagonisten beherrschen. Realität
und Fiktion verschwimmen auf der Suche nach der eigenen (sexuellen)
Identität der Figur. Die Zeitschrift TV Spielfilm bezeichnete den
Film als „schwarzhumorig-obszöne Effektorgie“ und als „sexuell
aufgeladene Satire in schräger Fiebertraum-Optik.“
Die
Geschichte des französischen Diplomaten René Gallimard (Jeremy
Irons), die David Cronenberg zwei Jahre später verfilmt, basiert auf
der Oper "Madame Butterfly" von Giacomo Puccini. Bei M.
BUTTERFLY (1993) handelt es sich um eine einfühlsame Studie der
Einsamkeit, ein Thema, das in einigen Filmen seines „Mittelwerks“
behandelt wird.
Einen
erneuten kleinen Skandal – besonders in der britischen
Boulevardpresse – tritt Cronenbergs mit seinem folgenden Werk los.
CRASH (1996), nach J.G. Ballards gleichnamigem Kult-Roman (ein
weiterer angeblich „unverfilmbarer“ Stoff), handelt von einem
Paar, das durch einen Autounfall in Berührung mit einer mysteriösen
Geheimgesellschaft gerät, die „Crashs“ provoziert und sich
dadurch sexuelle Lustbefriedigung verschafft. Obschon der Film
reichlich negative Kritik erntet, erhält der Regisseur 1996 den
Spezialpreis der Jury beim Filmfestival in Cannes. Das Lexikon des
Internationalen Films urteilte: „Ein Exkurs über die morbide
Pervertierung des Lustbegriffs durch die ad absurdum geführten Werte
des Konsumzwangs, distanziert inszeniert als sinnentleertes Ritual.
Ein radikaler Autorenfilm.“
1998,
15 Jahre nach seiner verstörenden TV-Parabel, bringt David
Cronenberg mit EXISTENZ einen Film mit ähnlichem Ansatz heraus. Der
Virtual-Reality Thriller mit Jude Law, Jennifer Jason Leigh und
Willem Dafoe zeigt Menschen, die in ein Computerspiel geraten und
nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können. Für
die Produzenten wird der mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Film
jedoch ein finanzieller Flop, da er sein Budget nicht ansatzweise
einspielen kann.
Auf
CAMERA (2000), einem Kurzfilm für das Toronto Film Festival, folgt
zwei Jahre später SPIDER (2002), eine Verfilmung des Romans von
Patrick McGrath. Der Film zeigt deutlich die inhaltliche
Transformation des David Cronenberg: Die Abkehr vom reinen Schocker
oder „Body Horror“ und die Hinwendung zur intensiven Ausleuchtung
der psychologischen Aspekte seiner Figuren, bei gleichzeitiger
Kreation eines subtileren, schleichenden Horrors.
A HISTORY OF VIOLENCE (2005) wird als der kommerziellste Film des
Filmemachers gewertet. Die Story basiert auf der gleichnamigen
Graphic-Novel von John Wagner und Vince Locke. Tom Stall (Viggo
Mortensen) führt ein beschauliches Kleinstadtleben bis eines Tages
seine frühere Identität, die des Gangsters Joey Cusack, aufgedeckt
wird und die Vergangenheit ihn auf brutale Weise einholt.
Es
folgt der bittere Gangster-Thriller TÖDLICHE VERSPRECHEN („Eastern
Promises“, 2007), der Kritikern zu Folge neue Maßstäbe in diesem
Genre setzt. So urteilte etwa das „Lexikon des Internationalen
Films“: „Kein klassischer Genrefilm, sondern ein höchst
intensives Noir-Drama um die postsozialistische "Russen-Szene",
in dem das Nebeneinander von Gemütlichkeit und Gewalt mehr
schockiert als brutale Exzesse.“ Der meisterlich inszenierte Film
glänzt vor allem durch die starken schauspielerischen Leistungen von
Armin Mueller-Stahl und Viggo Mortensen, der für den Oscar als
Bester Schauspieler nominiert wird.
In
dem 2011 inszenierten historischen Drama EINE DUNKLE BEGIERDE („A
dangerous method“) thematisiert Cronenberg die Bekanntschaft
zwischen dem Psychiater Carl Gustav Jung und Sigmund Freud, dem
Begründer der Psychoanalyse, sowie die Affäre zwischen Jung und
seiner Patientin Sabina Spielrein. Die Hauptrollen in der
kanadisch-britisch-deutschen Koproduktion spielen Viggo Mortensen,
Michael Fassbender, Keira Knightley und Vincent Cassel.
2012
folgte schließlich COSMOPOLIS, die Verfilmung eines Romans von Don
DeLillo.
Neben
seinen Kinofilmen war Cronenberg auch mehrfach für das kanadische
Fernsehen tätig und trat in einigen Filmproduktionen seiner Kollegen
als Darsteller auf, so z.B. als wahnsinniger Psychiater Dr. Philip K.
Decker in Clive Barkers NIGHT BREED („Cabal – die Brut der
Nacht“, 1990).
Besonders
empfehlen möchten wir zur weiterführenden Lektüre das
hervorragende Buch
DAVID CRONENBERG von Markus Stiglegger (Hrsg.), erschienen im Bertz + Fischer
Verlag.
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Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.