Filmclub Bali
   
 
Menschen, Tiere, Perversionen
Plakat

Zirkus-Nacht

am Freitag, den 11.05. um 23 Uhr im Kino Babylon der Pelmke

Menschen, Tiere, Sensationen! – Das war nicht nur der Name einer Zirkusshow, die von 1937 bis 1997 in der Deutschlandhalle in Berlin aufgeführt wurde, es ist auch der Titel eines (reichs-)deutschen Spielfilms von Harry Priel aus dem Jahr 1938, der sogar mit dem Prädikat ‚volkstümlich wertvoll‘ ausgezeichnet wurde.
Ob unser diesmaliges BALI-Doppelprogramm in irgendeiner Weise wertvoll ist oder gar mit Prädikaten versehen wird, wagen wir mal stark anzuzweifeln. Nicht zu verleugnen ist jedoch die große Anziehungskraft, die stets zwischen Manege und Leinwand herrschte – seit eh und je war der Film vom Zirkus fasziniert, und umgekehrt.
Unknown Menschen, Tiere, Sensationen
Bereits bei den ersten Gehversuchen mit der Stummfilmkamera wurden Motive aus dem Zirkuszelt abfotografiert und bei Varieté-Shows aufgeführt. Einer der ersten (der erste?) Spielfilme, die im Zirkusmilieu spielten war Tod Brownings wegweisender THE UNKNOWN („Der Unbekannte“) von 1927. Ein Jahr später drehte der große Charlie Chaplin die Stummfilmkomödie THE CIRCUS („Der Zirkus“), in dem wieder einmal seine Stammfigur ‚Der Tramp‘ die Hauptrolle spielte. Das Deutsche Reich schickte 1935 Harry Piehl mit ARTISTEN ins Rennen, der für die Dreharbeiten den Zirkus Sarrasani mietete, wo er später auch den bereits erwähnten MENSCHEN, TIERE, SENSATIONEN abfilmte. 1939 schickte Hollywood sein berühmtes Comedian-Trio ‚The Marx Brothers‘ mit AT THE CIRCUS (“Die Marx Brothers im Zirkus”) in die Manege. Früh erkannte auch Walt Disney das Potential des Schaustellerwelt und schuf mit DUMBO („Dumbo – der fliegende Elefant“, 1941) den ersten Zirkus-Zeichentrickfilm. Auch die Handlung des amerikanischen Abenteuerfilms ARABIAN NIGHTS („Arabische Nächte“) von John Rawlins aus dem Jahre 1942 wurde teilweise in einem Wanderzirkus angesiedelt. In Deutschland erfreute das Zirkusmotiv sich auch nach dem Krieg großer Beliebtheit, und somit entstand 1947 der DEFA-„Trümmerfilm“ 1-2-3 CORONA, ein optimistisch-heiterer Jugendfilm um eine verunglückte Trapezkünstlerin.


Greatest Show on Earth
Als „der Zirkusfilm schlechthin“ gilt Cecil B. DeMilles halbdokumentarischer THE GREATEST SHOW ON EARTH („Die größte Schau der Welt“) von 1952, der die Geschichte des Ringling Brothers and Barnum & Bailey Circus, dem größten Zirkusunternehmen der USA, erzählt. Die BRD konterte 1954 mit der Komödie FEUERWERK von Kurt Hoffmann, die von dem Nachschlagwerk 6000 FILME als „Lustige Mischung aus Schlager-, Revue- und Manegenummern“ bezeichnet wurde. Die DDR zog im selben Jahr nach mit CAROLA LAMBERTI – EINE VOM ZIRKUS, einer DEFA-Produktion, in der genreübliche Generationskonflikt in einer Artistenfamilie behandelt wurde.
Schon bekannter ist da das US-amerikanische Drama TRAPEZ des britischen Regisseurs Carol Reed aus dem Jahr 1956, das zwei befreundete Hochseilartisten (gespielt von Burt Lancaster und Tony Curtis) in den Mittelpunkt stellt, zwischen die sich eine ehrgeizige Frau (Gina Lollobrigida) drängt.
Als „sentimental, aber prächtig gefilmt und toll besetzt“ bezeichnete die Kritik den US-Film CIRCUS WORLD („Circus-Welt“, 1964), in dem John Wayne und Rita Hayworth aufspielen. Die Franzosen waren da schon spritziger und schickten ein Jahr später die beiden Sexbomben Brigitte Bardot und Jeanne Moreau in Louis Malles VIVA MARIA! aufs Trapez. Der Meisterregisseur Frederico Fellini (der bereits mit LA STRADA [„Das Lied der Straße“, 1954] einen Film im Zirkusumfeld gedreht hatte) verbeugte sich 1970 mit der Komödie I CLOWNS („Die Clowns“) vor der bunten Welt der fahrenden Schausteller.
Neben all den erwähnten komischen und tragischen Geschichten erzählt das Kino in jüngerer Zeit vermehrt Geschichten, in denen der Zirkus in erster Linie stellvertretend für eine alternative Innenwelt steht. Die Schausteller in THE IMAGINARIUM OF DR. PARNASSUS („Das Kabinett des Dr. Parnassus“, 2010) ermöglichen ihren Besuchern durch einen magischen Spiegel eine Reise in ihre eigenen Traumvorstellungen. Auch der Wanderzirkus in Tim Burtons wunderschönem BIG FISH (2003) ist repräsentativ für das Eintauchen ins Reich der Fantasie.
Aber diese Welt erfreute sich nicht nur bei leichtfüßigen Komödien, Dramen und Phantasiestoffen großer Beliebtheit, auch der Thriller und speziell der Horrorfilm fand im Zirkusmilieu einen dankbaren Tummelplatz. Was nicht verwundert, gilt es doch als zwielichtige Halbwelt, in denen nicht selten gestrandete Existenzen ein Zuhause fanden – so zumindest lautet ein beliebtes Vorurteil. Der 1967 entstandene englische Thriller BERSERK! („Zirkus des Todes“) mit Joan Crawford ist ein solches Beispiel für einen Zirkus-Krimi.
House of 1000 corpses
Besonders den Clowns, die ja eigentlich zur Belustigung der Kinderschar auftreten, haftet jedoch auch etwas enorm Unheimliches an, was wohl daran liegt, das man unter dem starren, verzerrenden Make-Up die wahren Gesichtszüge und Emotionen nicht erkennen kann – ein Umstand, den sich u.a. der Bestseller-Autor Stephen King in seinem Horror-Mammutwerk IT („Es“) zunutze machte, das – mehr oder weniger gelungen – mit Tim Curry als Clown „Pennywise“ verfilmt wurde. Einen psychopatischen Clown gab auch Sid Haig in Rob Zombies HOUSE OF 1000 CORPSES (2003) und der Fortsetzung THE DEVIL’S REJECTS Weitere Beispiele für Horror-Clowns sind die MASTERS OF HORROR-Episode WE ALL SCREAM FOR ICE CREAM, CLOWNHOUSE (USA, 1988), KILLER KLOWNS FROM OUTER SPACE (USA, 1988), CLOWN AT MIDNIGHT (Kanada, 1998), CAMP BLOOD (USA, 1999), DRIVE-THRU (USA, 2007), 100 TEARS (USA, 2007) oder AMUSEMENT (USA, 2008).
Erwähnen muss man natürlich unbedingt auch Tod Brownings großartigen FREAKS (USA, 1932), einem unerreichten Meisterwerk, in dem die eher amerikanische Tradition der Show von menschlichen Kuriositäten mit dem Zirkusmotiv verknüpft wird. UNKNOWN-Regisseur Browning hat mit seinem lange umstrittenen Klassiker ein Plädoyer gegen Ausgrenzung und Intoleranz geschaffen und rief durch (für damalige Verhältnisse) drastisch dargestellte Szenen die Zensurinstanzen auf den Plan.
Freaks
Einer der wohl besten Horrorfilme, die im Zirkusmilieu angesiedelt sind, ist der verstörend surreale SANTA SANGRE von Alejandro Jodorowsky, der auch für EL TOPO und MONTANA SACRA verantwortlich zeichnet.
Santa Sangre



Der erste Film unserer an Attraktionen reichen BALI-Doppelvorführung im Wonnemonat Mai ist ein wüster und grellbunter Vampir-Gruselstreifen aus der berühmt-berüchtigten englischen HAMMER-Filmschmiede. Inszeniert wurde er im Jahr 1972 von Robert Young, als man in den eher klassisch und traditionell orientierten HAMMER-Studios anfing, mit dem Zeitgeist zu gehen, und vermehrt nackte Tatsachen und Blut in die vormals prüden und biederen Schauermärchen einfließen zu lassen. Mit dem vorliegenden Film, der einen mysteriösen Wanderzirkus zum Thema hat, waren die viktorianisch angestaubten Briten endgültig in den Niederungen des Grindhouse angelangt.
Der zweite Teil der Darbietung wird von einem funkelnagelneuen Prachtwerk von dem großen Álex de la Iglesia bestritten – einem Film, den man unmöglich in Worte fassen kann. De la Iglesia gelingt es bei dieser filmischen Dauerbefeuerung Motive des Zirkus- und Clownfilms mit einer wahnwitzigen Politsatire auf den spanischen Bürgerkrieg zu vermengen. Der Film ist komisch, tragisch, gewalttätig und künstlerisch, er spaltet die Meinungen von Zuschauer und Kritikern – wir vom BALI finden, er hat Potential zum Kult!


In diesem Sinne: Titten raus, Manege frei!
Kasper





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