Poliziotteschi-Nacht
am Freitag, den 06.11. um 23 Uhr im Kino Babylon der Pelmke
Als Poliziotteschi (Einzahl: Poliziottescho) bezeichnet man italienische
Polizei- und Gangsterfilme, die in den 70er Jahren große
Popularität genossen. Es ist durchaus legitim, sie als
konsequente Weiterentwicklung des Spaghettiwesterns zu bezeichnen —
der einsame Rächer hat hier sein Pferd mit dem Automobil
vertauscht, den Poncho mit der Schlaghose, den Dreitagebart mit dem
Schnäuzer. Ähnlich wie im Western stellt er den gnadenlosen
Vigilanten dar, der mit seinen Widersachern wenig zimperlich umgeht
und dabei die Grenzen der Gesetzgebung nach Gutdünken erweitert
oder durchbricht.
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Die Grundstimmung dieser Filme ist häufig pessimistisch,
misanthropisch und anti-liberalistisch — von Humanität keine
Spur! Die Handlungsweisen italienischer Bullen sind geprägt von
Nihilismus, einer stoischen Allein-gegen-Alle-Mentalität und
ausufernder Brutalität gegen kriminelle Elemente. Vergleiche mit
amerikanischen Filmen desselben Genres lassen sich kaum ziehen —
hier werden den bösen Buben ihre Rechte nicht vorgelesen, denn
sie haben keine. Es gibt direkt in die Schnauze!
Selbstverständlich sind diese Konzepte, nach heutigem Maßstab
beurteilt, alles andere als "politisch korrekt" und ethisch-moralisch
zumindest fragwürdig — aber, jo mei, die Filme machen halt Spaß...
Oftmals fungieren die italienischen Polizeifilme als Spiegelbild einer
korrupten und bis ins Mark verdorbenen Gesellschaft, deren Wurzel des
Übels der rechtschaffene Ordnungshüter nur mit roher Gewalt
herauszureißen vermag. Nicht selten werden Themenbereiche ins
Zentrum der Handlung gerückt, die für konventionelle
Kriminalfilme zu finster sind: Zwangsprostitution, Menschenhandel,
Kindermord. Einige Polizeifilme vereinen jedoch auch sämtliche
anderen italienischen Genres miteinander, wie Giallo, Komödie
und Mafiastory.
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Wie kann man sich unter historischen Gesichtspunkten diese Zuschauerakzeptanz
von reaktionärem Verhalten erklären?
Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre war Italien innenpolitisch stark
zerrüttet. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung Ende der 60er
Jahre kam es zur Rezession, wodurch die Arbeitslosigkeit stieg und
vor allem in den Städten die Kriminalität immer stärker
Fuß fassen konnte. Doch der Druck auf den Staat kam nicht nur
von Innen und Außen, sondern obendrein von Links, denn die
Terrorgruppe der Roten Brigaden verübten über 1000
Anschläge mit 150 Toten, und als Höhepunkt ermordeten sie
1978 den ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro. Unter all
diesen Eindrücken wünschte sich die Bevölkerung wieder
Recht und Ordnung in Bella Italia. Und wo der Staat versagte,
schafften die Helden der Leinwand Kompensation — in Form
knallharter Polizisten, die nicht lange fackelten, sondern
zuschlugen.
Als einer der Ursprünge des Genres kann der 1972 entstandene DAS SYNDIKAT
von Stefano Vanzina (Steno) genannt werden. Beeinflusst durch die
DIRTY HARRY-Filme aus den USA bildete sich bald eine rüdere
Variante des Polizisten heraus, die ein schnauzbärtiges Gesicht
in Form von Maurizio Merli verliehen bekam. Dieser in Italien sehr
beliebte Darsteller spielte den gnadenlosen Kommissar Ferro (=Eisen!)
in zahlreichen Poliziotteschi, vor allem unter der Regie von Umberto
Lenzi, der später durch seine Kannibalenschocker
berühmt-berüchtigt wurde.
Merli war das personifizierte Druckventil des kleinen Mannes, der leibhaftige
Katalysator des machtlosen Pöbels. Obwohl speziell den
Machwerken Merlis und Lenzis oftmals rechtes und reaktionäres
Gedankengut vorgeworfen wurde, waren es gerade diese Filme, die
häufig konservative Machtstrukturen anprangerten. Der
intelligente und aufgeklärte Freund italienischer Genre-Kost
wird sich davon aber kaum beeinflussen lassen, denn die comichafte
Überzeichnung der dargestellten Gewalt unterhält auch (und
vor allem!) ohne politischen Diskurs.
Weitere Ikonen des Polizeifilms waren der unvergleichliche Franco Nero (z.B.
in DIE KLETTE von Romolo Guerrieri oder TAG DER COBRA von Enzo G.
Castellari), der eisengesichtige Henry Silva (DER TEUFEL FÜHRT
REGIE von Fernando di Leo oder DER BERSERKER von Lenzi) oder der
beliebte und sehr talentierte Tomas Milian (DIE KRÖTE, DIE VIPER
oder DER VERNICHTER, allesamt von Lenzi).
Der Filmclub BALI präsentiert Ihnen im kommenden Doppelprogramm zwei
archetypische Vertreter des Genres.
Der erste Film stammt von Umberto Lenzi, wurde im Jahr 1976 produziert und
führt in den Hauptrollen Maurizio Merli als unbarmherzigen
Commissario Betti. In weiteren Rollen sehen Sie John Saxon (u.a.
ASPHALTKANNIBALEN) und Barry Sullivan.
Vielleicht ist dieser Vertreter seiner Zunft nicht der beste Poliziottescho, aber
der Film gibt Gas als gäbe es kein Morgen! Gepflegte
Unterhaltung ist garantiert.
Review von Carsten Henkelmann auf senseofview.de
http://www.senseofview.de/review/590
http://www.senseofview.de/review/590
Der zweite Beitrag zum Genre wurde von dem sehr fähigen Action-Regisseur
Enzo G. Castellari im Jahr 1973 inszeniert und gilt als einer der
rasantesten und besten Polizeifilme aller Zeiten. Erleben Sie in den
Hauptrollen Franco Nero als komplett durchdrehenden Gesetzeshüter
und Fernando Rey als seinen Gegenspieler in einem temporeichen und
spannungsgeladenen Leinwandereignis!
Review von McKenzie auf ofdb.de
http://www.ofdb.de/review/33659,247946,Tote-Zeugen-singen-nicht
http://www.ofdb.de/review/33659,247946,Tote-Zeugen-singen-nicht
Poliziotteschi-Artikel von Christian Kessler
http://www.christiankessler.de/polizeizwei.html
http://www.christiankessler.de/polizeizwei.html
Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein
filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken,
sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.