Filmclub Bali
   
 

DAS WAISENHAUS

(„El Orfanato", Spanien 2007) R: Juan Antonio Bayona

Die 37jährige Laura (Belén Rueda) kauft zusammen mit ihrem Ehemann Carlos (Fernando Cayo) das leerstehende alte Waisenhaus, in dem sie einen Großteil ihrer Kindheit verbracht hat. Künftig soll es behinderten Kindern als neue Heimat dienen. Der kleine Sohn des Paares, Simón (Roger Príncep), ahnt nicht, daß er selber adoptiert ist und außerdem an einer angeborenen lebensbedrohlichen Krankheit leidet.
Simón ist ein Junge mit lebhafter Phantasie, der sich aufgrund seiner Einsamkeit zwei imaginäre Spielkameraden erfunden hat, was seinen Zieheltern Sorge bereitet. Kurz darauf gesellen sich aber sechs weitere unsichtbare Freunde hinzu, die ein beunruhigendes Eigenleben entwickeln. Mit deren scheinbarer Hilfe stößt Simón auf die Wahrheit seiner Herkunft und seiner Erkrankung, was zu einem Konflikt mit Laura und Carlos führt. Die Situation spitzt sich zu, als Laura ihn während der Eröffnungsfeier des Hauses im Affekt ohrfeigt und der Junge fortläuft. Seitdem ist Simón verschollen und die Eltern starten eine verzweifelte, sechs Monate andauernde Suchaktion. Zumindest Laura ist sich sicher, daß ihr Adoptivsohn noch lebt – und im Haus von seinen „Freunden" festgehalten wird…
Das Waisenhaus
Ich rutsche immer noch auf den Knien herum in Anbetung dieses schier unglaublichen Films.
In Zeiten des exzessiven Splatter- und Folterfilms, dem kein Tabu mehr fremd ist und der gerade dadurch immer langweiliger und stumpfsinniger wird, verlässt der spanische Regie-Debütant Juan Antonio Bayona sich gänzlich auf die bewährten Zutaten des klassischen Grusel- und Spukhaus-Kinos. Von der ersten Einstellung an baut der Film eine Atmosphäre auf, die ihresgleichen sucht. Bereits die Bilder, die über den Vorspann gelegt sind (Kinderhände, die alte Tapeten von den Wänden reißen und darunterliegende blutrote neue Tapeten freilegen), lassen erahnen, daß in dem titelgebenden Haus etwas Altes und Hässliches im Gemäuer gärt. Der Film beginnt ruhig und verhalten, lässt sich Zeit für die sorgfältige Entwicklung der Charaktere, zieht jedoch im Verlauf der etwa 100minütigen Handlung die Schraube erbarmungslos an, bis man es kaum noch aushält. Der langsame Erzählstil wirkt keine Sekunde langweilig, wozu auch die hervorragende Kameraführung und Bildgestaltung beiträgt. Der Zuschauer wird förmlich eingesogen von den Ereignissen und folgt seiner Protagonistin immer tiefer in die aufklaffenden Abgründe – des Hauses und der eigenen Psyche.
Die im Zentrum der Geschichte stehende Laura wird von der wunderbaren Belén Rueda ganz fabelhaft dargestellt. Im Verlauf der Narration werden wir Zeuge ihres psychischen und physischen Verfalls, wobei man sich stets fragt (vor allem, wenn man die Seiten der „rationalen" Filmfiguren, wie ihrem Mann und einer Polizeipsychologin, einnimmt), ob eventuell alle Ereignisse nur ein Produkt ihrer zerrütteten Psyche sind.
Zuviel will ich hier aber nicht mehr verraten und zerreden. Der Film wimmelt von Reminiszenzen an ähnliche Geschichten, vor allem THE SHINING, THE OTHERS, LANDHAUS DER TOTEN SEELEN, eine Prise POLTERGEIST und (immer wieder) PROFONDO ROSSO, aber nie wirkt irgendetwas plump geklaut. Das Drehbuch ist wie ein Lehrstück in Sachen perfekter Dramaturgie, die Musik unterstützt das Geschehen auf stimmungsvolle Weise.
Produziert wurde der Film von Guillermo del Toro, der (zu Recht!) vom Drehbuch so begeistert war, daß er sofort alle Hebel in Bewegung setzte, um den Film zu realisieren. Das Endprodukt wurde dann auch, zunächst in Spanien und schließlich in der restlichen Welt, mit Preisen überhäuft.
Anschauen ist Pflicht!
Ein Film, der restlos alles richtig macht. Schlicht und ergreifend: perfekt.
- Pelle -





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