Filmclub Bali
   
 

TERRIFYING GIRLS HIGH SCHOOL: LYNCH LAW CLASSROOM

("Kyôfu joshikôkô: Bôkô rinchi kyôshitsu", Japan 1973) R: Norifumi Suzuki

Drei jugendliche Delinquentinnen werden in eine repressive Reformschule für kriminelle Straftäterinnen eingeliefert. Als die neuen Schülerinnen merken, daß in der Anstalt Gewalt, Unterdrückung und Korruption regieren, organisieren sie einen sorgsam geplanten Aufstand. Das System wird mit den eigenen Waffen bekämpft...
TERRIFYING GIRLS HIGH SCHOOL
Der Film hält sich nicht lange mit unnötigem Beiwerk auf: Bereits in der allerersten Einstellung wird ein Mädel in Schuluniform von vier Mitschülerinnen malträtiert. Man reißt ihr die Bluse runter und schlitzt ihr mit einem Skalpell die Brust auf, dann werden ihr eine hohle Nadel samt Schlauch in die Vene eingeführt und das Blut in einen Erlemeier-Kolben abgezapft. Die Peinigerinnen tragen rote Gummihandschuhe und ebensolche Mundschütze. Mit emotionsloser Stimme verkündet die Rädelsführerin, die eine Armbinde mit der Aufschrift "Disziplin!" trägt: "Wusstest du, daß Menschen sterben, wenn sie ein Drittel ihres Blutes verlieren? Oder hast du im Biologieunterricht nicht aufgepasst?" Unaufhaltsam füllt sich der Kolben mit dem grellroten Lebenssaft. Zynischerweise wird die Quälerei mit braven Szenen aus dem Schulalltag parallel montiert: in Reih und Glied sitzende Schülerinnen lauschen dem Geschichtsunterricht oder spielen Tennis im Hof.
Die Gepeinigte schafft es jedoch, sich loszureißen und entkommt aufs Dach der Schule, wo sie in die Ecke gedrängt und nach verzweifeltem Kampf von der Kante gestoßen wird. Während der Vorspann abläuft und andere Schülerinnen den riesigen Blutfleck auf dem Schulhof mit Sand bedecken, salbadert eine vor heuchlerischer Schmiertunke triefende Männerstimme von der "School of Hope for Girls", wo aus asozialen Delinquentinnen gute Ehefrauen und Mütter gemacht werden...
Willkommen in der grausamen Welt des japanischen "Pinky Violence"-Films der 70er Jahre, speziell in einem Film von Norifumi Suzuki.
Nach dieser gnadenlosen Exposition werden zunächst die Protagonistinnen eingeführt. Noriko Kazami (Miki Sugimoto) versucht am helllichten Tag auf einem öffentlichen Parkplatz ein Auto zu klauen und wird erwischt. Razor-Blade Remi Kitano (Misuzu Oota) rempelt sich durch Shinjuku, legt sich mit ein paar Studenten-Lümmeln an und schlitzt ihnen die Visagen mit ihrem Tapetenmesser auf. Kyoko Kobo (Seiko Saburi) fährt per Anhalterin, schüttelt dem LKW-Fahrer bei voller Fahrt einen von der Palme und verursacht dadurch einen schweren Unfall, bei dem obendrein ein Polizist plattgefahren wird. Für diese effektive Einführung benötigt Suzuki gerade mal 3 Minuten, und schon sind wir wieder in der Reformschule, wo die drei schweren Girlies eben von den Bullen abgeliefert werden. Dort versuchen die Mitglieder des besagten Schülerinnen-Disziplinarausschusses die drei Neuangekommenen zunächst mit den schulinternen Gepflogenheiten vertraut zu machen: Pöbeleien, Übergriffe beim Duschen und eine "Sexschau", wo per Taschenlampe zwischen den gewaltsam gespreizten Beinen nachgeschaut wird, ob sich der Eifer denn auch lohnt. Die sadistischen Mädels merken jedoch rasch, daß mit den Neuzugängen nicht gut Pflaumen essen ist – es hagelt Arschtritte und Nasenstüber. Gleichzeitig erfährt der staunende Zuschauer, wes Geistes Kind bei der Führungselite der Schule herrscht: Korruption und Intrigen an allen Fronten. Der Direktor ist ein seniler Lüstling, der Vizedirektor schmiert Polizei und Politiker, damit sie ihn gewähren lassen (und hegt nebenbei Pläne, gemeinsam mit einer ihm sexuell hörigen Lehrerin die Herrschaft der Schule an sich zu reißen, wobei er gleichzeitig eine Affäre mit der "Disziplin"-Domina unterhält). Die Yakuza hat natürlich auch noch ihre dreckigen Finger im Spiel.
Bald merken die drei neuen Girls, welch ein fauliger Wind in der "School of Hope" weht und tun sich zusammen, um die Verantwortlichen zu stürzen. Dabei sind ihnen alle Mittel (von Sex über Erpressung bis Gewalt) recht...
Was folgt, deckt die gesamte Bandbreite des Frauengefängnisfilms vollends ab: Duschszenen, viel nackte Haut, Lesbensex, Vergewaltigungen, Catfights, Motorradrennen, misogyne Erniedrigungen und sadistische Folterungen. Suzuki geht dabei mit einer Selbstverständlichkeit und Radikalität zuwerke, die einen Jess Franco zum Betbruder degradiert. Wie stets beim Anarchisten Suzuki spielen Attacken auf die Machthabenden eine große Rolle: Die Verantwortlichkeit des bösen Treibens ist keineswegs bei den Täterinnen zu suchen, sondern beim System – bei Politik, Kirche und den staatlichen Instanzen. Als dann am Ende alles in Rauch aufgeht, verwundert es auch nicht, wenn wir als eines der letzten Bilder eine brennende japanische Flagge sehen.
Bei aller hintergründigen Systemkritik haben wir es hier dennoch mit einem waschechten Exploitationfilm zu tun: Das Hauptaugenmerk liegt auf Sex und Gewalt. Der in diesen Filmen übliche alberne und überdrehte Humor typisch japanischer Prägung fehlt hier fast gänzlich; TGH ist – bis auf wenige Ausnahmen – von beinahe schmerzhafter Ernsthaftigkeit gekennzeichnet. Wäre das Gezeigte nicht derart grotesk übersteigert, könnte er als Diskurs über die Mechanismen von Repression und Gegengewalt durchgehen – aber dafür drückt Suzuki viel zu lustvoll auf die Sleaze-Tube.
Was den Film ebenfalls von seinen europäischen Entsprechungen unterscheidet, ist die optische Brillanz. Hier ist ein waschechter Filmemacher am Werk, dessen mitunter experimentelle Kameraführung das Gezeigte in knallbunte Bonbonfarben taucht und wilde Schnittfolgen abfeuert.
Die SchauspielerInnen, alles durchweg bekannte Gesichter japanischer Exploitationware der Zeit, präsentieren sich in Höchstform. Vor allem die sonst oft recht hölzern agierende Miki Sugimoto (u.a. zu sehen in dem ultraderben ZERO WOMAN: RED HANDCUUFS [dt.: "Der Tiger von Osaka"]) wurde hier von Suzuki zu Glanzleistungen angestachelt. Die hübsche Reiko Ike, die erst in der zweiten Hälfte des Films als motorradfahrende gegnerische Gangleaderin auftaucht, ist ansehnlich wie eh und je.
Das Genre des "Pinky Vilolence"-Films erlebte seine Blütezeit Anfang bis Mitte der 70er Jahre und umfasste Hunderte von Filmen. Die Aushängeschilder unter den Regisseuren waren Teruo Ishii (u.a. FEMALE YAKUZA TALE: INQUISITION & TORTURE) und Norifumi Suzuki (der unter Fans allenfalls durch seinen genialen SEX & FURY bekannt wurde). Es ist eine bodenlose Schande, daß von Suzukis 53 großartigen Filmen in Deutschland lediglich das – nicht ganz so gute – Spätwerk BEAUTIFUL GIRL HUNTER (dt.: "Exzesse im Folterkeller") veröffentlicht wurden, das dann auch umgehend indiziert und beschlagnahmt wurde.
Neben seiner respektlosen Kritik am (japanischen) Staat und überhaupt an totalitären Gesellschaftsstrukturen und institutionellen Autoritäten, attackierte Suzuki vor allem gern die Kirche und die christliche Religion. In dieser Hinsicht feierte er blasphemische Hochzeit mit seinem Meisterwerk SCHOOL OF THE HOLY BEAST, das ich zu einem späteren Zeitpunkt besprechen werde.
Die DVD ist Teil einer wundervoll gestalteten Box namens "The Pinky Violence Collection" (in kreischendem rosa Plastik! Abwaschbar!) vom US-Label Panic House, die außerdem noch vier weitere Disks beinhaltet: die Standardwerke DELINQUENT GILR BOSS: WORTHLESS TO CONFESS und GIRL BOSS GUERILLA, beide von Suzuki, sowie CRIMINAL WOMAN: KILLING MELODY von Atsushi Mihori. Zusätzlich gibt es eine Audio-CD namens REIKO IKE SINGS mit 70er Nippon-Pop. Das Gesamtpaket wird abgerundet von einem toll layouteten Booklet mit Texten des Japan-Filmgelehrten Chis D. (Autor von OUTLAW MASTERS OF JAPANESE FILM), der auch die hervorragenden und informativen Audiokommentare zu den Filmen eingesprochen hat.
Das Teil ist mittlerweile sehr teuer – die Anschaffung ist aber jeden lumpigen Cent wert.
- Pelle -





Die auf dieser Netzpräsenz veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein filmjournalistische Bedeutung. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken, sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation.
Der Filmclub Bali ist eine rein private, nicht kommerzielle Interessengemeinschaft, die ausschließlich geschlossene Veranstaltungen für Clubmitglieder organisiert. Der Clubvorstand selbst arbeitet ehrenamtlich. Mitgliedsausweise erhält man im Kulturzentrum Pelmke, im Café, direkt vor Ort am Abend der Vorführung oder vom Clubvorstand. Die monatlich zu entrichtende Clubgebühr dient nur zur Finanzierung von Sonderaktionen oder speziellen Angeboten. Der Clubbeitrag ist bis spätestens 21 Uhr zu entrichten, danach ist geschlossene Gesellschaft. Die Vorstellungen des Filmclubs Bali sind geschlossene Veranstaltungen privater Natur und stehen in keinem Zusammenhang mit der Programmgestaltung des Kinos Babylon. Die Vorstellungen finden einmal im Monat, vornehmlich an Freitagen, ab 20:30 Uhr, statt.
Impressum Haftungsausschluss Datenschutz