Filmclub Bali
   
 

SEINE KUGELN PFEIFEN DAS TODESLIED

("Il Pistolero dell' Ave Maria", Italien/Spanien 1969) R: Ferdinando Baldi

Ein Fremder (Peter Martell = Pietro Martellanza) reitet durch eine unwirtliche Wüstengegend, wachsam beäugt von fiesen, waffenstarrenden Mexikanern. Offensichtlich pfeift er aus dem letzten Loch: kraftlos hängt er im Sattel, vom Durst ausgelaugt, von der Sonne verbrannt. Als es jedoch zur Konfrontation kommt, zeigt der Fremde, aus welchem Holz er geschnitzt ist – fünfmal donnert der Revolver und fünf Mexikaner fressen Staub. Den Sechsten lässt er laufen, nicht ohne ihm eine Botschaft mit auf den Weg zu geben: Schöne Grüße an die Herrin, was eine gemeine Mörderin sei.
Kurz darauf findet der Fremde, der auf den Namen Raphael hört, Unterschlupf auf einer kargen Farm, die vom jungen Sebastian (Leonard Mann = Leonardo Manzella) allein bewirtschaftet wird. Anhand eines Kleidungsstücks erkennt Raphael seinen Gastgeber und wir erfahren, dass sie ein gemeinsames Schicksal verbindet. Eine opulente Rückblende verrät uns die Wahrheit über die beiden: Sie kennen sich schon seit früher Kindheit und spielten als Jungs miteinander, die Dritte im Bunde war Sebastians Schwester Isabella (Pilar Velásquez), zu der Raphael bereits im Knabenalter liebevolle Bande knüpfte. Auf der heimischen Hazienda wird ein rauschendes Fest gegeben, denn man erwartet die Ankunft des Hausherren und Familienoberhauptes, dem General Carrasco (José Suárez), der im Krieg gegen die Franzosen gekämpft hat. Sebastians und Isabellas Mutter Anna (Luciana Paluzzi) birgt jedoch blutrünstige Pläne unter dem Busen: mit Beihilfe ihres Liebhabers Tomás (Alberto de Mendoza) will sie den unerwünschten Gatten loswerden. Tomás erdolcht den Patriarchen hinterrücks, Anna gibt ihm mit dem Colt den Rest – dummerweise hat Isabella jedoch die Bluttat heimlich beobachtet. Um sie zum Schweigen zu bringen und von ihrem lästigen Lover Raphael zu trennen, wird sie mit dem Krämer Juanito (Luciano Rossi) zwangsverheiratet und fristet auf dem Anwesen das Dasein einer besseren Magd. Der kleine Sebastian ist nach den Ereignissen mit seiner Amme (Silvana Bacci) nach Texas geflohen.
Nach dieser Offenbarung braucht es nicht viele Überredungskünste, um Sebastian für den geplanten Rachefeldzug zu gewinnen. Die mannstolle Anna hat jedoch seit langem ein Auge auf den schmucken Raphael gelegt und versucht mit Hilfe ihrer mexikanischen Schergen, allen voran der schmierige Schurke Francisco (Piero Lulli), seiner habhaft zu werden. Gemeinsam machen sich die Gefährten auf den Weg in die alte Heimat, gehetzt von einer Todesschwadron mexikanischer Mordbuben...
Seine Kugeln pfeifen das Todeslied
Wie auch schon bei Castellaris DJANGO – DIE TOTENGRÄBER WARTEN SCHON (Shakespeares Drama "Hamlet"), Puccinis GLUT DER SONNE ("Romeo und Julia") und Bazzonis MIT DJANGO KAM DER TOD (Prosper Merimees Novelle"Carmen") bedient sich hier erneut ein Italowestern an klassischen Stoffen der Weltliteratur – im vorliegenden Fall wurde die griechische Tragödie "Orestie" des Aischylos verbraten. Im Gegensatz zu den drei erstgenannten Filmen, bei denen das Ergebnis etwas bemüht und unbeholfen daherkommt, funktioniert die Umsetzung der Vorlage bei SEINE KUGELN PFEIFEN DAS TODESLIED aber prächtig. Es ist die zeitlose Geschichte des ruhmreichen Feldherren Agamemnon, der aus siegreicher Schlacht (Troja) heimkehrt, sich nach den liebenden Armen seiner treuen Ehefrau (Klytämnestra) sehnt, jedoch auf Verrat und heimtückischen Meuchelmord durch ihren Lover (Aigisthos) trifft. Seine Kinder (Orest und Elektra) werden des heimischen Hofes verwiesen und sinnen auf Rache.
Ein Stoff, der sich problemlos und elegant vom antiken Griechenland in die staubigen Gefilde Mexikos transponieren lässt, was Regisseur Ferdinando Baldi bravourös gelingt. Der Film legt von der Expositionsszene bis zum fulminanten Showdown in der Hazienda ein angenehm flottes Erzähltempo vor – es gibt kaum Verschnaufpausen, das vorzüglich ausgefeilte Drehbuch verzichtet gänzlich auf Füllszenen und verleiht jedem Moment eine narrative Bedeutung.
Die anfangs etwas nebulöse Handlung wird durch die geschickt eingefügte Rückblende perfekt aufgelöst und belegt jeden der Charaktere mit seiner ureigenen, fest determinierten Bestimmung. Sebastian folgt mit einer Mischung aus eiskalter Berechnung und brennender Leidenschaft seinem Racheziel, während Raphael von seiner unsterblichen und verzehrenden Liebe zu Isabella angetrieben wird. Daraus entspinnt sich eine klassisch konstruierte Familientragödie, die mit Intrigen, gefährlichen Gelüsten und ungestillten Sehnsüchten gespickt ist und im Verlauf der Handlung immer wieder mit Plottwists und überraschenden Wendungen auftrumpft. Einige schön gefilmte Pistolenduelle werden serviert (bei denen man sich etwas mehr Härte gewünscht hätte), es gibt Faustkämpfe und Remmidemmi im Saloon, eine kleine Folterung am Rande, attraktive Frauen und alles Weitere, was eine zünftige Pferdeoper verlangt.
Am besten wird der Film immer dann, wenn er die dunklen, trostlosen Winkel in den intriganten Familienbeziehungen des Hauses Carrasco ausleuchtet, in deren Schatten sich niederträchtige menschliche Gefühle suhlen – Hass, Eifersucht, Schuldkomplexe und Lieblosigkeit regieren. Es verwundert daher nicht, dass Anna mit ihrem Mittäter und Lover Tomás ihre unersättliche Lebensgier nicht lange stillen kann und sich rasch neuen, kurzlebigen Liebschaften zuwendet. ("Du bist für mich nichts weiter als ein Verwalter", wirft sie ihm eiskalt an den gehörnten Kopf.)
Das Finale durchweht dann sogar noch eine Prise apokalyptischen Gothic-Horrors, wenn die Hazienda ein Fraß der Flammen wird, wie einst das verfluchte Haus derer von Usher.
Beim Ensemble herrscht gehobenes Niveau, alle leisten herausragende Arbeit: Leonard Mann (DIE KILLER-MEUTE) glänzt in seiner vielleicht besten Rolle, auch wenn er weitgehend emotionslos spielt, was seinem Charakter aber angemessen erscheint. Peter Martell (DIE BANDITEN VON MAILAND) überzeugt rundum als unglücklicher Liebeskranker – hervorzuheben ist die wunderbare Szene im Saloon, als er eine leichte Dame abweist und sich mit Tequila die Kante gibt, während die liebreizende Barbara Nelli im Hintergrund das ansehnliche Tanzbein schwingt. Piero Lulli (TÖTE, DJANGO) ist stets eine Bank, auch hier gibt er den herrlich ekligen Banditen Francisco mit Hingabe. Meine Lieblingsszene mit ihm ist eine "Folterung", als er dem Delinquenten, einem alten Mann auf einem Friedhof, Informationen entlockt indem er ihm androht, seine Brille zu zerbrechen! Luciana Paluzzi (TRAGIC CEREMONY) ist eine sündige Augenweide und verkörpert die kalt berechnende Männerfresserin auf rundum gelungene Weise. Wunderschön anzuschauen ist auch die Spanierin Pilar Velásquez in der Rolle der Isabella.
Der tolle Luciano Rossi (SCHÖN, NACKT UND LIEBESTOLL) bleibt leider ungewohnt blass, aber mehr gab seine Figur wohl leider nicht her. Gleiches gilt für Alberto de Mendoza (DER KILLER VON WIEN), der aber zumindest den abgelegten Stecher ansprechend rüberbringt. In Nebenrollen sehen wir Mirella Pamphili (LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG) als mexikanische Dirne, die Sebastian das Badewasser heiß macht ("Wenn Sie den Wunsch haben, abgerubbelt zu werden, rufen Sie nach mir. Ich komme auch nachts vorbei."), sowie José Manuel Martin und Franco Pesce, die jedoch nur Kurzauftritte absolvieren.
Die ideenreiche Kameraführung und der dynamische Schnitt sind hervorragend, auch wenn natürlich an keiner Stelle die Meisterschaft eines Sergio Leone erreicht wird. Eine güldene Krone gebührt jedoch dem wunderbaren Score von Roberto Pregadio, einem der besten Musikstücke des Italowesterns neben den Arbeiten von Morricone. Das eingängige Titelthema entzückt mit Gitarren, Streichern, Oboen- und Klarinetteneinsatz, akzentuiert mit Gänsehaut erzeugenden Pfeifer-Passagen und unheilvollen Kirchenglocken. Ich konnte mich gar nicht satt daran hören!
Schlusswort: Ein unverdienterweise wenig bekannter, ausgezeichneter Vertreter seiner Zunft und – meiner bescheidenen Meinung nach – der beste Western von Ferdinando Baldi. Sein schräger BLINDMAN gefällt mir zwar fast ebenso gut, aber der lässt sich eh mit nichts anderem vergleichen...
- Pelle -





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