Filmclub Bali
   
 

INSIDE

("À l´Intérieur", Frankreich 2007) R:Alexandre Bustillo und Julien Maury

Vier Monate nach einem traumatischen Verkehrsunfall, bei dem die Fotografin Sarah (Alysson Paradis) ihren Ehemann verloren hat, steht sie kurz vor der Entbindung des gemeinsamen Kindes. Den letzten Abend, bevor sie sich ins Krankenhaus begeben will, verbringt sie allein in ihrem Haus, um die schmerzhaften Erinnerungen zu verarbeiten. Es wird deutlich, daß sie den Verlust noch nicht überwunden hat und der bevorstehenden Mutterschaft zwiespältig gegenübersteht. Wenig später klingelt es an der Tür und eine unbekannte Frau (Béatrice Dalle) bedroht sie. Sarah alarmiert die Polizei, bei deren Eintreffen ist die schwarzgekleidete Unbekannte aber bereits verschwunden. Sarah geht zu Bett, unwissend, daß die Frau bereits im Haus ist. Und mit sich führt sie eine große, scharfe Schere – denn ihr Trachten gilt nicht Geld und Wertsachen, sondern dem ungeborenen Leben in Sarahs Leib. Eine Nacht des Grauens beginnt...
Inside
Nachdem der Abspann schon lange abgerollt war und ich es endlich geschafft hatte, mich mit weichen Knien aus dem Sessel zu erheben, musste ich erst mal auf die Dachterrasse hinaus und tief durchatmen. Ich dachte sogar kurzfristig daran, wieder mit dem Rauchen von beruhigenden pflanzlichen Substanzen anzufangen. Es blieb dann aber bei einem – zugegeben rasch getrunkenen – doppelten Whisky.
Was das französische Regie-Duett Alexandre Bustillo und Julien Maury hier mit ihrem Debüt À L´INTÉRIEUR abliefert, ist ein filmischer Tritt in die Weichteile, der seinesgleichen sucht. Diese beiden jungen Talente haben eine erbarmungslose Nachtmeerfahrt in die schwärzesten Abgründe der Seele inszeniert, die Vergleiche mit herkömmlichen Splatter-Ergüssen ad absurdum führt. Der Film setzt in den Disziplinen Nervenkitzel, Hochspannung und schierem, klaustrophobischem Terror neue Maßstäbe, die so bald niemand erreichen wird.
Allzu viel sollte an dieser Stelle nicht verquatscht werden – man muss diese Tortur selber miterleben und am Besten so wenig wie möglich wissen, was einen erwartet. Nur soviel: Die dargereichte Gewaltdarstellung ist exzessiv und geht bis an die Grenzen des Erträglichen. Dem ein oder anderen mag das sogar zuviel des Guten sein. Werdenden Müttern (und auch Vätern) sei vom "Genuss" dringend abgeraten!
Auf technischer Ebene wurde hier alles perfekt gelöst. Das Drehbuch ist ein Paradebeispiel an Reduktion; kein überflüssiger Schnörkel entstellt die straff und effizient erzählte Handlung. Kameraführung und Schnittmontage sind wie aus dem Filmlehrbuch, jede Einstellung ist ein Meisterwerk an Ästhetik. Giftig-gelbstichige Farben dominieren das Bild, geschickt wird mit Licht und Schatten jongliert.
Die Charakterisierung der Figuren ist in schlichten, aber effektiven Pinselstrichen gezeichnet – aber obwohl es nahe liegt, hat man es hier keineswegs mit einfältiger Schwarz-Weiß-Malerei zu tun.
Die Erzählform ist einzigartig in ihrer Stringenz, und obwohl die simplen Strukturen des Slasher-Films herangezogen werden, wäre es zu einäugig, INSIDE als solchen zu bezeichnen. Parallelen zu HALLOWEEN sind aufgrund des Sujets zwar auszumachen, man erkennt jedoch auch Verwandtschaft zum Psycho-Folterspiel AUDITION.
Und das Ende zieht dem gebeutelten Zuschauer, der diese an Intensität nicht zu überbietenden 80 Minuten überstanden hat, restlos die Schuhe samt Socken aus – ach was, es hobelt noch die Haut dazu mit herunter. Fassungslos bleibt man mit Magendrücken im Eisregen stehen. Ein Höllentrip, eine Knochenmühle, rien ne va plus.
Ein paar Worte auch zur Schauspielerriege: Selbst die kleinsten Nebenrollen sind perfekt besetzt, sogar Kurzauftritte werden von echten Charakteren mit Leben ausgefüllt. Sarahs Mutter wird von der großen französischen Aktrice Nathalie Roussel gespielt, ihr Verleger wird von François-Régis Marchasson gegeben, den man schon öfters bei "Maigret" sah. Beide ereilt ein drastisches Ende.
Als geradezu unfassbar sind aber die Darstellungskünste der beiden Protagonistinnen Alysson Paradis und Béatrice Dalle zu bewerten. Es sind die feinen, subtilen Gesten und das minimalistische Minenspiel, das Paradis´Rolle zu Beginn des Films auszeichnet, was sich später in ein Wechselbad überkochender Emotionen steigert. Selten habe ich nackte Angst, Verzweifelung und Schmerz intensiver erleben dürfen/müssen. Die göttliche Béatrice Dalle (BETTY BLUE) legt hier ein Meisterstück aufs Parkett, das geradezu beängstigend ist – ihre dämonische Präsenz verbrennt die Leinwand. Sie gibt den gnadenlosen Todesengel mit verstörender Überzeugungskraft, was besonders grandios wirkt, wenn ihre Hülle für einige schreckliche Sekunden zusammenstürzt und sie ihre eigene Verletzlichkeit offenbart.
Von allen Franzosenterror-Streifen, mit denen wir bis jetzt malträtiert wurden, gefällt mir INSIDE am besten. Im Gegensatz zu MARTYRS verzichtet er dankenswerterweise auf den aufgesetzten pseudo-philosophischen, pseudo-intellektuellen Kleister, mit dem die bis dato recht plakative Handlung gegen Ende übergossen wird. Und er funktioniert um Längen besser, als der wenig mitreißende FRONTIERS, der nur durch seine blutigen Schauwerte überlebt. Er toppt meiner bescheidenen Ansicht nach auch HIGH TENSION, denn obwohl diese Granate mich beim ersten Anschauen wegblies, war der reichlich an den Haaren herbeigezerrte Schlussgag doch ein Dämpfer.
Die deutsche DVD-Veröffentlichung des Labels "Autobahn" wurde vehement gekürzt, später trotzdem indiziert und sogar beschlagnahmt. Ich habe auf die britische DVD aus dem Hause Momentum Pictures zurückgegriffen. Diese beinhaltet zusätzlich ein sehr gutes (vielleicht das beste, das ich je gesehen habe) Making-Of. Sich dieses Feature im Anschluss an den Hauptfilm anzuschauen, kann hilfreich dabei sein, den Schrecken zu verarbeiten - denn man merkt, wie viel Spaß alle Beteiligten bei den Dreharbeiten hatten.
- Pelle -





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