Filmclub Bali
   
 

THE HOUSE OF THE DEVIL

(USA 2009) R: Ti West

Da sie dringend Geld für ihre frisch angemietete Unterkunft benötigt, meldet sich die Studentin Samantha (Jocelin Donahue) auf ein Jobangebot als Babysitterin bei dem merkwürdigen Ehepaar Ulman (Tom Noonan und Mary Woronov). Bei ihrer Ankunft in deren Haus erfährt sie jedoch zu ihrem Unbehagen, daß sie anstelle eines Kleinkindes die alte, bettlägerige Mutter von Mr. Ulman hüten soll. Da ihr der Hausherr jedoch eine stolze Summe Geldes anbietet, willigt sie ein – zumal ihre Freundin Megan (Greta Gerwig) sie in vier Stunden wieder abholen will und sie die kranke Frau sowieso nicht zu Gesicht bekommen werde. Doch nachdem das Ehepaar gefahren ist, geschehen seltsame Dinge: polternde Geräusche und Schritte dringen vom Dachboden des düsteren Anwesens. Eine Nacht voller Schrecken nimmt ihren Lauf...
House of the Devil
THE HOUSE OF THE DEVIL ist eine tiefe Verbeugung vor den einschlägigen B-Horrorfilmen mit Haunted House-Einschlag der späten 70er und frühen 80er. Die Handlung spielt nicht nur irgendwann Anfang der 1980er Jahren, auch der konsequent durchgezogene optische Stil des Films weist einen entsprechenden, rundum überzeugenden Retro-Look auf. Diese Richtung wird bereits beim Vorspann deutlich, als das Bild unter einem fahlgelben Schriftzug einfriert, der das Titellogo trägt. Wüsste man nicht, daß der Film im Jahr 2009 produziert wurde, könnte man sich in einem typischen Genre-Vertreter dieser glorreichen Dekade wähnen. Auch die ruhige Form der Inszenierung, die besonders in den erste zwei Dritteln sehr behäbig zu Werke geht, zollt Vorbildern wie THE CHANGELING, LANDHAUS DER TOTEN SEELEN oder AMITYVILLE HORROR auf höchst authentische Weise Tribut. Andere Elemente lehnen sich an gewisse Slasher der Ära an, wie etwa WHEN A STRANGER CALLS. Konsequenterweise beginnen die Reminiszenzen bei den Klamotten, der Musik und den Accessoires und enden beim verwendeten Filmmaterial, das von 16- auf 35mm aufgeblasen wurde, und der Optik eine ordentliche Körnung und verwaschene Farben verleiht.
Es ist abzusehen, daß – vor allem ein junges und in derlei Sehgewohntheiten unerfahrenes – Publikum das Werk mit Urteilen wie "stinklangweilig" und "da passiert ja nix" abfertigen wird. Wobei eine durch hektische Schnittgewitter und Quäl-Filme abgestumpfte MTV-Generation mit dieser Einschätzung durchaus nicht ganz im Unrecht liegt – letztendlich passiert wirklich nicht viel bei THE HOUSE OF THE DEVIL, und vor allem passiert es seeeeehr langsam. Hiermit liegt endlich das filmische Äquivalent eines Funeral Doom-Songs vor. Ti Wests Inszenierung nimmt sich alle Zeit der Welt um seine Story und ihre Charaktere zu etablieren, und das schlichte aber wirkungsvolle Drehbuch legt weniger Wert auf das Erzählen einer komplexen Geschichte, als auf den sorgfältigen Aufbau von Atmosphäre. Der stark reduzierte Plot liefert nur das Nötigste und lässt der gemächlichen Narration Raum und Zeit zur Entfaltung einer bedrohlichen Grundstimmung.
Diese Stimmung wird nicht durch plakative Effekthascherei erzielt, sondern durch die subtilen Elemente des klassischen Suspense-Kinos: West wendet zum Beispiel den altbewährten Hitchcock-Kniff an, dem Zuschauer einen Wissensvorsprung zu erlauben – der Rezipient weiß immer etwas mehr um die Gefahr und Bedrohung, als der Protagonist. Durch diese simplen Mittel erzeugt er eine stetig anwachsende Fingernägelknabber-Spannung, die mitunter Nerven kostet. Andererseits wendet er auch den exakt entgegengesetzten Trick an: Wenn Samantha beispielsweise in einer Szene ein dunkles Zimmer betritt, verharrt die Kamera auf dem Flur vor der Tür und zwingt dadurch das Publikum in eine hilflose und unwissende Lage. Die perfekte Fusion schafft er in einer anderen Szene, wenn Samantha sich den Kopfhörer ihres Walkmans aufsetzt und der Zuschauer somit eines wachsamen Sinnesorgans beraubt wird.
Dadurch, daß die permanente Andeutung drohender Gefahr in der Luft liegt, aber niemals wirklich manifest wird, hält der Film den Betrachter mit eisernem Griff in ständiger Erwartungshaltung – man rechnet jede Sekunde mit den typischen Schockmomenten, mit der Katze, die aus einem Schrank springt oder der kalten Hand, die plötzlich unter dem Sofa hervorgreift und den Fußknöchel umfasst. Und die Tatsache, daß diese befreienden Schreckerfahrungen eben nicht geliefert werden, steigert paradoxerweise die Spannung ins Unerträgliche. Das verstörend heftige Finale wirkt darum umso unmittelbarer und effektvoller.
Zahlreiche Regisseure versuchten sich in der jüngeren Zeit am "Retro-Stil", um zeitgenössischen Werken das nostalgische Flair einer glorreichen Bahnhofskino-Ära einzuhauchen, allen voran Rob Zombie. Sie sind jedoch – meiner bescheidenen Meinung nach – allesamt an diesem hehren Vorhaben gescheitert, da sie lediglich popkulturelles Zitatenflickwerk und eklektische Versatzstücke in den Kontext postmoderner Horrorfilme einfügten, ohne wirklich den Geist dieses Jahrzehnts einzufangen. Als Paradebeispiel fällt mir hierzu Michael Bays Remake von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE ein, das zwar in den 70ern spielt, aber mit jeder Faser ein Produkt der Neuzeit ist. Ti Wests Film ist nun einer der ersten (der einzige?) Retro-Horrorfilme, die mit jedem ablaufenden Meter Zelluloid nach guter alter Schule schmecken.
Das überschaubare Ensemble befindet sich in blendender Spiellaune: die fragile Jocalin Donahue hat dieses gewisse äußere Erscheinungsbild, das perfekt in die Zeit der Handlung passt und spielt ihre Rolle hervorragend. Über den sehr bizarr rüberkommenden Tom Noonan (MANHUNTER oder WOLFEN) muss man kaum noch etwas sagen, der Mann ist eine Bank. Und Mary Woronov (u.a. THE DEVIL`S REJECTS) ist eine Darstellerin, die bereits gruselig wirkt, wenn sie nur lächelt.
Der überraschend junge Regisseur, der sich bei seinem nunmehr vierten abendfüllenden Spielfilm als waschechter Auteur entpuppt – er schrieb das Drehbuch, produzierte, führte Regie und übernahm den Schnitt – bekleckerte sich mit seinen Vorläufern (CABIN FEVER 2 oder TRIGGER MAN – DER SCHARFSCHÜTZE) nicht unbedingt mit Ruhm, weshalb man vor THE HOUSE OF THE DEVIL umso tiefer den Hut ziehen muss, denn hier wurde alles richtig gemacht. Wir bekommen für 93 Minuten einen gradlinigen, perfekt gefilmten und punktgenau inszenierten Old School-Trip ohne Schnickschnack und ironisch verbrämtes Augenzwinkern serviert – und das macht den Film zu einer klaren Empfehlung.
Ein sehr gutes, altmodisches Sehvergnügen.


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Zu bemängeln ist lediglich die hundsmiserable deutsche Synchronisation, die beredtes Zeugnis davon ablegt, daß die deutsche Verleihfirma den Film offenbar nicht ernst genommen hat. Eine Schande. Man sollte sich den Film im O-Ton anschauen.
- Pelle -





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