Filmclub Bali
   
 

DIE GEWALT BIN ICH

("Il cinico, l´infame, il violento", Italien 1977) R: Umberto Lenzi

Der Ex-Polizist Tanzi (Maurizio Merli), hat den Dienst quittiert, seit er den gefürchteten Mailänder Gangsterboss "Der Chinese" (Tomas Milian) eingelocht hat. Der ist jedoch frisch aus dem Gefängnis entflohen und schickt Tanzi als erste Amtshandlung einen gedungenen Killer auf den Hals. Tanzi wird angeschossen und sein angeblicher Tod fingiert.
Der "Chinese" wähnt den Erzfeind unter der Erde und heckt ehrgeizige Expansionspläne aus. Er will sich mit dem italo-amerikanischen Unterwelt-Imperator Frank DiMaggio (John Saxon) zusammenschließen, um seinen Einfluss zu erweitern und seinen Geldbeutel zu füllen. DiMaggio sieht sich jedoch einige Stufen höher in der Verbrecher-Hackordnung und weiß nicht so recht, was der großspurige Schmierlapp von ihm will – gönnerhaft einigt man sich, dass der"Chinese" DiMaggio an seinen Einnahmen prozentual beteiligt. Das ist freilich nicht ganz das, was dem Kleingangster vorschwebt, zumal er DiMaggio nicht über den Weg traut. Zwischen den beiden Platzhirschen braut sich ein Sturm zusammen, den Tanzi geschickt für seine Ziele ausnutzt. Er spielt die beiden Rivalen gegeneinander aus, bis alle drei in einem bleigesättigten Finale aufeinandertreffen...
Gewalt bin ich
Den italienischen Originaltitel dieses ausgezeichneten Polizei-Reißers von Maestro Umberto Lenzi darf man wahrscheinlich als Anlehnung an Leones meisterhaften IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO verstehen. Zwar erreicht DIE GEWALT BIN ICH nicht annähernd die Virtuosität dieses Meilensteins, trotzdem handelt es sich um einen rasanten, temporeich erzählten und hervorragend gespielten Italo-Actioner oberster Güteklasse. Es wird die gewohnt dunkelrote Palette an stilvoll inszenierten Schießereien, wahnwitzigen Autoverfolgungsjagden, fiesen Folterungen und krachenden Nasenstübern zusammengerührt und mit kraftvollen Pinselstrichen auf die Leinwand gemalt. Das Resultat ist einer der besten Filme dieser Gattung, die ich seit langem genießen durfte.
An großen und denkwürdigen Momenten wird nicht gespart. In einer sehr gelungenen Sequenz verquirlt Lenzi sein Katz und Maus-Drama sogar mit Motiven des "Heist & Caper"-Movies, komplett mit halsbrecherischen Einbrecher-Konstruktionen, Infrarot-Kameras, Laserschranken (unter denen man mit Spezialbrillen durchkriechen muss) und jenem mysteriösen Schaum, den man auf Sicherheitskästen sprüht, um die Elektronik des gesamten Gebäudekomplexes lahm zu legen. So was liebe ich ja, damit hat der Film sich restlos in den Olymp gepunktet! Als Merlis Komplize in dieser herrlichen Episode taucht übrigens der kauzige Gianfilippo Carcano (HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS) als Einbruchs-Spezialist "Der Professor" auf – molto fantastico!
Merli ist, wie gewohnt, eine zementierte Institution – der blonde Scheitel stramm nach rechts gekämmt, das unvermeidliche Suppensieb auf der Oberlippe. Seine drei gängigen mimischen Ausdrucksformen reizt er vollständig aus: Verbissenheit, Wut und wütende Verbissenheit. Ansonsten regiert das Prinzip: erst schießen, dann denken! Auch die obligate Abservierung geliebter Familienangehöriger wird praktiziert, zur Trauerbewältigung dienen in diesem Fall großkalibrige Handfeuerwaffen. In einer unsterblichen Szene schmeißt er einem bösen Buben sogar einen Trethocker an den Kopf und tritt ihm danach noch volle Lotte in die Zähne – wenn Deutschland Weltmeister würde, wäre meine Freude nur halb so groß.
Tomas Milian (der sich übrigens "Chinese" nennt, weil er seine Gegner geduldig zermürbt, wie bei der chinesischen Wasserfolter) spielt hier etwas besonnener als in anderen Lenzi-Polizieschi (man denke nur an seine manische Performance in DER BERSERKER), was seiner Figur gut zu Gesicht steht. An anderen Stellen neigt er auch schon mal zu gelindem Overacting, was aber noch nie bei Milian gestört hat. Es ist mal wieder ein schieres Vergnügen, dem vielseitigen Mimen beim Ausüben seines Handwerks zuzusehen. Obendrein trägt er einen derart widerlich öligen Jürgen Drews-Scheitel, dass man vom bloßen Zuschauen duschen gehen möchte. Ganz zu schweigen von den Bademänteln...*schüttel*!
Auch John Saxon (ASPHALT-KANNIBALEN) agiert sehr überzeugend als bedrohlicher Unterweltbaron DiMaggio – in einer der besten Szenen des Films foltert er einen Verräter, indem er ihn aus nächster Nähe mit Golfbällen beschießt und ihn dann... ach nein, seht selber. Leser der Zeitschrift "Jagd & Hund" werden an dieser Stelle wahrscheinlich frohlocken.
Gabriella Lepori (die schon in Lenzis DIE VIPER und CAMORRA mit an Bord war) spielt Merlis Schwesterherz Nadia, die während des gesamten Films "punch drunk" durch die Locations taumelt. "Full Frontal Nudity" gibt es leider nicht, dafür aber "Full Frontal in die Fresse" – Gabriella bekommt während des Films ständig Backpfeifen und erträgt diesen Missstand mit bewundernswerter Würde. Jeder darf mal, natürlich macht da auch Watschenmann Merli keine Ausnahme – vollkommen unglaublich ist der folgende Dialog zwischen Tanzi und Nadia: "Wie geht´s dir?" "Ich bin zufrieden." (Er gibt ihr einen schallenden Klatsch) "Und jetzt?" "Besser. Du hast Recht gehabt."
Nun ja, immerhin schüttet man ihr keine Säure in die Visage, diese Spezialtherapie hat man sich für Gabriella Giorgelli (DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS) aufgespart. In Nebenrollen sehen wir das gesamte Schreckenskabinett an Narbengesichtern und Gorillaschädeln, das man aus den einschlägigen Machwerken liebgewonnen hat. Claudio Undari spielt die rechte Hand des "Chinesen", namens Dario – passender wäre wohl Handlanger oder Hampelmann, denn Dario ist ein rechter Prügelknabe, der viel einstecken muss und zur Kompensierung auch viel austeilt.
Als weitere Knochenbrecher geben Bruno Corazzari (TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT) und Riccardo Garrone ein Stelldichein. Marco Guglielmi (DER TERROR FÜHRT REGIE) taucht als DiMaggios schlüpfriger Anwalt Marchetti auf.
Das Skript ist aus der Feder der bewährten Drehbuch-Größen Ernesto Gastaldi und Dardano Sacchetti geflossen, die ihre Geschichte ein wenig vertrackt und umständlich angelegt haben, was nicht immer einleuchtend ist, aber auch keinen ernsthaften Grund zur Klage darstellt. Das Garn wird jedenfalls flott gesponnen und täuscht durch eine vorzügliche Charakterzeichnung über marginale Schwachstellen hinweg. Obendrein haben sie ihren Figuren einige wirklich köstliche Dialoge in den Mund gelegt – mein Favorit (siehe Zitat am Ende der Besprechung) hat es unverständlicherweise nicht in die deutsche Synchro geschafft und wurde herausgeschnitten. Warum auch immer. Ich habe mir an dieser Stelle fast in die Hose gemacht, zumal Milian seine unfassbaren Beleidigungen mit ätzender Nonchalance vorträgt, während sein armer Lakai Dario kurz vorm Bersten steht. Göttlich!
Auch er schmissige, keyboard- und schlagwerkdominierte Beat-Score von Franco Micalizzi schmiert das Vehikel ordentlich und untermalt die Geschehnisse auf stimmige Weise.
DIE GEWALT BIN ICH ist ein erquickliches und besonders gut geglücktes Exemplar der Gattung Italo-Polizeiklopper, der in keiner Sammlung fehlen sollte. Zum Heulen und Haare raufen ist lediglich mal wieder die Tatsache, dass von diesem Juwel keine deutsche DVD-Veröffentlichung erhältlich ist. Wer in den Hochgenuss der deutschen Synchro kommen möchte, muss auf das alte (aber leider gekürzte und durch falsches Bildformat verhunzte) VPS-Tape zurückgreifen, Puristen steht die italienische DVD von Federal Video zur Verfügung, die sich in qualitativer Perfektion darbietet – aber leider nur eine italienische Tonspur aufweist.
Lieblingszitat:
"Mein lieber Dario, wir haben nichts gemeinsam. Ich kann dir also nicht böse sein, dass du Scheiße bist. Es ist nicht deine Schuld... es ist die Schuld der Kuh, die dich aus ihrem Arschloch geworfen hat."
- Pelle-





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